Rückschau auf die Avantgarde - mit den Mitteln der Werbung: Szene aus Peter Tscherkasskys neuem Film "Coming Attractions".

Foto: Tscherkassky

Bastler und Handwerker in der Dunkelkammer: Filmemacher Peter Tscherkassky (52).

Foto: Standard/Heribert Corn

Die Diagonale widmet dem Experimentalfilmemacher ihre Personale.

Eine starre Einstellung aufs Meer. Die Wellen preschen Richtung Ufer, brechen an einem Damm, überschwemmen ihn dabei. Der Film heißt Rough Sea at Dover, stammt aus dem Jahr 1895 und ist knapp eine Minute lang. Birt Acres und Robert W. Paul hielten ein Spiel der Elemente als Attraktion fest. Dafür war das frühe Kino besonders empfänglich – sich schrecken lassen, ohne sein Leben zu riskieren, das hatte (und hat noch heute) beträchtlichen Reiz.

In Peter Tscherkasskys aktuellem Film Coming Attractions gibt es einen Zwischentitel, der auf Acres' und Pauls filmisches Meeresrauschen verweist: Rough Sea at Nowhere. Was man daraufhin sieht, ist allerdings kein Schauspiel der Natur, sondern eine Sodaflasche, die Wasser in einen Drink pumpt. Das Bild beziehungsweise das filmische Trägermaterial ist nachbearbeitet – weshalb es fröhlich weiterwuchert und nicht länger nur abbildet, sondern selbst zu einer Idee von Fließen wird. Nirgendwo, könnte man sagen, ist da, wo der Film sich verselbständigt, zu seinem eigenen Spektakel wird.

Die Ironie von Coming Attractions zielt in mehrere Richtungen zugleich – schon der Titel ist Hinweis auf Werbeankündigungen im Kino, aber auch auf dessen Überwältigungspotenzial. Es geht um den tieferen Zusammenhang zwischen Avantgardefilm und frühem Kino – ein wichtiger Aufsatz des Filmhistorikers Tom Gunning wird mehrfach zitiert; seine Aneignungspolitik exerziert der Film allerdings anhand von Werbefilmen durch, genaugenommen, deren Resten, in denen die Geste der Models noch nicht sitzt oder das Bild nicht stimmt (was wiederum durch den Umstand, dass Werbung sich immer wieder am Avantgardefilm bedient hat, wie eine gewitzte Retourkutsche erscheint).

Coming Attractions erhielt in Venedig letztes Jahr den Preis als bester Kurzfilm in der Sektion Orrizonti, was die Bedeutung des heimischen Experimentalfilmschaffens noch einmal hervorhebt. Tatsächlich lässt sich der Film auch als eine Summe von Tscherkasskys bisherigem Werk betrachten, mit dem er den Film und seine Apparatur – sozusagen zu dessen Abenddämmerung – noch einmal als komisch-euphorische Revue präsentiert. Nicht umsonst beginnt er mit einem Blick in den Rückspiegel und arbeitet danach diverse Formen eines "kubistischen Kinos" durch, in dem etliche Avantgardepositionen ihr Echo finden.

Witz und Analyse

Bei der diesjährigen Diagonale-Personale kann man nun selbst im Rückspiegel überprüfen, wie sich Tscherkasskys Schaffen seit seinem frühesten Film, Aderlass (1981), wiederholt neu ausgerichtet und zugleich verfeinert hat. Aderlass ist noch kein Found-Footage-Film, er schließt mit seiner Standortbestimmung eines Künstlers/Performers im Stakkato-Gespräch an aktionistische Arbeiten an, wenngleich eher im Gewand eines Poseurs.

Schon dieser Film weiß genau um seine historische Position, um ein unwiderrufliches Danach-Sein, aus dem jedoch kein postmodernes Alles-ist-Möglich resultiert, sondern der Versuch, sich gegenüber der Filmgeschichte und den sie begleitenden Lektüren (Psychoanalyse, Semiotik) in einem zeitgenössischen Sinn zu bewähren. Das kann mitunter die Form eines Witzes annehmen, wie in Shot/Countershot (1987), in dem das gängige narrative Verfahren des Erzählkinos in einer einzigen Einstellung wörtlich umgesetzt und damit sabotiert wird: Ein Cowboy schießt und kriegt selbst eine Kugel ab. Oder es kann, wie in Tabula Rasa (1987/89), zu einer umfassenden Auseinandersetzung mit dem filmischen Blick und seinem voyeuristischen Zugriff auf den Körper veranlassen.

Auch das Ausgangsmaterial (mitsamt seinen spezifischen Konnotationen) wechselt mit den Jahren: Von Super-8 über 16 mm bis 35 mm ist Tscherkasskys Werk quasi einem ständigen Blow-up unterworfen, in dem sich auch eine sinnlich-taktile Komponente immer stärker bemerkbar macht. Seine Arbeit in der Dunkelkammer, in seiner "Manufraktur", wo Bildstreifen manuell belichtet, kopiert, bearbeitet und collagiert werden, ist bereits im produktionstechnischen Sinne ein Handwerk – wenngleich eines, das nur er selbst ausübt.

In der Cinemascope-Trilogie führt er diese Technik zum Höhepunkt: Outer Space und DreamWork nutzen als Ausgangsmaterial den Horrorfilm The Entity, um zwei autonome Kunstwerke zu schaffen, in denen das Material einmal gegen die Protagonistin gewaltvoll aufbegehrt und einmal zur nächtlichen Irrfahrt durch unbewusste Gedankenströme gerinnt. Auseinandernehmen, um das Licht durch die Risse zu lassen: Näher war Tscherkassky der Energie, die dem Medium Film eigen ist, noch nie. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD/DIAGONALE – Printausgabe, 22. März 2011)