Bevorzugt kantige Projekte und findet Marken trotzdem legitim: Roland Teichmann, ÖFI-Direktor.

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STANDARD: Der Marktanteil des heimischen Films ist 2010 auf geschätzte fünf, sechs Prozent (rund 750.000 Besucher) gesunken. Auch große Festivalerfolge blieben aus - ist der Höhenflug des österreichischen Films wieder vorüber?

Teichmann: Ganz und gar nicht. Eine gewisse Wellenbewegung ist normal. 2009 war zu herausragend, was Besucherzahlen und Festivalerfolge betrifft - auf diesem Niveau kann ein kleines Filmland nicht auf Dauer dahinsegeln. 2010 war auch kein schlechtes Jahr, eine Dreiviertelmillion ist nicht so wenig - und international unbemerkt war der österreichische Film im Jahr 2010 auch nicht, er ist nicht nur auf Festivals erfolgreich, sondern verkauft sich auch zunehmend gut.

STANDARD: Es sind viele Komödien im Kino gelaufen, die am internationalen Markt als besonders schlecht zu verkaufen gelten.

Teichmann: Klar, Komödien sind zum Teil beschränkt, weil sie stark von Sprache, einer Authentizität leben. Aber es spricht ja für die Vielfalt, dass wir nicht mit den Komödien international punkten. Es ist Prinzip der Kinoförderung, dass man nicht nur dem schnellen Erfolg hinterherläuft, also nur auf eine Karte setzt, sondern dass es auch ganz wesentlich darum geht, Filme mit Relevanz zu ermöglichen, die keine Boxoffice-Wochenend-Halbwertszeit haben.

STANDARD: Gibt es zu den 5,2 Mio. Zuschauern, die österreichische Filme 2009 international hatten, Vergleichszahlen?

Teichmann: Nicht wirklich. Das ist ein geschätzter Spitzenwert, heuer kommen wir auf gute zwei Millionen, in den Jahren davor entsprechend weniger. In Europa werden jährlich 1200 Filme produziert, das ist ein Überangebot, für alle Verwertungsbereiche. In diesem Meer wahrgenommen zu werden ist ein Erfolg an sich.

STANDARD: Aufgrund des Überangebots kommt es zur Herausbildung von Marken: National will man etablierte TV-Marken ins Kino überführen, international dominiert das Autorenkino, ein "feel-bad cinema" (© NYT). Haben es solche Projekte leichter, an Förderungen zu kommen?

Teichmann: Grundsätzlich ist jedes Projekt, das edgy ist und Kanten hat, interessant. Am langweiligsten sind Projekte, die sich irgendwo in der Mitte abspielen. Es geht darum, Stoffe herauszudestillieren, die eine eigene Handschrift haben. Wenn man auf ein breiteres Publikum zielt, ist es legitim, sich bei Stoffen zu bedienen, die durch Etablierung im Fernsehen einen gewissen Markencharakter haben. Bei Echte Wiener konnte man sehen, dass es eine regelrechte Sehnsucht nach diesen Figuren gibt.

STANDARD: Bei "Kottan" war diese weniger groß.

Teichmann: Leider, da haben wir uns alle mehr erwartet. Erfolg lässt sich eben nicht prognostizieren. Wenn nur einer von fünf Filmen funktioniert, ist das in Wahrheit keine schlechte Quote. Andererseits geht es natürlich darum, Filme zu produzieren, die das österreichische Kino inhaltlich und formal weiterbringen, ohne dass es immer gleich in diesem "feel-bad cinema" enden muss. Die Grundtöne in den Arbeiten nachwachsender Autoren werden meiner Meinung nach deutlich heller.

STANDARD: Viele neuere Autorenfilme hat das BMUKK gefördert. Man hört Klagen, dass es schwieriger wird, die Hürde zum nächsten, mittelgroßen Projekt zu nehmen.

Teichmann: Es ist gut, dass sich die Filmförderung in diesem Punkt ergänzt - es gibt keine Konkurrenz. Das BMUKK fördert auf Basis des Kunstförderungsgesetzes, das andere Parameter vorsieht als das Filmförderungsgesetz. Im ÖFI geht es auch um Fragen der Qualifikation, um arbeitsrechtliche Bestimmungen. Ab einer gewissen Größe rutscht man automatisch in Strukturen einer größeren Produktion. Trotzdem würde ich mich dagegen wehren, dass das ÖFI zu we- nig innovationsfreudig oder gar innovationsfeindlich ist.

STANDARD: Der Rechnungshof kritisiert, dass es zu Interessenkonflikten kommt, wenn im ÖFI-Aufsichtsrat potenzielle Fördernehmer sitzen. Wie sehen Sie das?

Teichmann: Die Kritik ist objektiv absolut gerechtfertigt. Ich kann dazu nur sagen, dass wir uns schlicht und einfach ans bestehende Filmförderungsgesetz halten. Demgemäß sitzen Vertreter aus dem Bereich, Regie, Produktion, Drehbuch und Verwertung plus ein zusätzlicher Experte aus dem Bereich der Filmwirtschaft im Aufsichtsrat. Es stimmt, dass die Branche in dem Organ, das die Richtlinienhoheit hat, ziemlichen Einfluss hat.

STANDARD: 2010 gab es eine Explosion der Kinostarts heimischer Produktionen, oft in Konkurrenz zueinander. Was sagen Sie dazu?

Teichmann: Das könnte man sarkastisch auch als ein Erfolgsproblem beschreiben. Es ist gut, dass die Filme kontinuierlich im Kino sind. Natürlich kann es auch zu einer Kannibalisierung führen. Ob es klug ist, so viele Filme gleichzeitig ins Kino zu bringen, ist eine sensible Frage, die von der Förderung thematisiert werden muss. Da würde ich mir Kooperation unter den Verleihern wünschen.

STANDARD: Wie ist Ihre Haltung zur Digitalisierung der Kinos?

Teichmann: Ich versuche, das ÖFI ganz bewusst aus dieser Diskussion herauszuhalten, um nicht auch noch die Kinoumstellung mitzufinanzieren. Wir müssen versuchen, so viel wie möglich in die Entwicklung und Herstellung von Filmen zu investieren und weniger in Strukturen, auch wenn das natürlich kommunizierende Gefäße sind. (Dominik Kamalzadeh/Isabella Reicher, DER STANDARD - Printausgabe, 22. März 2011)