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Geschlecht darf keine Berechnungskategorie sein: Die höchsten EU-RichterInnen verurteilten die unterschiedlich hohen Versicherungsprämien als diskriminierend.

Foto: APA/AP/Stahl

Luxemburg – Versicherungen müssen künftig einheitliche Tarife für Frauen und Männer anbieten. Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Dienstag in Luxemburg entschieden. Das Geschlecht der/s Versicherten als Risikofaktor in die Berechnung miteinzubeziehen, sei diskriminierend, befand der EuGH am Dienstag.

Bereits im Jahr 2004 war von der EU eine Antidiskriminierungs-Richtlinie erlassen worden, die aber in Ausnahmefällen Unterschiede zulässt, sofern das Geschlecht ein bestimmender Risikofaktor ist und dies durch genaue versicherungsmathematische und statistische Daten untermauert werden kann. Das Gericht bezeichnete diese unterschiedlich hohen Prämien nun als ungültig, da sie Frauen diskriminieren würden. Die Versicherungsbranche müsse bis spätestens 21. Dezember 2012 Unisex-Tarife unabhängig vom Geschlecht anbieten.

Wegen der höheren statistischen Lebenserwartung zahlen Frauen bislang zum Beispiel höhere Beiträge für private Pensionsversicherungen. Frauen müssen zudem vielfach höhere Beiträge in der privaten Krankenversicherung zahlen, weil die Versicherer die hohen Kosten für Geburten einkalkulieren. Dafür können sie ihr Auto günstiger versichern, weil Frauen im Schnitt weniger Unfälle verursachen als Männer. Diese erhalten dafür – bei gleichen Prämien – höhere monatliche Renten, weil sie im Schnitt kürzer leben als Frauen.

Die RichterInnen setzten nun eine Frist für das Auslaufen dieser Regeln. Bestehende Verträge seien nicht von dem Urteil betroffen. Im konkreten Fall hat ein belgisches Gericht die höchsten EU-RichterInnen um Prüfung der Ausnahmebestimmung gebeten.

Grüne begrüßen Entscheidung

Von Seiten der Grünen wurde das Urteil als "wichtiger Schritt zu mehr Gleichbehandlung zwischen Frauen und Männern" gewertet. Sie fordern nunmehr eine rasche und transparente Umsetzung: "Die Versicherungsprämien müssen transparenter und nachvollziehbarer werden, damit Unterschiede aufgrund des Geschlechts nicht durch eine komplexe Berechnungsweise weiterhin verschleiert fortbestehen können", so die Frauensprecherin Judith Schwentner.

Auf keinen Fall dürfe dieses Urteil von der Versicherungswirtschaft als Vorwand dafür benutzt werden, um die Prämien aller Versicherten auf das höchste Niveau anzuheben. Vielmehr müsse es zu einem Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Prämien für Frauen und Männer kommen. "Eine einseitige finanzielle Benachteiligung zu Lasten der Frauen darf es in Zukunft nicht mehr geben", so Schwentner.

"Falsch, Ungleiches gleich zu behandeln"

Doch hier hofft die Grüne anscheinend umsonst. Erste Reaktionen von Branchenvertreten geben sehrwohl Anlass zur Befürchtung, dass eine allgemeine Beitragsverteuerung auf Versicherte zukommt: "Es ist davon auszugehen, dass die Versicherungen teurer werden", sagte Allianz-Deutschland-Chef Markus Rieß am Dienstag auf einer Branchenkonferenz in München. Es sei falsch, Ungleiches gleich zu behandeln. Auch der Branchenverband GDV kritisierte die Entscheidung: Die Differenzierung nach Risiken, die vom Geschlecht des Versicherten abhängen, habe bisher zu insgesamt günstigen Tarifen geführt, sagte Hauptgeschäftsführer Jörg von Fürstenwerth. Für eine Beurteilung der Folgen sei es aber noch zu früh.

Alexander Erdland, Chef des Stuttgarter Versicherungs- und Bausparkonzerns Wüstenrot & Württembergische (W&W), kritisierte die Luxemburger RichterInnen ebenfalls: "Es ist ein Fehler, unterschiedliche Risiken zu sozialisieren."

Risiko- statt Geschlechtergerechtigkeit wichtig

Auch die österreichische Versicherungsbranche hat "schwerwiegende Bedenken" bezüglich der Unisex-Tarife angmeldet. Wichtig seien für Versicherungen nicht ideologische, sondern versicherungsmathematische Prinzipien, die Relevanz langer statistischer Daten werde nun infrage gestellt, so Manfred Baumgartl, Vorstand der Allianz Österreich und Vorsitzender der Sektion Lebensversicherung im Versicherungsverband (VVO). Es gehe nicht um die Gleichbehandlung von Mann und Frau, sondern um Risikogerechtigkeit. (APA/Reuters/red)

>>> Beispiele für mögliche Unisex-Tarife: Was für Frauen billiger und was teuerer wird

Teuerer wird:

Zu den Verliererinnen könnten bei strikter Umsetzung vor allem junge alleinerziehende Frauen mit einer Ablebensversicherung werden, die von einer relativ starken Preiserhöhung betroffen sein könnten.

Ein Beispiel: Für eine Ablebensversicherung mit einer Versicherungssumme von 100.000 Euro zahlt ein 30-jähriger Mann rund 140 Euro Prämie, eine Frau dagegen nur 75 Euro. Bei einer – wahrscheinlichen – Mischkalkulation müssten Mann und Frau künftig knapp 110 Euro zahlen, für die Frau bedeute dies eine Verteuerung um rund 40 Prozent, für den Mann würde die Prämie um rund 20 Prozent billiger.

Billiger wird:

Für Frauen billiger könnten Kapitallebensversicherungen und Rentenversicherungen werden. Derzeit zahlen sie wegen ihrer höheren Lebenserwartung für eine gleich hohe Pension mehr Prämie als ein Mann.

Ein 20-jähriger Mann beispielsweise zahlt für eine Rentenversicherung mit 35 Jahren Laufzeit und einer Jahresrente von 12.000 Euro derzeit eine Prämie von 6.560 Euro im Jahr, eine Frau mit 6.860 Euro um rund 4 Prozent mehr. Rund 60 Prozent der Lebensversicherungen entfallen auf Männer, rund 40 Prozent auf Frauen. In der Krankenversicherung ist bereits seit der Umsetzung der Richtlinie aus 2004 das Schwangerschafts- und Mutterschaftsrisiko auf Männer und Frauen gleich verteilt. Künftig könnten die Prämien für Frauen aber billiger werden. (APA/red)