Sven Regener: "Gebt es doch mal eine Nummer kleiner."

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Standard: Sie meinten anlässlich des Erscheinens von "Der kleine Bruder", dass Sie beabsichtigen, keine weiteren Romane schreiben zu wollen. Handelt es sich bei den nun in Buchform veröffentlichten Blogs um einen Notnagel?

Regener: Ich habe damals bloß auf die ewige Frage, ob es denn einen vierten Lehmann-Roman geben würde, gemeint: Nö. Dass heißt ja nicht, dass man keine Romane schreibt. Und nicht mal bezüglich Lehmann kann man nie "nie" sagen. Wenn ich eine Idee dafür hätte, würde ich das schon machen. Es gibt allerdings keinen Grund, das anzukündigen oder darüber zu reden. Ich habe mir meine alten, für diverse Zeitschriften verfassten Blogs einfach noch mal angeschaut und hielt deren Veröffentlichung in Buchform eine gute Idee, zumal sich mit der Figur des Hamburg-Heiner ein roter Faden durchzieht und die Lektüre erträglich macht. Das zerfleddert nicht.

Standard: Darf man sich die Figur Hamburg-Heiner als Ihren inneren Schweinehund vorstellen, der sie zum konzisen Schreiben treibt? Blogs wirken oft auch wie eine elektronische Häuslwand.

Regener: Hier wird oft Form und Inhalt verwechselt. In Blogs kann man im Grunde genommen machen, was man will. Ein Kriterium ist nur, dass dies in gewisser Regelmäßigkeit ins Netz gestellt wird. Man kann einen Blog literarisch anlegen oder als Tagebuch. Viele Blogs sind journalistisch konzipiert, haben eine politische Stoßrichtung. Mein wichtigster Ansatz war, dass meine Blogs zeitlich begrenzt sind. Ein Blog existiert für jeweils 14 Tage oder so - und dann ist Schluss. Hamburg-Heiner und seine Telefongespräche mit mir habe ich eingeführt, weil ich mich blogliterarisch außerhalb der Dialogform schwertue, weil das dann leicht so meinungsschwanger wird. Ich erachte Blogs zwar als gute Möglichkeit, über Dinge zu schwadronieren, aber ich hasse es, wenn das widerspruchsfrei passiert. Wenn man einen Advocatus Diaboli reinbringt, der immer "Moment mal!" sagt, dann fängt die Sache an, Spaß zu machen.

Standard: Man führt damit eine Figur ein, die die starke Autorenstimme nicht ganz für voll nimmt. Der Leser hat es ja gerne, wenn ein Autor sich selbst scheitern lässt.

Regener: Das ist, als ob man gegen sich selber Schach spielt. Die Dialoge bekommen im Verlauf der Blogs immer wahnhaftere Züge. Als ich 2005 meinen ersten Blog geschrieben habe, hatte ich eigentlich keine Lust auf den Scheiß, aber schon am dritten Tag rief Hamburg-Heiner kurz an, und von da an fing es an zu laufen. Im Dialog kann man ja auch gut doof sein, das ist spannend.

Standard: Ihre Blogs scheinen im Hinblick auf ein imaginäres Gesamtkunstwerk geschrieben worden zu sein. Eine Chronik ohne chronikale Elemente.

Regener: Bei jemandem, der schon seit ewig und drei Tagen seine Brötchen damit verdient, künstlerisch etwas zu schaffen, ist ein gewisses Niveau ja durchaus zu erwarten. Man ist gar nicht mehr in der Lage, irgendetwas hinzutrashen. Man muss gerade beim Trashen und Blödeln ganz genau überlegen, wie und was man da macht. Das Komische ist, dass das die Leute sowieso erst ernst nehmen, wenn das in Buchform rauskommt. Ich habe ein Foto eines Bekannten online in den Blog gestellt und ihn vorher gefragt, ob das denn okay sei. Er meinte: "Klar, mach ruhig." Und als es jetzt gedruckt auf Papier erschien, bekam ich Probleme, weil er sich aufregte: "Aber doch nicht in Buchform!" Und der besagte Bekannte ist einer, der mir dauernd erzählt, dass die neuen Medien die Zukunft seien und das Buch verschwinden würde.

Standard: Das sind die Leute, die sich über die Transparenz im Internet freuen, 80 Fotos ihrer Kinder auf Facebook hochladen und sich dann aufregen, wenn diese dann auf anderen Seiten auftauchen.

Regener: Man überschätzt und unterschätzt etwas gleichzeitig. Als das Fernsehen kam, hieß es, es würde bald keine Kinos mehr geben. Jetzt heißt es: Es wird keine Bücher mehr geben, es wird keine Schallplatten mehr geben. Ein virtueller Rausch. Gebt es doch mal eine Nummer kleiner.

Standard: Man trauert jenen Formaten nach, mit denen man aufgewachsen ist.

Regener: Bezüglich der Vorstellung der Zukunft, vor allem meiner eigenen, bin ich skeptisch geworden. Man kann Downloads nicht verschenken - und geklaute Songs schon mal dreimal nicht. Die Plattenindustrie und noch stärker der Buchhandel machen über die Hälfte ihres Jahresumsatzes im Weihnachtsgeschäft. Also kann man sich schon mal klarmachen, dass CD und LP nicht aussterben werden. Mit zunehmendem Alter wird man Prophezeiungen gegenüber skeptischer - wahrscheinlich, weil man schon so oft gehört hat, dass von irgendetwas der Tod vorausgesagt wird.

Standard: Kann man dieses Phänomen nicht als ein sehr deutsches bezeichnen? Die Goethe-Institute sind in der Krise, die Musikindustrie stirbt, der Pop ist tot ...

Regener: Es geht nur noch mit Alarm. Die Vorstellung ist ja auch schön, an einer apokalyptischen Zeitenwende teilnehmen zu dürfen. Die Printmedien werden nie wieder so sein, wie sie einmal waren - klingt doch besser, als zu sagen: Internet gibt es jetzt auch noch dazu.

Standard: Das Internet hat den Papierverbrauch verdoppelt.

Regener: Ich hab in den 1980er-Jahren sehr oft als Tippse gearbeitet, am Internationalen Institut für vergleichende Gesellschaftsforschung mit Schwerpunkt Arbeitspolitik in Berlin. Da war sehr viel vom papierlosen Büro die Rede, wegen Computer und so. Das ist nie gekommen. Papier wächst nach, ist alles halb so wild. Auch davon geht die Welt nicht unter. Der Leitz-Ordner stirbt aus, auch damals schon ein apokalyptisches Szenario. Noch lebt er!

Standard: Gelassen bleiben, nicht alarmistisch werden.

Regener: Niemand will der Idiot sein, der gesagt hat, Tonfilm wird sich nicht durchsetzen.

Standard: Sie sind gerade 50 geworden. Ist der Eindruck richtig, dass sich Sven Regener auf die Deckungsgleiche von künstlerischem Ausdruck und biologischem Alter insgeheim freut?

Regener: Das ist im Blog-Buch durchaus auch als Spiel zwischen mir und Hamburg-Heiner zu verstehen. Eine klassische Zweikampfsituation. In dem Moment, wo der eine in die Offensive geht, kann der andere wenig dagegenhalten. Man kühlt sich selbst runter. Da wird Sven dann sehr langsam und bedächtig, während Heiner sich aufpumpt und durchdreht - und umgekehrt. Koketterie mit dem Alter gibt es natürlich auch. Eine direkte Zäsur mit 50 sehe ich aber nicht. Wenn man 35 wird, ist das schlimmer. Da merkt man das erste Mal, dass man sterblich ist. Nicht umsonst hören da alle Sportler mit ihrer Karriere auf - oder die Jusos und die Junge Union. Mit 35 muss man da raus.

Standard: Ihre Band Element of Crime ist es immer schon ruhiger angegangen.

Regener: Wir spielen heute schneller als früher. Früher machten wir extra provokativ auf extra langsam und kaputt. Kaputte Typen in kaputten Anzügen. In dem Alter ist das sehr charmant. Mit 50 sieht das scheiße aus. Oh, Mann, der arme Mann, hoffentlich schafft er es bald in die Reha. Das sind Gedanken, die man nicht unbedingt evozieren will, wenn man Rock 'n' Roll spielt.

Standard: Die Blogs über das Tourneeleben funktionieren diesbezüglich als Trauerarbeit?

Regener: Es wirkt wesentlich wunderlicher, als es ist. Ich treibe mich selber in die Enge, stelle mich dar wie der letzte Depp. Nur so kann ich damit rechnen, dass das überhaupt jemand interessiert. Ich denke, ich sehe, ich mache, ich tue, ich, mir, mich. Kein Widerspruch von Hamburg-Heiner. Das ist zu wenig. Das wären dann Celebrity-Twitters von Lady Gaga oder Justin Bieber. Die schreiben das alle ja nicht selber. Da nimmt man ein paar Mark in die Hand und zahlt damit Leute, die sich den ganzen Tag so einen Scheiß ausdenken wie: Ich sitze hier im Restaurant Blabla und esse Blabla. Nicht alles im Leben muss interessant sein.

Standard: Apologie des Klatsches.

Regener: Die meisten Dinge gibt es, weil sie einen Zweck erfüllen. Die müssen nicht gut sein. So auch Klatsch. Man hat es hier auch mit Dünkel und Neid zu tun, mit Boshaftigkeit. Die Welt kann sich verbessern, aber nicht das Subjekt. Die Leute sind immer gleich. Sie interessieren sich zu allererst für Porno und dann für Sex, Sex, Sex. Warum auch nicht? Man muss kein Freudianer sein, um das zu wissen. Klatsch, das Bedürfnis, sich die Welt simpel zu machen, Verschwörungstheorien kommen noch dazu. Weiters die üblichen Geisteskrankheiten wie Antisemitismus. Schauen Sie sich nur all die Postings an im Internet.

Standard: Schwarmintelligenz, negativ gedeutet.

Regener: Wenn es keine Schwarmintelligenz geben würde, hätten wir keine Demokratie. Man darf sich aber nicht zu viel davon erwarten. Wenn wir nicht davon ausgehen, dass es besser werden könnte, wären wir wirklich zugeschissen. Andererseits: Warum soll sich ausgerechnet im Internet ein Heilsversprechen verstecken? Menschen sind weder besonders gut noch besonders schlecht. Das Internet funktioniert wie ein Spiegel: Wir kucken in unserer ganzen Doofheit rein - und in unserer ganzen Doofheit wieder raus.

Standard: Man hält als Blogger den Kopf hin, damit draußen im Land weniger Bluttaten geschehen.

Regener: Der Blitzableiter funktioniert nicht. Der ganze Scheiß mit Antisemitismus oder Fremdenhass muss aus den Leuten raus. Denen hört sonst keiner mehr zu. Die sitzen zu Hause in Einzimmerwohnungen im Neubaugebiet und sind verbittert. Das ist nicht therapierbar, das ist so. (Christian Schachinger, DER STANDARD/ALBUM - Printausgabe, 26./27. März 2011)