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Strom, sichtbar gemacht in Form von Hochspannung im Phaeno Science Center im deutschen Wolfsburg.

Foto: Reuters/Charisius

Weil Windstrom fernab von Verbrauchszentren geerntet wird, wittert die Industrie Morgenluft. Der Ausbau der Leitungen, die auch noch wesentlich intelligenter werden sollen, verspricht einen Geldregen in Milliardenhöhe.

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Hannover - Not und Überschuss liegen mitunter weit auseinander. In der Nord- und Ostsee etwa, wo in den vergangenen Jahren ein Windpark nach dem anderen entstanden ist, wird wesentlich mehr Strom geerntet als verbraucht. Die Sonne wiederum scheint dort am kräftigsten, wo es wenig Industrie und folglich kaum Bedarf an Solarstrom gibt. Zu den großen Verbrauchszentren sind es hunderte Kilometer, wenn man nordafrikanische Solarstromfabriken mit einbezieht, sogar tausende.

Um noch mehr von dem sauberen, aber unregelmäßig anfallenden Strom aus Wind, Sonne oder anderen erneuerbaren Energieträgern in das Netz zu speisen, müsste dieses deutlich verstärkt und ausgebaut werden. Die Industrie, die bei der am Freitag zu Ende gegangenen weltgrößten Leistungsschau in Hannover versammelt war, wittert das große Geschäft.

Quer durch Europa

Egal, ob auf Masten oder in der Erde vergraben: Mit zusätzlichen Leitungen müsse gewährleistet sein, dass Strom in nicht allzu ferner Zukunft quer durch Europa fließen kann - in jedem Moment genau dorthin, wo er benötigt wird. Eine zunehmend wichtige Rolle dürfte dabei die Hochspannungs-Gleichstromübertragung (HGÜ) spielen. Diese durchschnittlich zwölf Zentimeter dicken Kabel, die einen Kern aus Kupfer haben, eignen sich wegen der vergleichsweise geringen Verluste speziell für den Stromtransport über lange Distanzen.

Den Weltmarkt für HGÜ beziffert Siemens, mit einem Anteil von rund 30 Prozent einer der führenden Anbieter auf diesem Gebiet sind, mit rund drei Milliarden Euro - Tendenz stark steigend. Die jährlichen Wachstumsraten lagen zuletzt bei gut zehn Prozent.

"Wenn wir von Atomkraft weggehen und vermehrt Erneuerbare in das Netz einspeisen, führt an HGÜ-Leitungen kein Weg vorbei," sagte Kurt Rohrig vom Fraunhofer Institut am Rande der Hannover Messe dem Standard. "Die Frage ist, wie rasch das geht" . Genehmigungszeiten von 15 bis 20 Jahren, wie man sie aus der Vergangenheit gewohnt sei, würden die angestrebte Energiewende weg von Atomkraft und fossilen Energien hin zu Erneuerbaren bremsen.

Rohrig, Bereichsleiter Energiewirtschaft und Netzbetrieb am Fraunhofer Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik in Kassel, mag im Vorhalten von Reservekapazitäten nicht der Weisheit letzten Schluss sehen: "Das sei viel zu kostspielig."

Stromkabel unter Wasser

Es mache einen Unterschied, ob ein Kraftwerk mit 8000 Volllaststunden fahre oder nur mit 1000 pro Jahr, sagte Markus John, beim Kraftzwerksausrüster ABB für den Bereich Power Generation zuständig. "Wenn das Kraftwerk nur eine Puffer-Funktion hat, um Stromschwankungen auszugleichen, ist die Investitionsrendite eine andere. Da muss man bereit sein, für erneuerbare mehr zu zahlen" , sagte John in einer Podiumsdiskussion.

Rohrig plädiert für die zweitbeste Lösung, falls die erstbeste nicht realisierbar ist: einen HGÜ-Ring rund um Europa. "Das wäre zwar um einiges teurer als Leitungen über Land, aber allemal billiger als wenn man Schattenkraftwerke und zusätzliche Speicherkapazitäten bereitstellen müsste" .

Erst Anfang des Monats hat Siemens Energy mit der Betreibergesellschaft BritNed eine HGÜ-Verbindung zwischen Großbritannien und Niederlande in Betrieb genommen. Ein 260 Kilometer langes Seekabel verbindet seither die 400-Kilovolt-Netze dies und jenseits des Ärmelkanals.  (Günther Strobl, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 9./10.4.2011)