Auf die Plätze, fertig, los: Rainer Behr in Wim Wenders' dreidimensionalem Tanzfilm "Pina". Ab Freitag im Kino.

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Regisseur Wim Wenders: "Es war ein Abenteuer."

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Wien - "Tanzt, tanzt, sonst sind wir verloren", dieser Satz von Pina Bausch dient als Untertitel für Wim Wenders' Film Pina. 25 Jahre lang hatten der Regisseur und die Choreografin über einen gemeinsamen Film gesprochen und nach Lösungen gesucht, wie man Bühnentanz wirkungsvoll im Film inszenieren könnte. Das 3-D-Kino eröffnete eine neue Perspektive, und das Projekt wurde konkret. Doch zwei Tage vor Drehbeginn starb Pina Bausch völlig unerwartet. Dass das Projekt nicht mit ihr begraben wurde, ist dem Tanztheater Wuppertal, "Pinas Orchester", zu verdanken. Wenn die Kamera mittanzt, werden die Zuschauer Teil der Choreografie, werden von ihr überrollt, mitgerissen, werden in diese spektakuläre, poetische, kraftvolle, emotionale und sehr lebendige Welt der Pina Bausch hineingezogen.

Standard: Die künstlerische Dimension der 3-D-Technologie in "Pina" hat auch Skeptiker überzeugt. Wie stehen Sie zu dieser Technologie?

Wenders: Sie ist de facto eine neue Sprache, ein neues Medium. Sie hat dem Kino eine ganze Dimension hinzugefügt, und weil es bisher nur zwei gab, sind drei schon mal ziemlich viel mehr. Jetzt kann man in den Raum eindringen - die Leinwand ist aufgerissen und ein wirkliches Fenster geworden. Diese tolle neue Sprache darf man einfach nicht nur den Blockbuster-Filmen und den großen Studios überlassen. Die nehmen sie als solche auch gar nicht ernst, denen reicht sie als pure Attraktion. Man muss diese Sprache erforschen! Sie ist die ideale Form, unseren eigenen Planeten kennenzulernen, nicht nur fremde.

Standard: Sie ist also auch für Dokumentarisches geeignet.

Wenders: Sie ist ideal für den Dokumentarfilm der Zukunft. Man kann natürlich auch erzählerische Filme damit machen, doch man muss Geschichten erfinden, die damit korrespondieren. Bis auf das Meisterwerk Avatar sind bis jetzt keine neuen entstanden, nur alte Rezepte wurden aufgemöbelt.

Standard: Und Sie verzichten weitgehend auf Effekte ...

Wenders: Die Attraktion sollte einzig und allein der Tanz sein und Pinas Arbeit. 3-D soll man möglichst nach zwei Minuten vergessen. Das sollte natürlich sein, selbstverständlich, sich nicht in den Vordergrund drücken. Und nicht unangenehm für die Augen!

Standard: Mit dem Film haben Sie Erfahrungen auf verschiedenen Ebenen gemacht. Wie können Sie sie charakterisieren?

Wenders: Ich habe noch nie versucht, einen Film so radikal visuell zu machen. Die Absicht war eigentlich, einen komplett sprachlosen Film zu machen, nur aus Bildern, Bewegung, Musik. Erst im Nachhinein habe ich dann aus meinen Gesprächen mit den Tänzern ein paar kleine Sätze benutzt.

Standard: Die Tänzer waren noch unter dem Eindruck des plötzlichen Verlustes. Wie stark haben Sie das beim Dreh empfunden?

Wenders: Man muss schon sagen, dass die Dreharbeiten eine Art Trauerarbeit waren. Das war eine ganz wichtige Phase für dieses Ensemble, für diese kleine utopische Menschheit, die Pina um sich versammelt hat. Die waren kopflos nach Pinas Tod, hilflos, verstört, und diese gemeinsame Arbeit hat ihnen allen geholfen, damit umzugehen. Und weil Pina selbst kein Kind von Traurigkeit war - Pina hat gern und viel gelacht - ist auch unsere Trauerarbeit oft genug keine traurige Arbeit gewesen. Die Tänzer werden das jetzt auch langfristig weitermachen, inzwischen mit einer ganz anderen Haltung. Das Tanztheater spielt nächstes Jahr während des olympischen Sommers in London im Sadler's Wells Theatre zehn Stücke von Pina hintereinander.

Standard: Meinen Sie, dass "Pina" dem Tanztheater Wuppertal eine zweite Karriere eröffnet, wie es bei den kubanischen Musikern in Ihrem Film "Buena Vista Social Club" der Fall war?

Wenders: Ich habe den Film ja nicht für die Pina-Bausch-Aficionados gemacht, die das Werk kennen und die ohnehin wissen, was für eine herrliche, lebensfrohe, einzigartige Arbeit da drinsteckt, sondern vor allem für die Leute, die nicht das Privileg hatten, das Tanztheater je live zu sehen. Im Moment kommen sehr viel junge Leute ins Kino, die Pinas Kunst nie gesehen haben. Das ist eine große Freude.

Standard: Zwischen dem Aufwand der Produktion und dem Risiko, wie ist die Bilanz?

Wenders: Es war ein Abenteuer. Als wir angefangen haben vorzubereiten sowieso, da war 3-D noch eine reine Zukunftsvision. Selbst als wir angefangen haben zu drehen, haben viele Leute gesagt: "Ihr spinnt". Eigentlich war es eine unbekannte Landschaft. Und alle Leute, die mitfinanziert haben, wollten wissen: "Gibt es das dann auch normal?" Normal hieß flach. Es hat ja niemand geglaubt, dass es 2011 so viele Kinos geben würde, die 3-D projizieren können. Es war in vielerlei Hinsicht eine Pionierarbeit: Die Technik war noch nicht ausgereift. Auf den ersten Testaufnahmen in den Straßen von Paris sah mein Assistent, der mal eine große Armbewegung gemacht hat, auf der Leinwand aus wie eine indische Gottheit mit vier Armen. Wir haben ein Jahr lang geforscht und tausend Tricks gelernt, um die Technik zu überlisten und Bewegung elegant und flüssig wiederzugeben. (Edith Wolf Perez/DER STANDARD, Printausgabe, 5. 4. 2011)