Bilder von Rottenbergs Ausflug nach Zakopane gibt's auf seiner Facebook-Seite.

Foto: Thomas Rottenberg

Grindig und strange: die Trashstandeln von Zakopane.

Foto: Thomas Rottenberg

Zakopane kennt man. Aus dem Fernsehen: Hier wird Ski geflogen und Ski gesprungen. Und wer da ein bisserl genauer hinschaut und -hört, bekommt auch noch mit, dass Zakopane, die Stadt an der Nordflanke der Hohen Tatra, des zwischen Slowakei und Polen liegenden kleinen Hochgebirges, als das polnische Skizentrum schlechthin gilt. Wer in der Tatra Ski fahren geht, macht also einmal einen Ausflug nach Zakopane. Schließlich versprechen die Bilder diverser Ski- und Tourismus-Homepages der Region dort wirklich feine Hänge.

Aber zuerst eine kleine Anmerkung: Mittlerweile sorgen polnische Staatsbürger im österreichischen Wintertourismus für rund eine Million Nächtigungen. Tendenz und Erwartungshaltung steigend. Wieso das so ist? Nun ja: Wer Zakopane einmal erlebt und gesehen hat, weiß und versteht, wieso die heimischen Touristiker so sicher sind, dass die Zahl der polnischen Gäste weiter steigen wird.

Wer ins polnische Ski-Mekka kommt, muss zunächst einen Parkplatz weit ab der Lifte anfahren. Der ist kostenpflichtig. Danach muss man mit dem Bus oder dem Taxi zum Lift fahren. Ebenfalls kostenpflichtig. Die Summen sind im Vergleich zu österreichischen Skigebieten – ein Witz. Aber dass man alle drei Meter zur Kassa gebeten wird, ist doch gewöhnungsbedürftig.

Jedem Lift sein Ticket

An der Talstation der Seilbahn wird es dann wirklich lustig: Für jeden der Lifte in Zakopane gilt es, eine eigene Karte zu lösen. Also: Seilbahn rauf – ein Ticket. Sessellift A – ein anderes Ticket. Sessellift B – noch ein anderes Ticket. Egal, ob man Tages-, Wochen-, oder Punktekarten kauft: An jeder Einstiegstelle gilt es, das richtige Ticket aus der Tasche zu kramen.

Drei Lifte in einem Ski-Dorado? Ja. Mehr gibt es hier nämlich nicht – und wenn ein Sessellift geschlossen ist (natürlich IST einer geschlossen), gibt es genau eine Piste. Sie beginnt 40 Meter breit – und verjüngt sich nach unten hin. Beim Lifteinstieg ist sie etwa fünf Meter breit. Das ist nicht nur unzeitgemäß sondern auch gefährlich: Skilehrern kommt angesichts der in den Trichter einfahrenden Wintersportler da rasch einmal das nackte Grausen.

Uns ist das aber egal. Weil: Pisten brauchen wir keine. Und Landschaft gibt es hier ja genug. Ziemlich feine sogar. Ziemlich sehr sehr feine. Also: raus ins Gelände, rüber in einen kleinen, vom Lift gut einsehbaren Kessel, aufgefellt und dann rauf über einen weiten weißen Hang in eine der vielen feinen, engen Rinnen. Die Vorfreude auf ein paar fette Rides und Lines steht uns in den Gesichtern geschrieben

Beim ersten Anstieg kommt uns ein einsamer polnischer Tourengeher entgegen, zieht an uns vorbei, schwingt am Ende des Hanges auf der Sohle des kleinen Kessels ab, fellt wieder auf – und läuft den Hang wieder hinauf. Der Knabe ist ziemlich schnell unterwegs, holt uns ein – und spricht fließend Deutsch: Mischa heißt er. Er stammt aus Krakau. Seit fünf Tagen ist er hier in der Region unterwegs, wäre aber lieber in Chamonix oder sonstwo, wo es vor Freeridern wimmelt. Andererseits ist dort heuer ja fast so wenig Schnee wie hier. Aber, tröstet Mischa sich und uns, "man findet immer was." Stimmt. Mischa verrät uns ein paar feine Spots – und fügt ganz en passant hinzu: "Genau genommen ist das hier alles super illegal." Er lacht. Wir lachen. Dann fahren wir gemeinsam ab – und beschließen, zwischendurch mal zurück auf die Piste, zum Sessellift, zu fahren. Vielleicht gibt es ja anderswo noch ebenso feine Spots.

Lolek & Bolek, die Alpinpolizisten

Mischa kommt vor uns zum Pistenrand. Zwei Männer in Schwarz stehen dort, halten ihn auf – und nehmen seine Personalien auf. Wir, deuten sie uns, sollen auch hier bleiben. Einfach weiterfahren ist nicht drin: Denn die beiden sind Ranger. Also so was wie Alpinpolizisten, erklärt Mischa. Sie haben nicht nur Exekutivgewalt, sondern auch Funk – und es gibt genau einen Weg hier raus: Mit dem Sessellift rauf – und mit der Gondel runter. Unwahrscheinlich, dass wir da durchkämen. Wir sind im Vergleich zu den polnischen Skifahrern so bunt, dass wir schon beim Rauffahren bestaunt wurden. Außerdem sind wir neugierig.

Mischa übersetzt, was die Ranger uns erklären: Wir haben das Gesetz gebrochen. Freeriden ist in Polen nämlich illegal. Jedenfalls hier, in der Hohen Tatra. Da darf man nur auf den Pisten fahren – und auf markierten Wegen spazieren gehen. (Oben, im Nebel, geht gerade halb Polen spazieren. Man posiert vor dem Bergstationschild der Seilbahn mit 1.981 Metern oder vor den Pistengeräten. Manchmal auch mit uns: Auch unsere breiten Powder-Bretter wirken zwischen dem uraltem Museumsski-Material hier wie von einem anderen Stern.)

Lolek & Bolek in Aktion.
Foto: Thomas Rottenberg

Zurück zu den Rangern: Wie zum Hohn gehen in diesem Augenblick zwei Wanderer an uns vorbei. Mit Eispickeln. Sie sind vorher neben uns eine andere, stark vereiste, Rinne hochgeklettert. Von diesen beiden nehmen Lolek & Bolek, unsere Ranger, keine Notiz. Wir verstehen: Gehen gut, Skifahren böse.

Lolek & Bolek sind aber keine üblen Burschen. Sie sind höflich und bestimmt, nicht eine Spur aggressiv und – im Gegensatz zu so vielen Menschen, die wir hier im Ex-Osten treffen – auch nie "pushy", autoritär oder sonst wie ungut. Die beiden Polizisten machen einfach ihren Job – und zwar professionell und mit Überzeugung. Freeriden ist verboten – also wird abgemahnt, gestraft und dann auch belehrt. Dass die Region als Tourenmekka beworben wird? Dafür können Lolek & Bolek nichts. Sie freuen sich sogar, dass es uns hier gefällt. Ja, auf diese Landschaft und diese Berge könne man schon stolz sein, sagen sie. Ein bisserl mau dürfte ihnen bei dem Gedanken, was passieren könnte, wenn sich herum spricht, wie geil die tatsächlich Region ist, aber schon werden. Vermutlich lassen sie deshalb – nach einer kurzen Diskussion untereinander und am Funk – auch nicht Gnade vor Recht walten.

Hier und jetzt muss also geamtshandelt werden. Matthias – unser Bergführer – rückt daher seinen Bergführerausweis raus. Er ist hier nicht nur verantwortlich für die Gruppe, sondern belegt damit auch, dass wir wissen, was wir wo tun. Lolek & Bolek nicken zustimmend. Das ist zwar was anderes – aber Freeriden ist eben trotzdem verboten.

Unbezahlbarer Gruppentarif

Doch weil Bolek & Lolek im Grunde ziemlich okay sind, bekommen wir einen Gruppentarif: 500 Zsloty – 125 Euro. Das wäre regulär der Pro-Person-Einzeltäter-Tarif. 125 Euro sind schon für uns richtig viel Geld. Aber für die meisten Polen, sagt Mischa, wäre das echt eine heftige Summe.

Blöderweise bestehen Lolek & Bolek auf polnischem Geld. Und hier oben gibt es keinen Bankomaten. Habe ich schon erwähnt, dass hier jeder Lift separat bezahlt wird? Und dass wir davon ausgingen, unsere Sesselliftfahrt einfach beim Lift zu bezahlen? Blöd, wenn man dann kein polnisches Geld mehr hat. Durch die Latschen ins Tal zu fahren ginge zwar irgendwie, wäre aber recht mühsam. Aber vor allem vor den Augen der beiden Ranger geht das gar nicht.

Zum Glück ist aber Mischa noch da. Der wechselt uns ein bissi was. Dann wenden sich die Ranger ihm zu. Doch als wir sagen wollen, er sei auch Teil unserer Gruppe, schüttelt er nur den Kopf: "Die beiden kennen mich. Sie haben mich schon ein paar Mal erwischt. Das wird jetzt richtig teuer. Vielleicht sogar Knast." Wir glauben, er macht einen Witz – doch die Ranger nehmen ihn mit. Uns schütteln sie aber zum Abschied die Hand. Mischa – er wirkt nun vollends wie der Guerilla-Installateur aus "Brasil" – grinst, zuckt mit den Schultern und fährt mit den beiden am Sessellift davon.

Matthias, unser Bergführer, übergibt die 500 Zloty "Gruppentarif".
Foto: Thomas Rottenberg

(Einschub: Spätabends kommt ein Mail von Mischa. Er hat auch ein gnädiges Urteil der Alpinpolizisten bekommen. Weil er bei der Amtshandlung übersetzt hat und wir den Rangern scheinbar wirklich sympathisch waren, kam er diesmal mit 200 Zsloty davon. Ein echter Freundschaftstarif... Einschub Ende)

Uns reicht es. Abgesehen davon kann man hier ja eh nur eine Piste runterbrettern. Und die ist fad. Also fahren wir mit der Gondel zu Tale. Ins Mekka des polnischen Wintersportes: Zakopane

Bonjour Tristesse

In der Luft liegt der Geruch von Heizöl. So, als würde man hier sogar die Koteletts auf Diesel mit extra viel Schwefel braten. Am Straßenrand reihen sich grindige Trashstandeln aneinander: Mützen, Stofftiere, Eiskastenmagneten, Fotomontagen, triste Schaubuden – und unheimliche, geradezu furchteinflößende Spieße voll Fleisch.

Die Straßen sind voll: Ganz Polen flaniert durch seine Ski- und Skisprungstadt. Man fotografiert sich und die Familie vor den Schanzen – und die Kinder rutschen über einen kleinen Idiotenhügel. Man trägt Skimode, die immer schon als Irrtum gegolten hat. Alles ist ein bisserl heruntergekommen. Wirkt gewollt. Gezwungen. Da ist keine Leichtigkeit, kein Lachen, keine Großzügigkeit in den Straßen und den Gesichtern. Und über allem dieser Geruch von Diesel und Heizöl. Strange.

Überall fahren Skibusse, an jeder Ecke wird Skiequipement aus dem vorigen Jahrhundert vermietet und verkauft – und wir fragen uns langsam, wo all diese Skifahrer eigentlich Ski fahren: oben auf dem Berg waren sie jedenfalls nicht. Und die drei oder vier einzeln in der Landschaft am Weg in die Stadt stehenden Lifte, an denen wir bei der Anreise vorbei kamen, können es doch auch nicht sein. Trotzdem: Zakopane tut so, als wäre es Tignes, Kitzbühel und Lech – und zwar auf einmal.

Aber vermutlich haben wir bloß etwas falsch verstanden. Oder übersehen. Schließlich muss es doch einen Grund geben, dass alle Welt von Zakopane als Skistadt, als der Hauptstadt des polnischen Skizirkus spricht. Dass wir es nicht gefunden haben, wird unsere eigene Schuld sein. Aber noch einmal danach suchen? Nö – auch wenn der Tag hier in Summe ziemlich lustig und grenzgenial skurril war – ein zweites Mal müssen und wollen wir uns nicht auf die Suche nach dem Geheimnis von Zakopane machen. Und das liegt nicht an Lolek & Bolek. Wirklich nicht. (Thomas Rottenberg/derStandard.at)