Wien - Die Arbeiterkammer macht einmal mehr auf viel zu hoch angesetzte Mietpreise in Wiener Altbauten aufmerksam. Die Wohnrechtsexperten der AK haben insgesamt 350 Mietverträge von Wiener Altbauwohnungen ausgewertet (abgeschlossen zwischen 2001 und 2009), die von der Mietervereinigung anonymisiert zur Verfügung gestellt worden waren.

Beanstandungen bei fast allen Überprüfungen

Von den 350 ausgewerteten Mietverhältnissen - die alle dem Richtwertmietzinssystem unterliegen - waren 192 befristet und 158 unbefristet. Die durchschnittliche Bruttomiete (inklusive Betriebskosten und Umsatzsteuer) betrug 9,46 Euro pro Quadratmeter. Die durchschnittlich vereinbarte Nettomiete machte 6,82 Euro pro Quadratmeter aus.

Bei 150 dieser 350 Mietverträge war zum Zeitpunkt der Auswertung die rechtliche Überprüfung der vereinbarten Hauptmieten bereits rechtskräftig abgeschlossen. Dabei zeigte sich, dass bei fast allen Verträgen - konkret 98,67 Prozent - die Vermieter einen gesetzeswidrigen, weit überhöhten Hauptmietzins verlangt hatten. Die Überschreitung betrug im Durchschnitt 61,5 Prozent.

Überprüfung möglich

Mieter, die Verdacht schöpfen, können ihren Mietzins in einem solchen gerichtlichen Verfahren überprüfen lassen. Die Arbeiterkammer rät, sich an eine Mieterorganisation zu wenden, die Rechtsschutz anbietet. Innerhalb des Verfahrens kann der Vermieter dann zu einer Rückzahlung sowie zur Senkung des Mietzinses gezwungen werden.
"In 148 der 150 von uns überprüften Fälle war der Mieter vor Gericht erfolgreich", so Walter Rosifka von der AK. Dennoch würden nur ein bis zwei Prozent der Mieter ein solches Überprüfungsverfahren anstoßen.

Besonders die Mieter mit befristeten Verträgen zahlen zu viel, so die AK. Laut Gesetz müsse in diesen Fällen nämlich ein Abschlag von 25 Prozent gewährt werden, Bei den überprüften befristeten Mietverträgen (87) wurde aber durchschnittlich um das Doppelte mehr verlangt als zulässig war. "In Wirklichkeit sind die befristeten Verträge damit genau so teuer wie unbefristete", erklärt AK-Wohnrechtsexperte Franz Köppl.

"Richtwert-System nicht praktikabel"

Das Richtwert-System gilt für mehrgeschossige Häuser, die vor 1945 gebaut wurden, wenn der Mietvertrag nach dem 1.3.1994 abgeschlossen wurde. Laut AK fallen bundesweit 500.000 Wohnungen in diese Regelung, die meisten davon in Wien.

Die Höhe des Mietzinses ist damit theoretisch gesetzlich festgelegt, in Wien etwa mit 4,91 Euro pro Quadratmeter. "Ist dem Vermieter das aber zu wenig, kann er gewisse Zulagen verlangen, ohne diese im Mietvertrag begründen zu müssen", erklärt Köppl. Dadurch werden die Richtwert-Mieten im Schnitt genau so hoch wie auf dem freien Markt vereinbarte. "Das System ist völlig intransparent und nicht praktikabel. Es ist absurd, dass nicht einmal der Mieter weiß, woher diese Zuschüsse kommen."

"Lagezuschlag abschaffen"

Nun fordert die AK eine Reform des Mietrechts. "Selbst die Gerichte haben Schwierigkeiten, den genauen Mietzins festzulegen", so Köppl. Der AK-Experte bringt ein Beispiel: Für eine 82 Quadratmeter große Wiener Wohnung der Kategorie A war zwischen dem Vermieter und dem Mieter bei einem unbefristeten Hauptmietvertrag ein Hauptmietzins von 604,64 Euro vereinbart worden. Das zuständige Bezirksgericht stellte dann den zulässigen Hauptmietzins nach dem Richtwertsystem mit monatlich 459,80 Euro fest. Das Landesgericht errechnete für dieselbe Wohnung einen monatlich zulässigen Hauptmietzins in der Höhe von 547,52 Euro. Schließlich erachtete der Oberste Gerichtshof einen Hauptmietzins von 481,09 Euro für gesetzmäßig. "Damit kamen drei Gerichte zu drei verschieden hohen gesetzmäßigen Hauptmietzinsen, die sich um immerhin mehr als 20 Prozent unterscheiden", kritisiert Köppl.

Es brauche daher mehr Transparenz und klare Regelungen für zulässige Mietaufschläge, so Köppl. Ganz abgeschafft gehört laut AK der Lagezuschlag. "Wenn die Wohnung etwa durch einen U-Bahn-Anschluss aufgewertet wird, ist das keine Leistung des Vermieters, sondern des Steuerzahlers", so Köppl.

MVÖ: "Massives Alarmsignal"

Auch für die Mietervereinigung Österreich (MVÖ) bestätigt die Studie "in eindrucksvoller Weise die Lücken des Richtwertsystems. Wenn nahezu 100 Prozent zu hohe Mieten verlangen und dieser Sachverhalt nur vor Gericht zu klären ist, so ist das ein massives Alarmsignal", erklärt Präsident Georg Niedermühlbichler in einer Aussendung.

Eine Reform des Richtwertmietsystems sei deshalb dringend nötig. "Der Willkür der Vermieter bei der Verrechnung der Zuschläge sind bisher keine Grenzen gesetzt. Daher ist eine taxative Aufzählung der Zuschläge sowohl im Gesetz, als auch im Mietvertrag wichtig. Nur so kann eine tatsächliche Transparenz geschaffen werden ", so Niedermühlbichler.

Auch SPÖ-Wohnbausprecherin Ruth Becher fordert in einer Pressemitteilung eine Begrenzung der Zuschläge. "Es ist für die Mieter von fast 500.000 Altbauwohnungen einfach unzumutbar, dass sie einen beinahe zwei Drittel höheren Mietzins als gesetzlich erlaubt bezahlen müssen." Künftig sollen Art und Höhe der Zuschläge klar festgelegt und auf höchstens 20 Prozent des Richtwertes begrenzt werden, schlägt sie vor. "Und Zu- und Abschläge zum Richtwert sollen in den Mietverträgen auch genau angegeben werden müssen", so Becher.

Ludwig: "Lagezuschlag ganz weg"

Für Wiens Wohnbaustadtrat Michael Ludwig (SPÖ) lässt das derzeit gültige System ebenfalls "jegliche Transparenz und Fairness vermissen". Die Erfahrungen aus der Praxis würden zeigen, "dass einerseits zwar die Zuschläge intensiv genutzt werden, die im Gesetz vorgesehenen Abschläge jedoch de facto nie zur Anwendung kommen". Neben den notwendigen Bestimmungen zur transparenten Gestaltung der Zu- und Abschläge und der verpflichtenden Angabe im Mietvertrag sei es deshalb auch notwendig, entsprechende prozentuelle Obergrenzen einzuführen.

Darüber hinaus sollte die derzeitige Form des Lagezuschlags gänzlich aufgehoben werden, so der Stadtrat. Dieser führe in den meisten Fällen zu sogenannten "windfall-profits". "Dabei werden durch Investitionen, die von der Stadt getätigt werden, beispielsweise durch den U-Bahn-Bau, Verbesserungen der Lage erreicht, die schließlich von Vermietern in Form höherer Mieten zu deren Profit genutzt werden."

Ludwig weist auch darauf hin, dass die Stadt Wien einen Online-Mietenrechner anbietet, mit dem die Höhe des gesetzlich geregelten Richtwertmietzinses vor Abschluss eines Mietvertrags von Wohnungssuchenden errechnet oder von Mieterinnen und Mietern rückwirkend überprüft werden kann.

Grüne: Reform überfällig

"Überfällig" ist eine Mietrechtsreform auch für die Wiener Grünen. "Die meisten Menschen, die eine neue Mietwohnung in Wien suchen, wissen nicht, wenn sie Wohnungsinserate in der Zeitung durchschauen, ob es sich dabei um einen legalen - freien - Mietzins handelt oder ob die Miete für die angebotene Wohnung vom Gesetz her eigentlich billiger sein sollte", so Klubobmann David Ellensohn. Er fordert eine neue Regelung für transparente, leicht nachprüfbare Mietzinsobergrenzen und die Ausweitung des Wirkungsbereiches des Mietrechtsgesetzes. Die rot-grüne Stadtregierung habe bereits vereinbart, eine Aufklärungskampagne zu überhöhten Mieten und Betriebskosten zu starten, so Ellensohn. "Wohnen ist kein Gut wie jedes andere. Damit darf nicht beliebig Geld verdient werden können."

ÖVI und WKÖ-Fachverband lehnen Forderungen ab

Kritik an der AK-Studie kommt vom Österreichischen Verband der Immobilientreuhänder (ÖVI). Für Geschäftsführer Anton Holzapfel bleibt "nach wie vor unverständlich, warum der Gesetzgeber österreichweit ausgerechnet in Wien den zweitniedrigsten Richtwert verordnet hat. Mit der politischen Entscheidung, den Richtwertmietzins künstlich niedrig zu halten, werden solche 'angeblich überhöhte' Mietzinse vorsätzlich produziert." In keinem anderen relevanten Mietmarkt - Holzapfel nennt Graz, Salzburg, Linz und Innsbruck als Beispiele - sei dies überhaupt Thema.

Der ÖVI-Geschäftsführer weist in einer Aussendung auf zwei Umstände besonders hin: Einerseits sei ein Immobilientreuhänder per Gesetz dazu verpflichtet, für seinen Auftraggeber eine bestmögliche Bewirtschaftung der Immobilie zu erzielen. Andererseits hätten die Anforderungen der Mieter an Ausstattung und Qualität der Wohnungen in den vergangenen 15 Jahren extrem zugenommen. "Auch die Anforderungen an den Vermieter in Bezug auf Erhaltungspflichten werden ständig verschärft", argumentiert Holzapfel. Und hält außerdem fest: "Mehr als 20.000 Mietverträge werden jährlich in Wien im Vollanwendungsbereich des MRG und damit im Richtwertmietzinssystem neu abgeschlossen. Wenn davon 600 Mietverträge vor Schlichtungsstelle überprüft werden, heißt das, dass 97 Prozent der Kunden den von ihnen bezahlten Mietpreis als fair ansehen." Die gesetzlichen Überprüfungsmöglichkeiten seien zudem gerade im Vollanwendungsbereich des MRG ausreichend und praktisch ohne Kostenrisiko gegeben.

Für WKÖ-Fachverbandsobmann Thomas Malloth macht die Arbeiterkammer "aus einer Mücke einen Elefanten, um sich mit ihren uralten Forderungen in Szene zu setzen". Einerseits sei das von der AK herangezogene Sample mit 350 Fällen in acht Jahren verschwindend klein und könne daher nicht als repräsentativ gelten. Andererseits schlägt Malloth in dieselbe Kerbe wie der ÖVI: 97 Prozent der Kunden erachteten den von ihnen bezahlten Mietpreis offenbar als fair.

ÖHGB: Lagezuschlag unverzichtbar

Friedrich Noszek, Präsident des Österreichischen Haus- und Grundbesitzerbunds (ÖHGB), weist darauf hin, dass die Einführung des Richtwertzinses ein Anreiz war, Wohnungen zu sanieren. Heute würden in Wien deshalb 80 Prozent der auf den Markt kommenden Wohnungen der Kategorie A entsprechen. "Von dieser Verbesserung der Wohnungsstandards haben die Mieter sehr stark profitiert, vor allem jene, die ihre Wohnung nur für kurze Zeit mieten. Denn Übersiedeln liegt im Trend. 680.000 Personen wechseln jährlich in Österreich ihren Wohnsitz." Diese Mobilität sei nur möglich, wenn Wohnungen in gut ausgestattetem Zustand vermietet werden. "Wenn die Mieter erst Küche und Bad erneuern müssten, dann wäre das wesentlich teurer, als in eine bezugsfertige Wohnung zu ziehen." Eine Abschaffung der Richtwertzinse und fixe Mietzinsgrenzen würden dazu führen, dass einerseits wesentlich weniger und andererseits schlechter ausgestattete Wohnungen angeboten werden, so Noszek in einer Aussendung.

Den Lagezuschlag hält er für unverzichtbar. "Wer ein Haus in einem Villenviertel kauft, muss dafür wesentlich mehr zahlen, als wenn das Haus neben einer Schnellstraße liegt. Das wird als gerecht und billig angesehen. Genauso ist es mit den Mieten. Denn gleichzeitig ist die Tatsache, dass Besseres mehr kostet der Garant dafür, dass etwas, das nicht ganz so gut ist, auch weniger kostet." (map, derStandard.at, 17.2.2011)