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Thomas Struths Retrospektive "Fotografien 1978-2010" ist bis 19. 6. 2011 in der Kunstsammlung NRW Düsseldorf, anschließend in London und Porto zu sehen. Gleichnamige Monografie erschien im Schirmer/Mosel-Verlag: € 59,70 / 248 S., München 2011

Foto: Schirmer/Mosel

Im Februar 2011 erzielte eine Fotografie des Düsseldorfer Künstlers Thomas Struth bei einer Auktion bei Sotheby's in London den sensationellen Preis von 415.590 Euro. Das anno 2000 entstandene, im Rahmenformat 160 x 187 cm in einer Auflage von zehn Exemplaren existierende Bild zeigt ein Selbstporträt des Fotografen vor dem berühmten Gemälde Albrecht Dürers in der Alten Pinakothek in München. Dieses den Künstler artifiziell in Korrelation zu einem der kunsthistorisch relevantesten Selbstporträts setzende Doppelporträt führt direkt zu einem zentralen Punkt im Œuvre des 1954 in Geldern am Niederrhein Geborenen: dem Betrachten.

Das übergeordnete Thema, mit dem Struth, einst Student bei Gerhard Richter sowie Bernd und Hilla Becher, sich kontinuierlich auseinandersetzt, ist "der Akt des Sehens und dessen Bedeutung im Wahrnehmungskontext" . Seine prioritären Motive - Situationen der Wirklichkeit - subsumiert eine sorgsam kuratierte, breitgefächerte Retrospektive in der Düsseldorfer Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen; lapidar unter Fotografien 1978-2010 firmierend, akkordiert von gleichnamiger Monografie. Repräsentative Höhepunkte seines Schaffens - Werkgruppen von Familienporträts, Museumsbildern und Naturstudien - kontrastieren mit neuen, archaischen Tableaus, die die unterkühlte Ästhetik von Industrie- und Hightech-Szenarien thematisieren.

Sein Interesse an komplexen visuellen Phänomenen und Strukturen - Nähe und Ferne, Schärfe und Unschärfe, divergierende Formen, Wiederholung und Variation - wird als Abbild in fotografische Kompositionen transformiert und spiegelt perfid sowohl den gegenwärtigen Status der Gesellschaft als auch die Zukunft menschlicher Zivilisation wider.

Als strenger Formalist, der entgegen tendenziellen Usancen jegliche künstliche Inszenierung ebenso wie digitale Manipulation ablehnt, fokussiert Struth subtil, mittels Reduktion auf Realität und Produktivität, auf die "Wirklichkeit als ästhetische Erscheinung" .

Anzumerken ist im Kontext des in London Anfang dieses Jahres erzielten Preises (Platz 6 unter den Top-Ten-Auktionsergebnissen generell, siehe Tabelle), dass dieser in Kontrast zum signifikanten Markteinbruch der letzten Jahre liegt. So betrug weltweit der Umsatz bei Auktionen 2009 nur 646.510 Euro im Gegensatz zum umsatzstärksten Jahr 2007 mit 3,82 Mio. Euro. Aus diesem Zeitraum datieren die höchsten Zuschläge für Struths Werke, die bemerkenswerterweise meist in der Sparte "Contemporary" , selten als klassische "Photograph-Sales" versteigert werden. Indiz für eine Erholung des grosso modo im angloamerikanischen Raum befindlichen Marktes? (Gregor Auenhammer, DER STANDARD/ALBUM - Printausgabe, 2./3. April 2011)