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Die Grafik vom 30. März zeigt die Ozonverteilung in der Stratosphäre rund um den Nordpol. Die hellen, ausgedünnten Bereiche erstrecken sich bis über Südskandinavien.

Foto: REUTERS/World Meteorological Organization

Auf der Darstellung vom 4. April der World Meteorological Organization ist das Ozonloch Richtung Osten weitergewandert.

Grafik: The WMO Northern Hemisphere Ozone Mapping Centre

Wien - In den 1980er Jahren war es hauptsächlich ein Phänomen der Antarktis, doch seit Mitte der 1990er Jahre erreicht der Abbau der Ozonschicht auch über dem Nordpol fallweise erhebliche Ausmaße. Derzeit verzeichnen die Experten über der Arktis mit einem Minus von 40 Prozent sogar einen traurigen Rekord. "Die bisher höchsten Werte lagen bei einem Rückgang um rund 30 Prozent in den frühen 1990er Jahren", erklärte dazu Geir Braathen von der Wold Meteorological Organisation (WMO) am Dienstag bei der noch bis Freitag in Wien stattfindenden Generalversammlung der Europäischen Geowissenschaftlichen Union (EGU).

Die ozonarmen Luftschichten erstreckten sich vergangene Woche etwa vom Nordpol bis nach Südskandinavien und haben dort an sonnigen Tagen zu erhöhter ultravioletter Strahlung geführt. Gegenwärtig driftet das Loch ostwärts, wird in den kommenden Tagen über Teilen Russlands liegen und in seiner südlichen Ausdehnung eventuell bis zur chinesisch-russischen Grenze vordringen.

Die in der Arktis vom Ozonverlust betroffenen Luftschichten könnten in den nächsten Wochen auch über Mitteleuropa driften und dabei bis zum Mittelmeerraum vorstoßen. Vor diesem Hintergrund bestätigte Markus Rex, Atmosphärenphysiker des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung in der Helmholtz-Gemeinschaft (AWI) in Wien den beispiellosen Schwund der arktischen Ozonschicht, der sich seit Mitte März weiter verstärkt hat.

Sonnenbrandgefahr im April

"Derart massiven Ozonverlust wie in diesem Frühjahr gab es bisher über der bis in hohe Breitengrade dicht besiedelten nördlichen Hemisphäre nicht", beschreibt der AWI-Forscher die aktuelle Situation. Der Ozonabbau über der Arktis bewirkt eine erhöhte Belastung mit ultravioletter Strahlung am Erdboden. Aufgrund des niedrigen Sonnenstands in der Arktis ist diese dort normalerweise kein Problem. Wenn allerdings die vom Ozonabbau betroffenen Luftmassen südwärts über Mitteleuropa, Südkanada, USA oder das zentrale asiatische Russland driften, kann die dann dort auftretende Intensität der UV-Strahlung bei empfindlichen Menschen innerhalb von Minuten zu einem Sonnenbrand führen - selbst im April.

Ob und wann so eine Situation eintritt, kann nur kurzfristig vorhergesagt werden. Die aktuellen UV-Vorhersagen der regionalen Wetterdienste sollten deshalb in den nächsten Wochen beachtet werden. Wenn es zu Episoden erhöhter UV-Intensität kommt, werden diese jeweils nur wenige Tage andauern. In dieser Zeit ist ausreichender Sonnenschutz wichtig, vor allem für Kinder.

UV-Werte wie im Hochsommer

"Die erwartete UV-Intensität während dieser kurzen Episoden liegt dann aber immer noch in dem Bereich, dem wir im Hochsommer ohnehin ausgesetzt sind und weit unterhalb der Werte, die bei Urlaubsreisen in die Tropen auftreten. Übermäßige Sorge ist daher unnötig," so Rex. "Das Problem ist, dass die meisten Menschen so früh im Jahr noch nicht mit einem schnell auftretenden Sonnenbrand rechnen und daher den Sonnenschutz weniger ernst nehmen als im Hochsommer oder im Urlaub." Jeder Sonnenbrand erhöht das Risiko, im Verlauf des Lebens an Hautkrebs zu erkranken. Dieser Effekt ist besonders ausgeprägt für Kinder.

Rex´ Kollege Esko Kyrö vom Arktischen Forschungszentrum des Finnischen Meteorologischen Instituts ergänzt: "Bei ausreichendem Sonnenschutz ist es auch in Phasen geringer stratosphärischer Ozonkonzentrationen sicher und sogar gesund, sich ganz normal im Freien zu bewegen. Gerade in den nordischen Ländern neigen Menschen nach den langen, dunklen Wintern zu Vitamin D-Mangel, und Sonnenlicht ist die wichtigste natürliche Quelle für die körpereigene Bildung dieses Vitamins."

Die tatsächliche UV-Strahlung am Erdboden wird von vielen Faktoren beeinflusst, z.B. von Wolken und von Aerosolen in der Luft. ""Alles in allem wird der Ozonschwund über der Arktis in den hohen Breiten der nördlichen Hemisphäre aber definitiv zu einer erhöhten Intensität der UV-Strahlung führen", bekräftigte Rex auf der Pressekonferenz der WMO.

Die Luftmassen mit besonders niedriger Ozonkonzentration werden sich im Verlauf des Frühjahrs auf der Nordhemisphäre durchmischen. Die Ozonkonzentration der Stratosphäre wird im Frühjahr und Frühsommer dann etwas niedriger bleiben als gewöhnlich, der Effekt ist wegen der großen Verdünnung allerdings nur noch sehr gering.

Extrem kalte Stratosphäre

Die arktische Stratosphäre ist in diesem Winter extrem kalt. Dadurch verwandeln sich die Abbauprodukte industrieller Chlorverbindungen in aggressive ozonzerstörende Substanzen. Seit Mitte März hat sich der Ozonschwund durch die Rückkehr des Sonnenlichts, das am chemischen Abbau von Ozon beteiligt ist, weiter verstärkt. Der gegenwärtige Ozonschwund über der Arktis ist der schwerwiegendste seit Beginn der Aufzeichnung von Ozonkonzentrationen mit modernen Messinstrumenten. Die Befunde basieren auf einem internationalen Netzwerk von 30 Ozonsondierungsstationen rund um die Arktis und Subarktis, deren Messungen vom Alfred-Wegener-Institut koordiniert werden.

Damit es überhaupt zum Ozon-Abbau in der Stratosphäre komme, bedarf es mehrerer Voraussetzungen. So müssen Temperaturen unter minus 78 Grad Celsius herrschen. Nur unter diesen Bedingungen können sich in Höhen zwischen 15 und 25 Kilometern jene Wolken bilden, in denen sich die chemischen Vorgänge zum Ozon-Abbau abspielen. Diese Prozesse benötigen auch Sonnenlicht, daher erreichen die Abbau-Raten meist erst im Frühling (bzw. im Herbst in der Antarktis) Rekordwerte.

Während die Konzentrationen an Ozon-schädigenden Substanzen - etwa halogenhaltige Chemikalien - weltweit abnehmen, halten sie sich in der Stratosphäre wesentlich länger. Braathen schätzt, dass über der Antarktis erst 2020 bis 2040 und über der Arktis 2045 bis 2060 das Niveau erreicht wird, das vor den 1980er Jahren gemessen wurde.

Montrealer Protokoll wirkt

Langfristig wird sich die Ozonschicht durch umfangreiche umweltpolitische Maßnahmen zu ihrem Schutz erholen. An dieser Erwartung ändert auch der nun beobachtete Rekordozonabbau in der Arktis nichts. "Durch die langfristige Wirkung des Montrealer Protokolls wird nennenswerte Ozonzerstörung ab der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts nicht mehr auftreten," erläutert Rex. Das Montrealer Protokoll ist ein 1987 unter dem Dach der UNO verabschiedetes internationales Abkommen zum Schutz der Ozonschicht, welches inzwischen die Produktion der ozonzerstörenden FCKW weltweit praktisch verbietet.

Die bereits freigesetzten FCKW werden allerdings erst in vielen Jahrzehnten wieder aus der Atmosphäre verschwunden sein. Bis dahin hängt das Schicksal der arktischen Ozonschicht wesentlich von der Temperatur in etwa 20km Höhe ab und ist damit an die Entwicklung des Klimas gekoppelt. (red)