Straßburg/Athen/Brüssel - Das Europaparlament hat sich "bestürzt" über Repressalien gegen die türkische Menschenrechtsvereinigung (IHD) geäußert. Die Straßburger Versammlung wies am Donnerstag darauf hin, dass die Zentrale der IHD in Ankara am 6. Mai von Mitgliedern der türkischen Anti-Terror-Einheiten und einem Staatsanwalt des zuständigen Staatssicherheitsgerichts durchsucht wurde. In einer Entschließung forderte das Parlament die Regierung in Ankara auf, "unverzüglich die Gründe für diese Aktion klarzustellen".

Die Europa-Abgeordneten erinnerten die Türkei, die zu den EU-Aufnahmekandidaten gehört, an ihre Verpflichtung, Menschenrechte und demokratische Grundsätze zu achten. Auch müsse Ankara endlich angekündigte Justizreformen umsetzen und die umstrittenen Staatssicherheitsgerichte abschaffen. Diese behinderten die Entwicklung eines Rechtsstaats in der Türkei, heißt es in der Entschließung. Die EU-Kommission will Ende 2004 die Lage in der Türkei erneut überprüfen und anschließend entscheiden, ob und wann mit Ankara Beitrittsverhandlungen aufgenommen werden.

Das UNO-Komitee gegen Folter (CAT) zeigte sich unterdessen besorgt über die Anwendung der Folter in der Türkei. Vor allem die Misshandlung von Gefangenen in Polizeigewahrsam sei weit verbreitet, kritisierte das UNO-Gremium am Donnerstag in Genf. Das UNO-Komitee äußerte sich nach der Prüfung des periodischen Berichts der Türkei. Es forderte die Türkei auf, zum Schutz der Gefangenen vor Misshandlungen deren Anspruch auf medizinische Versorgung, rechtlichen Beistand sowie Familienbesuche zu gewährleisten.

"Türkei muß sich der europäischen Art anpassen"

Griechenland sieht wegen der Verletzung seines Luftraums durch türkische Kampfflugzeuge die Aufnahme des Nachbarlandes in die EU gefährdet. Die Türkei müsse begreifen, dass diese Verletzungen ihren Beitritt in die Europäische Union blockieren könnten, sagte ein Sprecher des griechischen Außenministeriums, Panos Beglitis, am Donnerstag. Die Zahl der Luftraumverletzungen sei nach einer Phase relativer Ruhe in jüngster Zeit stark angestiegen.

"Die Zeiten haben sich geändert, und die Türkei muss sich der europäischen Art anpassen, wenn sie vorankommen und zu einem späteren Zeitpunkt in die EU aufgenommen werden will", sagte Beglitis weiter. Die Türkei erklärte in der Vergangenheit, die Flüge fänden in internationalem Luftraum statt. Griechenland und die Türkei haben sich in den vergangenen Jahren einander angenähert, es bestehen jedoch weiter Streitigkeiten um den Luftraum und die Seegrenzen in der Ägäis. Griechenland hat derzeit die EU-Ratspräsidentschaft inne.

Berlusconi schlägt Beitritt 2007 gemeinsam mit Rumänien vor

EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen hat sich äußerst skeptisch zu dem Vorschlag des italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi geäußert, wonach die Türkei 2007 zusammen mit Rumänien und Bulgarien EU-Mitglied werden könnte. "Man kann nicht den Wagen vor das Pferd spannen", sagte Verheugen am Donnerstag in Brüssel nach einem Treffen mit dem türkischen Außenminister Abdullah Gül.

Damit dürfte nach Einschätzung Beobachtern ein Streit in den EU-Institutionen vorprogrammiert sein, denn Italien wird vom 1. Juli an für ein halbes Jahr die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen.

Gül äußerte sich zurückhaltend zu Berlusconis Idee: "Für uns besteht der erste Schritt, die (Beitritts-) Verhandlungen zu beginnen." Auf den Kopenhagener EU-Gipfel war im Dezember beschlossen worden, dass die Verhandlungen frühestens 2005 beginnen können. "Vor uns liegt eine entscheidende Zeit", sagte Gül. Berlusconi hatte nach türkischen Zeitungsberichten das Beitrittsdatum 2007 vor türkischen Unternehmensvertretern ins Spiel gebracht.

Gül sagte zur Durchsuchung des Sitzes des türkischen Menschenrechtsvereins IHD in Ankara Anfang Mai, diese habe auf einer Gerichtsentscheidung basiert. Beschlagnahmte Akten seien zurückgegeben worden. Verheugen hatte die Aktion mit deutlichen Worten vor dem Europaparlament in Straßburg kritisiert. Der deutsche Kommissar bescheinigte Ankara insgesamt aber Fortschritte im Beitrittsprozess. Die Türkei ist seit 1999 EU-Beitrittskandidat.(APA)