Netzhautforscherin Ursula SchmidtErfurth (li.), die die größte Uni-Augenklinik Europas leitet, und Künstlerin Dorothee Golz vor ihren fotografisch und digital bearbeiteten Versionen von Vermeers "Mädchen mit dem Perlenohrring", da Vincis "La belle Ferroniere" und Holbeins "Anna von Kleve".

Foto: Der Standard/Corn

Standard: In ihren "Digitalen Gemälden" nimmt Frau Golz historische Frauenporträts, etwa Vermeers "Mädchen mit dem Perlenohrring", und setzt sie mit zeitgenössischem Habitus in einen modernen Kontext. Was auf den ersten Blick irritiert, eröffnet dann einen neuen Blick auf Gender-Klischees. Hatten Sie, Frau Schmidt-Erfurth, schon mal das Gefühl, als Frau in der Medizin sprichwörtlich "im falschen Bild" gelandet zu sein?

Schmidt-Erfurth: Ich habe bald gemerkt, dass die Erwartungen an Frauen andere waren. Als ich mich an der Universität München für ein Stipendium in Harvard beworben habe, war mein Chef ganz irritiert: Sie müssen das doch nicht mehr machen, Sie sind doch schon verheiratet und haben Familie. Es ist nicht absichtliche Diskriminierung, aber für die männlichen Kollegen ein gewohntes Bild, dass sie in wissenschaftlichen Kommissionen unter sich sind, und wenn neue Mitglieder zu benennen sind, fallen ihnen in erster Linie wieder Männer ein, weil sie die besser kennen. Das sind keine Stammtische, sondern eher Clouds, die zusammenhängen und sich gegenseitig anstoßen wie Molekularbewegungen.

Standard: Frau Golz, welche Erfahrung haben Sie als Künstlerin?

Golz: In meinem Curriculum gibt es ganz deutlich einen Einbruch von dem Zeitpunkt an, wo ich Kinder hatte. Es gibt gewisse Muster in der Verteilung der Aufgaben in der Familie. Die Berufstätigkeit des Mannes hat traditionellerweise einen höheren gesellschaftlichen Stellenwert als der der Frau. Erfreulicherweise kommt es in den letzten Jahren aber zu einem Neuentwurf männlicher und weiblicher Rollen. Männer bringen sich mehr in Kindererziehung und Haushalt ein. Frauen gewinnen an Selbstvertrauen und streben wichtige Positionen in bisher männlich dominierten Berufsfeldern an.

Schmidt-Erfurth: Die gesellschaftlichen Fortschritte sind wirklich groß. In der Wissenschaft ist es aber doch noch so, dass Männer mit Familie in ihrer Karriere mehr Fortschritte machen, während bei Frauen, sobald sie eine Familie gründen, der messbare Erfolg wesentlich geringer wird. In dieser kleinen privaten Zelle werden unterschiedliche Weichen gestellt, also muss man da ansetzen. Neben der individuellen Dimension gibt es aber auch eine gesellschaftliche: Mütter, die Zeit für den Beruf investieren, stehen weniger intensiv für die häusliche Schulroutine und Bildungsvermittlung zur Verfügung. Diese Aufgaben muss ein modernes Bildungssystem mit abdecken, etwa mit Ganztagsschulen, damit die Gesellschaft ein gutes Bildungsniveau halten kann. Der Einsatz lohnt sich aber, da wir wissen, dass Unternehmen mit viel weiblicher Beteiligung effizienter arbeiten. Man braucht also keine "Sozialaktion" zur Integration von Frauen , sondern muss verstehen, dass Diversity für alle nützlich und auch machbar ist.

Standard: Sie haben einander kennengelernt durch den Molekularbiologen Guilio Superti-Furga, den Leiter des CeMM (Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Akademie der Wissenschaften), der einen "Science & Art"-Thinktank mit KünstlerInnen und WissenschafterInnen initiiert hat. Wo sehen Sie beide Ähnlichkeiten zwischen dem wissenschaftlichen und dem künstlerischen Produktionsprozess?

Golz: Beide wollen wir etwas verstehen, wissen, wie die Welt funktioniert. Nicht von Ungefähr habe ich nach dem Abitur zwischen einem Physik- und dem Kunststudium geschwankt. Vielleicht denken die meisten, dass eine Wissenschafterin/ein Wissenschafter analytischer und methodischer vorgeht als eine Künstlerin/ein Künstler, und dass die Arbeit einer Künsterlin/eines Künstlers vergleichsweise mehr auf Intuition und Kreativität beruht. Aber sowohl WissenschafterInnen als auch KünstlerInnen wollen Neuland betreten. Um das zu können, müssen sie zunächst einmal eine Ahnung haben, dass es dieses Land überhaupt gibt, und ein ungefähres Gefühl dafür, wo dieses Neuland liegen könnte und welcher Weg eventuell dahin führt. Dazu müssen KünstlerInnen und WissenschafterInnen Methoden entwickeln, unkonventionelle Überlegungen anstellen und noch nie unternommene Versuchsanordnungen aufbauen. Uns beiden geht es um eine Art Raumerweiterung - eine Arbeit am Rande des bisher Gewussten, Gedachten, Formulierten, erfahrbar Gemachten.

Schmidt-Erfurth: Das Unvorhersehbare, Unerwartete macht in Kunst und Wissenschaft den Reiz aus. Es gibt keine ausgetretenen Pfade oder bewährte Gebrauchsanweisungen. Schon in der Fragestellung herrscht große Autonomie, hinzu kommt die Wahl der - vermutlich - geeigneten Methoden. Jedes Ergebnis, jede Antwort wirft neue Fragen auf. Wissenschaft ist deshalb bei weitem weniger objektiv als man allgemein vermutet. Im Gegenteil, gerade hochwertige Forschung ist geprägt von einer enormen Subjektivität. Es gibt eine kontinuierliche Dynamik von Hypothese zu Hypothese, alte Ideen müssen verworfen werden. Ein guter Wissenschafter wird sich in seiner Entwicklung auch selbst widerlegen können, wenn neue Techniken und neue Informationen verfügbar sind. Das sind unübersehbare Ähnlichkeiten zwischen Kunst und Wissenschaft.

Standard: Ein Bild von Frau Golz heißt "Wissenschaftliche Analyse eines nicht gelungenen Tages". Darauf sind vier Herren mit Krawatte und weißem Kittel, im Hintergrund eine Frau, die auf eine DNA-artige rote Struktur starren. Wie "liest" die Wissenschafterin dieses Bild?

Schmidt-Erfurth: Die vielen Herren empfinde ich als besonders authentisch, auch die Bezeichnung "nicht gelungen". Ich denke, dass eine männlichgeprägte Gesellschaft sehr ergebnisorientiert und auf Superlative aus ist: Der reichste Mann der Welt ist Bill Gates. Wer fragt nach der reichsten Frau der Welt? Das ist eine Chinesin, Zhang Yin, die aus Altpapier ein Riesenvermögen gemacht hat. Weiß kein Mensch, Gates kennt jeder. Herr Einstein gilt als größter Wissenschafter. Wer wäre sein weibliches Pendant?

Golz: Im Kunstbetrieb ist es ähnlich. Im Ranking der 100 bekanntesten Künstler sind zwölf Frauen. Karrierestrategisches Vorgehen von Männern findet eine breite gesellschaftliche Akzeptanz und wird gewisserweise sogar von ihnen erwartet. Als Künstlerin befasse ich mich mit dem Auflösen eingefahrener Muster, die der gesellschaftlichen Entwicklung oft im Weg stehen.

Standard: Verfolgen Frauen andere Karrierestrategien oder haben sie meist gar keine?

Schmidt-Erfurth: Frauen rechnen in ihrem Tun allgemein weniger damit, großen Erfolg zu haben oder einen bestimmten Titel zu erreichen, weil es für sie statistisch einfach unwahrscheinlicher ist. Wissenschafterinnen veröffentlichen insgesamt auch quantitativ weniger, aber im Durchschnitt oft etwas, das mehr Qualität hat und in höher zitierten Journalen gelistet ist. Herren sagen eher: Look at me, ich kann das.

Golz: Im Kunstbetrieb ist das auch so. Es gibt viele Künstler, aber natürlich auch Künstlerinnen - das ist weniger eine Genderfrage -, die sagen, ich mache so viele Ausstellungen wie möglich, weil das meinen Bekanntheitsgrad steigert. Für mich ist eine Ausstellung nicht vordergründig ein Mittel für die Karriere, sondern ein gelungener Abschluss einer künstlerischen Auseinandersetzung, die ich dann kommunizieren möchte.

Schmidt-Erfurth: Bei Frauen ist es meist nicht geplant, in die Chefetage einzuziehen. Im günstigsten Fall ist es eine Begleiterscheinung. Was von außen aussieht wie eine Karriere, empfinde ich als physiologische Entwicklung und zunehmende Differenzierung als Person. Typisch bei dieser Debatte ist, dass wir zwar über Wissenschaft und Kunst reden, aber vor allem Frauenrollen diskutieren. Es wäre gerade für uns Wissenschafterinnen eine große Erleichterung, nicht immer mit diesem Thema identifiziert zu werden.

Golz: Ja, das ist interessant, dass die Genderdebatte so viel Raum einnimmt, wenn zwei Frauen über ihre Berufe befragt werden. Für mich als Künstlerin steht sie eigentlich nicht im Vordergrund.

Standard: Apropos Beruf: Unlängst wurden hier zwei Männer aus Wissenschaft und Kunst - Josef Penninger und Erwin Wurm - zum Kanzler "ernannt". Was würden Sie als Kanzlerin zuerst angehen?

Schmidt-Erfurth: Eine Kanzlerinernennung würde ich mir nicht wünschen. Aber ich würde einer Kanzlerin, einem Kanzler vor allem Nachhaltigkeit empfehlen. Nur so kann es eine individuelle und auch gesellschaftliche Entwicklung geben - unabhängig von Gender, Nationalität und Weltanschauung, alles Einengungen, die Wachstum behindern.

Golz: Ich würde es grundsätzlich befürworten, wenn auch mal eine Frau an die Regierungsspitze kommt, denn ich glaube, dass Frauen in ihre Arbeit andere, neue Qualitäten einbringen. Lieber wäre ich allerdings Bildungsministerin. Bildung halte ich für sehr, sehr wichtig, auch dass man die Gesellschaft zur Verantwortung erzieht und zum Nachdenken, zum demokratischen Denken führt. WissenschafterInnen und Kulturschaffende erschließen dabei neue Möglichkeiten für unsere zukünftige gesellschaftliche Orientierung und sollten daher mit allen Mitteln gefördert werden. (Lisa Nimmervoll, DER STANDARD, Printausgabe 26./27.2.2011)