Familiengeschichte als Puzzle, dessen Teile nicht so ohne weiteres zusammenpassen wollen: Andrea Wenzl, Sami Loris, Andreas Kiendl und Philipp Hochmair als Geschwister und Anhang in "Die Vaterlosen".

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Wien - Der Erste kommt noch in der Nacht: Niki (Philipp Hochmair) ist aus München angereist. Er ist Arzt, aber seinem sterbenden Vater kann er nicht mehr helfen. Am nächsten Morgen treffen Vito und Mizzi ein, zwei weitere Geschwister - und Kyra, die Schwester, von deren Existenz Mizzi erst jetzt erfährt. Auf einem langsam verfallenden Gutshof in der steirischen Einschicht wird nicht nur dieses Familiengeheimnis geborgen.

Die Vaterlosen heißt die Familienstudie, die sich in die Vergangenheit auffaltet, als der Hof von Männern, Frauen und Kindern bewohnt war, die dort eine Zeit lang den tradierten Lebensmodellen widerstanden. In der Gegenwart ist der inzwischen erwachsene Nachwuchs des einstigen Kommunenhäuptlings damit beschäftigt, die gemeinsame Vergangenheit einzuordnen und zu verarbeiten. Der Kommunenhintergrund relativiert sich dabei:

"Es ist eine Geschichte, die in einer Kommune spielt, aber es ist für mich letztlich eine Geschichte über Familien", sagt Marie Kreutzer im Gespräch mit dem Standard. Ein Interesse an innerfamiliären Konstellationen, Konflikten und Ambivalenzen hat schon die Kurzfilme der an der Wiener Filmakademie ausgebildeten Drehbuchautorin und Regisseurin geprägt: "Alle meine Lieblingsfilme handeln von Familien, zum Beispiel Der Eissturm oder ein Film, den ich vor unserem Dreh wieder etliche Male angesehen habe: Un conte de Noël von Arnaud Desplechin, ein ganz ungewöhnlicher Familienfilm mit einem Superhumor."

Verändert hat Kreutzer diesmal hingegen ganz bewusst das stärker skizzenhafte, offene Erzählen ihrer früheren Arbeiten: "Es ist für mich eine Qualität des Kurzfilms, dass man ihn nicht auf eine Pointe zulaufen lassen muss. Bei den Vaterlosen gab es schon im Drehbuchstadium viele Diskussionen gerade darüber, wie viel man offen lassen kann. Ich wollte zunächst gerne einzelnen Figuren folgen, nicht schlüssige Geschichten erzählen. Es hat sich aber immer mehr herausgestellt, dass das bei so vielen Figuren problematisch sein kann. So ist die relativ klassische Auflösung entstanden. Und ich merke jetzt, dass das fürs Publikum gut funktioniert."

Das galt für Publikum, Kritik und Jury bei der Berlinale, wo der Film im Februar uraufgeführt und lobend erwähnt wurde ("in Berlin wurde viel gelacht"). Bei der Diagonale erhielt Kreutzers Langfilm-Regiedebüt vor zehn Tagen dann auch gleich noch den Preis für den besten Spielfilm. Weitere Auszeichnungen gingen an die Kamerafrau Leena Koppe - wohl auch für ihr fein austariertes Spiel mit Bildebenen, die weiche Kadrierung - und die Darsteller Johannes Krisch und Marion Mitterhammer.

Überzeugende Newcomer

Unter den Schauspielern überzeugen nicht zuletzt (relative) Kino-Newcomer wie Philipp Hochmair oder Andrea Wenzl (derzeit auch am Wiener Volkstheater als Antigone auf der Bühne). Für die Regisseurin hatte die Anlage als Ensemblefilm - gegenüber einer Fokussierung auf eine Heldin - von Anfang an Priorität, wie sie betont. Daraus gewinnt dieser eigenwillige Film nun wesentlich seine Dynamik und Intensität.  (Isabella Reicher/DER STANDARD, Printausgabe, 6. 4. 2011)