Ein Karpaltunnelsyndrom entsteht, weil der Medianusnerv im Bereich des Handgelenks nicht mehr genügend Platz hat.

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Wie kleine Nadelstiche piekst es in den Fingern, es kribbelt und schmerzt. Nachts ist es am schlimmsten, viele wachen davon auf. Diagnose: Karpaltunnelsyndrom (KTS). Bis zu fünf Prozent der Bevölkerung leidet darunter. Die meisten erkranken im Alter von 40 bis 70, Frauen häufiger als Männer. Ein KTS entsteht, weil der Medianusnerv im Bereich des Handgelenks nicht mehr genügend Platz hat. Der Nerv zieht dort durch einen Tunnel, gemeinsam mit Sehnen für die Beugung der Finger. Boden und Seitenwände dieses Karpaltunnels formen Knochen, die Tunneldecke ein derbes Band. "Dass es dem Nerv im Kanal zu eng wird und er gereizt reagiert, kann viele Gründe haben", sagt Hans-Eberhard Schaller, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Handchirurgie. "Vollständig klären konnten Forscher aber noch nicht, warum manche Menschen ein KTS bekommen und andere nicht."

Der Medianusnerv sorgt dafür, dass wir Berührungen, Druck und andere Gefühle im Bereich der ersten drei und der Hälfte vom vierten Finger wahrnehmen. Deshalb nehmen Patienten die Beschwerden vor allem in diesen Fingern wahr, am Anfang vor allem nachts oder bei bestimmten gleichförmigen Tätigkeiten wie Radfahren, Stricken oder Computertippen. "Schüttelt man dann die Hand aus, macht sie mehrmals zur Faust oder reibt die Handfläche, bessern sich die Symptome typischerweise", erklärt Schaller. Ein stärkerer Schaden des Nervs äußert sich durch Missempfindungen, die manche als "elektrische Schläge" beschreiben, außerdem kribbeln die Finger. Später fühlen sie sich immerzu taub an, feine Arbeiten mit der Hand wie Sticken oder Stopfen fallen schwer.

Im Spätstadium können Patienten den Daumen nicht mehr so gut abspreizen oder zum kleinen Finger führen, denn der Medianusnerv bewegt einige Muskeln am Daumenballen. " Viele spüren jahrelang nur relativ wenige Beschwerden und phasenweise gar keine", weiß Schaller. Schlimmer kann es in der Schwangerschaft werden, nach Verletzungen oder bei Überlastungen, etwa durch schwere Gartenarbeit.

Eindeutige Zeichen

"Die Symptome sind meist so eindeutig, dass wir die Diagnose oft schon allein durch die Beschreibung des Patienten und die körperliche Untersuchung stellen können", sagt Thomas Hintringer, leitender plastischer Chirurg am Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern in Linz. "Elektrophysiologische Tests führen wir aber immer durch, um andere Krankheiten auszuschließen." Der wichtigste ist die Neurografie. Damit misst der Arzt die Geschwindigkeit, mit der der Medianusnerv Informationen weiterleitet. "Damit können wir den Schaden auch genau lokalisieren", sagt Hintringer, "manchmal wird der Nerv nämlich nicht im Karpaltunnel, sondern weiter oben eingeengt, zum Beispiel am Unter- oder Oberarm." Röntgen oder Kernspintomografie ordnet er an, wenn er andere Ursachen vermutet. So können beispielsweise Knochenvorsprünge an der Halswirbelsäule auf Nerven im Halsbereich drücken und ähnliche Beschwerden verursachen.

Die Therapie hängt von den Beschwerden ab. Am Anfang kann eine Schiene oder Kortison helfen. Dauern die Symptome an, raten Experten aber meist zu einer OP. "Operieren wir zu spät, kann der Nerv schon so geschädigt sein, dass er sich nicht wieder erholt", warnt Hintringer. Das äußere sich dann durch bleibende Gefühlsstörungen, Schmerzen oder Muskelschwäche. Bei der Operation spaltet der Chirurg das quer verlaufende Band, außerdem befreit er den Nerv von einengendem Gewebe.

Früher gab es nur die Operation, seit den 90er-Jahren auch endoskopische Verfahren. Hierbei führt der Arzt zwei kleine starre Rohre im Handgelenksbereich ein, die OP ist dieselbe. "Zu Beginn waren viele Chirurgen begeistert von der Endoskopie", erinnert sich Hildegunde Piza, Präsidentin der österreichischen Gesellschaft für Handchirurgie, inzwischen zeigten aber diverse Studien, dass die Technik nicht besser ist als die offene. Schaller: "Wichtig ist die Erfahrung des Operateurs." Hat ein Operateur nur 25-mal die Zwei-Rohr-Methode durchgeführt, kommt es durchschnittlich bei knapp sechs von 100 Patienten zu Komplikationen; bei mehr als 100 Eingriffen dagegen bei weniger als einem von 100. Für die endoskopische Technik bräuchte ein Chirurg jedenfalls mehr Erfahrung als für die offene.

Nach der OP bessern sich die nächtlichen Schmerzen meist sofort. "Wenn nicht, ist das ein Alarmzeichen für eine Komplikation, etwa einen Bluterguss", sagt Schaller. Gefühlsstörungen verschwinden normalerweise innerhalb von Tagen bis Wochen. Mehr als jeder zweite Patient hat gleichzeitig ein KTS auf der anderen Seite - dann fängt die Therapie von vorn an. (Felicitas Witte, DER STANDARD, Printausgabe, 28.03.2011)