Mike Mills, Michael Stipe, Peter Buck alias R.E.M. legen es nach einer beschaulichen Phase mit den neuen Songs von "Collapse Into Now" derzeit wieder etwas dringlicher an. Zumindest soll der Aufnahmeort Berlin das auf dem Papier behaupten.

Foto: Anton Corbijn

Die ehemalige Frontstadt eines David Bowie ("Heroes") sorgt im Falle Michael Stipes allerdings nur für gepflegte Langeweile in der Etappe.

Wien - Die aktuellen Covers der britischen Musikmagazine Uncut, Mojo und Q zieren Paul Simon, The Smiths sowie eine Auflistung "großer britischer Songwriter". Der Schwerpunkt liegt dabei auf Menschen, die Beatles oder Bowie heißen, also relativ unverdächtig sind, sich aus der heutigen Nachwuchsszene zu rekrutieren.

Die traditionell zwischen Erlebnisaufsätzen und Proseminarbeiten über Kulturtheorie eingependelte deutsche Diskurspop-Zeitschrift Spex macht aktuell gar mit einem Schwerpunkt zum Thema "Jenseits" auf. Die Berliner Kollegen vom Musikexpress mit Depeche Mode - und der Rolling Stone mit Beady Eye, der Nachfolgeband von Oasis, die tatsächlich einen Song namens Beatles And Stones im Repertoire hat. Im Blatt versteckt, findet sich ein zwölfseitiges Special über eine US-Band, der man mit ihrem aktuellen Schaffen offenbar nicht mehr zutraut, genügend Zugkraft als Aufmacher zu besitzen: R.E.M.

Auf die Entwicklung wurde an dieser Stelle schon mehrmals hingewiesen: Rock und Pop sind während der letzten 30 Jahre generationenübergreifend alt geworden. Selbst von 1981 herauf lange als Modernisierer eines von traditionellen Elementen befeuerten Gitarrenrock in der Sixties-Schule der Byrds angesehene Bands wie R.E.M. tragen mittlerweile Silber auf dem Rücken. Dazu kommt, dass zu weiten Teilen nur noch Hörer um die 40 im Musikbereich als Konsumenten aktiv sind.

Dies hat zur Folge, dass etwa die Songs des kanadischen Teenie-Superstars Justin Bieber zwar knapp eine Milliarde Mal auf Youtube abgerufen werden, er aber nur um die drei Millionen Stück seiner Tonträger als CDs wie Bezahl-MP3s absetzt. In den USA schafft man es mittlerweile in die wöchentlichen Top-Ten der Billboard-Album-Charts, wenn man 50.000 Stück verkauft. Die Haupteinnahmequelle für Musiker bilden also längst wieder Konzerte und Tourneen.

Anlässlich des Erscheinens des neuen, seit 1981 mittlerweile 15. R.E.M. -Albums, Collapse Into Now, spricht das Trio Peter Buck, Mike Mills und Michael Stipe, dank früher Welthits wie Losing My Religion von 1991 finanziell gut abgesichert, zwar von akuter Tourmüdigkeit, um die Verkäufe ein wenig in Gang zu bringen, werden Festival-Dates im Sommer dennoch unvermeidlich werden.

Musikalisch durfte man sich seit dem relativ "experimentellen" New Adventures In Hi-Fi von 1996 ohnehin nicht länger "Neues", die alten ästhetischen Vorgaben über den Haufen Werfendes erwarten. R.E.M. haben nicht nur längst zu sich selbst gefunden. Wie die letzten Arbeiten Around The Sun oder Accelerate und einige jüngere Wien-Auftritte zeigten, ist man auch durchaus dazu bereit, sich selbst während der Ausübung seines Berufs langweilig zu finden.

Collapse Into Now ist nun teilweise in den Berliner Hansa-Studios entstanden. Siehe auch: David Bowie, Heroes/Helden und "Die Mauer im Rücken so kalt". Das ändert zwar nichts an den harmoniebedürftig tschingelnden und tschängelnden Akkordzerlegungen Peter Bucks und dem stets nach Atem ringenden Stakkatogesang Michael Stipes. Wie heißt es im eher auf die idyllischen Havelseen im Umland denn auf Kreuzberg hinweisenden Lagerfeuer-Rocker Überlin: "Hey now, take your pills. And hey now, make your breakfast. Hey now, comb your hair and off to work."

Rocken in der Lebensmitte

Das Branding Berlin ist aber auf jeden Fall dazu in der Lage, dem bewährten Songwriting R.E.M.s eine gewisse Aura der Dringlichkeit, Frontstadtgefährlichkeit und urbanen Modernität zu verleihen. Den zünftig in ihrer Lebensmitte rockenden und schunkelnden Musikern selbst merkt man davon nichts an. Aber hallo, Michael Stipe ist in Berlin U-Bahn gefahren!

Als Gäste wirken mit: Patti Smith als gewohnt redselige Patti Smith. Die beinhart gefährliche Electro-Feministin Peaches als lokaler Punk-Tourguide sowie der an Eddie Vedder leidende Eddie Vedder von Pearl Jam. (Christian Schachinger/ DER STANDARD, Printausgabe, 4.3.2011)