Edlinger: Ich hatte einmal eine Freundin, die wollte immer wissen, was gerade los ist mit mir. Eigentlich interessiere ich mich aber gar nicht so sehr für mich.

Divjak: Aha. Aber wenn der Herr wieder leidet, sollen ihm bitte doch alle zuhören und das Händchen halten. Du hast einmal eine Therapie gemacht, oder?

E: Das war eine Krisenintervention, das gilt nicht. Was mir eher auf den Senkel geht, ist der ständige Selbstbefragungsmodus auf Autopilot: Sag mir, wer du bist, und ich sag dir, dass ...

D: ... mich das nicht interessiert?

E: So ähnlich. Wenn ich mir zum Beispiel ansehe, was bei uns aus Pop und seinen eskapistischen Versprechungen geworden ist: Bigger than life, das ist heute die Chrischtl Stürmer. Eine Anti-Lady-Gaga zum Anfassen, ein Frechdachsgesicht zum RTL-2-Werbung-Machen.

D: Bei Helden von morgen galt doch auch das Mantra: Sei du selbst, sei authentisch. Ausgerechnet in einer Castingshow, dem künstlichsten Ding seit der Erfindung von Coca-Cola.

E: Hauptsache echte Emotionen in falschen Kleidern. Heute Glamrock, morgen Schlafrock. Also, bei allem Respekt vor unserer privat sicher extrem wilden Musicalröhre Cornelia Mooswalder und frei nach Karl Kraus: Fad bin ich selbst.

D: Na ja, manchmal kann das echte Leben schon sehr viel. Hast du schon von den "Burgtheater-Porträts" gehört?

E: Sind das Ölschinken von Ritter, Dene, Voss oder was?

D: Nein, nicht Thomas Bernhard. Auf dem Programm stehen Alltagsbegegnungen mit Menschen, die den Theaterbetrieb ermöglichen, aber sonst nicht in der ersten Reihe stehen: Ein Feuerwehrmann als singender Walzerkönig. Eine junge Komparsin, die den Brustkrebs besiegt und das so mutig vermeldet, dass es einem richtig einfährt. Und auf der Showbühne: der Leiter der hauseigenen Gastrostube. Auf der Premierenfeier konnte man nicht sagen, wer das größere Burgtheater-Ego hat: der Direktor himself oder der polternde, alles umarmende Kantinen-Heinzi.

E: Apropos Burgtheater-Egos: Schlingensief hat ja auch oft Amateure auf die Bühne gehievt, auf dass diese die heiligen Bretter mit realem Psychoschutt zumüllen. So etwas mag als Frischzellenkur für das nobel dahinfaulende Theater gewirkt haben, aber das Volk hat Schlingensief den Seelenexhibitionismus im Kampf mit seinem Krebs übel genommen. Die Scharfrichter unter den Postern haben es es nach seinem Tod gleich gewusst: Der Krebs war eine gerechte Strafe für den Nestbeschmutzer.

D: Echt? Gruselig.

E: Ja. Das echte Leben da draußen. Leider.