Der Kampf gegen die atomare Katastrophe in Japan gerät auch zur PR-Schlacht im Internet. Auf Twitter und diversen Blogs liefern sich Kernkraftgegner und -befürworter ein Match der Argumente, mit denen sie in herkömmlichen Medien keinen Platz finden. Den Konsumenten ist es egal: Über Social Networks verbreiten sich die Halbwahrheiten weiter und verfestigen die Meinungen des jeweiligen Lagers: Wer glaubt, dass Kernkraft gefährlich ist, findet in den Weiten des Netzes seine endgültige Bestätigung, jene, die auf die technische Virtuosität der japanischen Ingenieure vertrauen, geben bereits Entwarnung.

Pro

Exemplarisch ist etwa der Eintrag eines Wissenschafters des renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT), der auf dem Blog eines australischen Lehrers in Japan veröffentlicht wurde. Der Verfahrenstechniker Josef Oehmen beschreibt unter dem Titel "Warum ich mir keine Sorgen über Japans Nuklearreaktoren mache" seine These über die Sicherheit der AKW. Binnen kürzester Zeit hatte der Blog 200.000 Zugriffe und verbreitete sich weiter, wiewohl sich keiner der Leser die Mühe machte, die genaue Qualifikation des Verfahrenstechnikers zu hinterfragen. Dafür verbreitete sich der Aufsatz auf Pro-Atomkraft-Websites wie etwa bravenewclimate.com.

Contra

Dies rief wiederum andere Blogger auf dem Plan. So zweifelt etwa Lukas Barth in einer Replik unter dem Titel "Warum ich mir Sorgen über Japans Nuklearreaktoren mache" die Thesen Oehmens an und macht dem Forscher auch die Qualifikation streitig. Mit simpler und trivialer Internetrecherche versucht er die Argumente von Oehmen zu entkräften. So sei es keineswegs erwiesen, dass der Reaktor in Japan wie von Oehmen vermutet über ein Auffangbecken für den geschmolzenen Kern verfüge. Woher die Information stammt? Vereinfacht gesagt: Dies gehe aus einem Wikipedia-Artikel hervor, schreibt Barth.

Identitätsmedium Twitter

Der Wiener Kommunikationswissenschafter Axel Maireder hat das Phänomen Twitter untersucht und deutet diese Mechanismen so: "Wir haben alle massenweise Tsunamibilder gesehen und malen uns das alles aus, wie das bei Tschernobyl sein kann. Mit diesen Geschichten sind wir überfüttert." Ein anderes Deutungsmuster wie der betont optimistische Aufsatz von Oehmen verbreite sich in solch einer Situation schneller, weil die Menschen dies in so einer Situation interessant fänden. "Der Mechanismus ist ein anderer als bei klassischen Medien. Die User denken sich: 'Das ist spannend, das leite ich weiter.'" Und nicht zuletzt handle es sich bei Twitter auch um ein "Identitätsmedium", auf dem man sich auf eine bestimmte Weise darstelle: "Man kann sich beispielsweise durch solche Posts als kritischer Geist positionieren."

Opinion Leader

Solche individualpsychologischen Mechanismen, die auch zu einer Beschleunigung von solchen Weiterleitungsketten beitragen, kämen im Journalismus weniger zum Tragen: Dort herrsche naturgemäß eine höhere Professionalisierung und Institutionalisierung. Im Fall von Oehmen habe es sicher eine Rolle gespielt, dass dieser am renommierten MIT arbeite, dazu komme, dass der Titel "Doktor" in Österreich grundsätzlich mehr zähle. "Jeder beliebige Blogger kann das sicher nicht erreichen." Dazu komme in Österreich ein Spezifikum , das in den USA so nicht vorhanden sei: "Twitter-User sitzen in Österreich an den Schnittstellen gesellschaftlicher Kommunikation." Derzeit sind laut "socialmediaradar.at" geschätzte 41.000 User aktiv, die vorwiegend als "Opinion Leader" in ihrer näheren Lebensumgebung gelten. Zum Vergleich: Bei der Social Network-Plattform Facebook sind fast 2,4 Mio. User registriert. (APA)

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