Auch US-Gitarrist und Hundefreund Bill Frisell kommt nach München.

Foto: billfrisell.com

Wer als Jazzmusiker nicht hier mit Ethno und dort mit der Klangsprache der Neuen Musik würzt, sich also keinerlei Grenzüberschreitungen leistet, steht fast allein auf weiter Flur.

Als Ausnahmeerscheinung gilt allenfalls, wer Crossover noch radikaler versteht - so wie jene Interpreten der improvisierten Musik, die zu Jazz Lines (27. 3. bis 4. 4.) eingeladen wurden. Das Festival bricht mit stilistischer Offenheit aus dem nach Sparten sortierten Kulturbetrieb: Diese Biennale der Avantgarde erhebt ab kommendem Sonntag neun Tage lang "musikalische Randgänge zum Programm", so Hortensia Völckers. Die künstlerische Direktorin der Kulturstiftung des Bundes unterstützt diese Veranstaltungen, die "voller Neugierde und Offenheit untersuchen, nach welchen Künsten das Herz des Jazz heute schlägt".

Eine geradezu traditionelle Symbiose mit Außermusikalischem scheint die Begleitung von Stummfilmen. Doch wenn der französische Bassist Renaud Garcia-Fons in Quintettbesetzung den ersten abendfüllenden Trickfilm improvisatorisch mit einbezieht, ist er fern aller starren Konzepte von Stummfilmpianisten.

Wie er seine Erfahrungen etwa mit orientalischer Musik umsetzt, wird nicht bloß als brave Untermalung für Lotte Reinigers Scherenschnittfilm Die Abenteuer des Prinzen Achmed wahrgenommen; ebensowenig wie die einmal zart, dann wieder deftig-ironisch daherkommende Musik des Schweizer Ensembles Koj zur frühen Lubitsch-Komödie Die Bergkatze. Jazzgitarrist Bill Frisell orientiert sich für seine Musical portraits from Heber Springs an Motiven des Dokumentarfotografen Michael Disfarmer aus den 1930er- und 1940er-Jahren.

Eröffnen werden den ersten Abend im Volkstheater deutlich schrägere Kollegen. Unter Einsatz aller Mittel (vom Freejazz bis zum Trauermarsch) thematisiert das Quartett des italienischen Saxofonisten Francesco Bearzatti das Leben der Schauspielerin, Fotografin und revolutionären Kämpferin Tina Modotti.

Der eigentliche Crossover-Anarchist tritt am vorletzten Festivaltag in der Muffathalle auf: Da wird der Finne Kimmo Pohjonen sein Akkordeon auf Heavy-Metal-Lautstärke bringen, es jaulend und kreischend gegen improvisierte Optik antreten lassen. Bei Kontrabassist Bruno Chevillon wiederum sind gesungene und rezitierte Texte von Pasolini Bestandteil seiner Solo-Performance Ou la rage sublime.

Zwei Stars der Münchner Kammerspiele setzen ihr Handwerk der Interaktion mit improvisierter Musik aus: Stefan Merki mit Thomas Bernhards Meine Preise; Annette Paulmann, 2010 von der Zeitschrift Theater heute zur "Schauspielerin des Jahres" gewählt, bei der Live-Version eines Hörspiels nach Briefentwürfen der tschechischen Dichterin Bozena Nemcová.

Zu hören kriegt man aber auch spannende und aufwändige Projekte der rein musikalischen Art: So hat das Münchner Kammerorchester unter Beat Furrer improvisierte Passagen zu bewältigen. Und zum erheiternden Irrwitz der zehn Franzosen von Les 1000 cris gesellt sich eine zu jeder Schandtat bereite Opernsängerin. (Klaus von Seckendorff, DER STANDARD - Printausgabe, 25. März 2011)