Diese Ansichtssache zeigt einige Bilder aus Ivo Kocherscheidts Ausstellung ERITREA, die am 15. 4. um 19 Uhr eröffnet wird.
1090 Wien, Wasgasse zw. Kolingasse und Hörlgasse: www.ventilazione.at; 16. April - 8. Mai

Foto: Ivo Kocherscheidt

Die alte Gaggia röchelt ums Überleben. Sekunden später tropft der brühend heiße Kaffee in die Tasse. Es duftet nach geröstetem Kardamom. Senait, die Dame hinter der Theke des Cinema Roma, dreht sich zum Regal und greift nach einem Fläschchen Gingerino. Das knallrote alkoholfreie Getränk ist eine Erinnerung an das Mutterland Mussolinis, als Eritrea noch italienische Kolonie und Asmara noch heimliche Hauptstadt der Bella Vita war.

"Wir haben den Italienern einen Teil unserer Kultur zu verdanken", sagt Johannes Werede, bestellt ebenfalls einen Espresso, dazu ein Glas Zibib, eine Art ostafrikanischen Ouzo. Wie die meisten seiner Generation spricht der 73-jährige Bauingenieur fließend Italienisch. "Und wenn ich von Kultur spreche, dann meine ich nicht nur die Sprache und die reiche Bar- und Kaffeekultur, die wir von den Italienern übernommen haben. Nein, dann spreche ich vor allem von Architektur." Als Eritrea 1889 von den Italienern besetzt wurde, war Asmara noch ein Dorf mit ein paar tausend Einwohnern. Dank seinem milden Klima in 2300 Meter Höhe wurde der Ort im Zuge der Kolonialisierung zur stattlichen Kapitale ausgebaut. Die Architekten und Bauingenieure vom Apennin konnten sich hier austoben und schufen eine futuristische Musterstadt aus Glas und Beton. Bis heute weist Asmara die weltweit höchste Dichte an Gebäuden der Moderne auf. Ein Traum aus der Retorte.

"Das waren die Zwanziger- und Dreißigerjahre, damals war Mussolini an der Macht", erklärt Werede. "Doch während es in Rom kaum Platz gab, um die charakteristische Architektur des Fascismo zu verwirklichen, standen die Baumeister in Asmara vor einer grünen Wiese voller Möglichkeiten." Rund 400 Gebäude wurden in dieser Zeit errichtet. Die meisten von ihnen, auch wenn sie nicht mehr benutzt werden, scheinen bis heute zu ihren Betrachtern zu sprechen. Sie erzählen Geschichten von Leichtigkeit und Schwerelosigkeit, Geschichten von einem scheinbar unbekümmerten Leben, als der kräfteraubende, 30 Jahre lang anhaltende Unabhängigkeitskampf gegen Äthiopien noch in weiter Ferne lag.

Eine Stadt voller Futurismus

Eines der aufsehenerregendsten Bauwerke ist die 1938 vollendete Tankstelle Fiat Tagliero an der Sematat Avenue. Der feine, weiße Bau von Giuseppe Pettazzi sieht aus wie eine Kreuzung zwischen einem Segelflugzeug und einem Wochenendhaus von Frank Lloyd Wright. Als hingen sie auf unsichtbaren Fäden vom Himmel, zischen die beiden Dachflächen 15 Meter weit ins Nichts hinaus. Weit und breit keine Säule. Ein konstruktives Meisterstück. "Asmara ist reich an moderner Architektur", sagt Werede, "aber ich denke, von allen futuristischen Bauwerken in dieser Stadt ist Fiat Tagliero mit Abstand das beste."

Zur feierlichen Eröffnung im Jahre 1938, erzählt man sich, soll der Architekt einen Revolver mitgenommen haben. Und warum? "Da scheiden sich die Geister. Es gibt eine Variante, die sich die Statiker erzählen, und eine, die sich die Beamten erzählen. Doch die Wahrheit ... die kennt niemand."

Die Beamten-Variante: Pettazzi zielte mit dem Revolver auf die Bauarbeiter und zwang sie, die letzten provisorischen Holzstützen unter dem Betondach zum Einsturz zu bringen. Er war davon überzeugt, dass die waghalsige Konstruktion halten würde. Mit Erfolg.

Die Statiker-Variante: Im Zuge der Eröffnung wollte man die letzten Hilfsstützen unter dem Dach publikumswirksam entfernen. Sollte die Konstruktion wider Erwarten einstürzen, wollte sich Pettazzi an Ort und Stelle das Leben nehmen. Die Knarre blieb in der Hosentasche, das Gebäude steht bis heute.

Nur wenige Meter weiter befindet sich die Gummireifen-Fabrik IRGA, erbaut 1961 von Carlo Mazzetti. Die Fassade ist mit roten und gelben Glasmosaiken verfliest. Auf den Stufen vor dem Eingang sitzt der ehemalige Mechaniker Kidane Biteu. "Diese Stadt hat den Futurismus damals besser verkörpert als ganz Europa", sagt der 85-jährige Mann. "Ich kann mich noch genau erinnern. Als ich ein Kind war, gab es in Asmara mehr Autos und mehr Verkehrsampeln als in ganz Rom!"

Die IRGA-Fabrik, in der er später gearbeitet hatte, war ein brummendes Geschäft. Ständig rollten Autos ein und aus. In einer Halle wurden die Reifen geflickt, in der anderen die Motoren. Mittlerweile sind die Werkstätten geschlossen. Im Lager stapeln sich Reifen des südkoreanischen Herstellers Hankook. Ein Rettungsversuch. Das Geschäft ist tot.

"Am meisten tut mir weh, mitansehen zu müssen, wie die Gebäude ohne jede Nutzung verfallen", erklärt Werede Johannes. "Dabei wurde die Fiat-Tankstelle nach ihrer Schließung 1996 in ein Café umgewandelt. Das war eine tolle Idee. Doch der jetzige Besitzer hat das alles wieder gestoppt." Kahsay Haile, gebürtiger Eritreer und Eigentümer der geschichtsträchtigen Immobilie, setzte sich nach Abu Dhabi ab und überlässt die Tankstelle seitdem ihrem Schicksal. Daran kann auch der gesetzliche Denkmalschutz nichts ändern.

Dass es auch anders geht, beweist das Cultural Assets Rehabilitation Project (CARP). Die Rettungsoffensive wurde von der eritreischen Regierung gegründet und wird zum Teil mit EU-Geldern finanziert. Zur Erhaltung der historischen Bausubstanz sieht der CARP einen Drei-Stufen-Plan vor: Nutzung, Sanierung und Erklärung zum Unesco-Weltkulturerbe.

"Seit fünf Jahren bemühen wir uns darum, dass die Innenstadt von Asmara in die Unesco-Liste aufgenommen wird", sagt Johannes Werede. Doch bisher ohne Erfolg. Bis es so weit ist, werden die wichtigsten Nationaldenkmale mit den zur Verfügung stehenden Mitteln notdürftig saniert und restauriert.

"Doch das Wichtigste ist, dass die Bauwerke benützt werden. Ein Haus, das verwendet und zumindest ansatzweise gepflegt wird, ist immer noch besser als eine Ruine", sagt der pensionierte Bauingenieur Werede aus Erfahrung. Die Regierung von Asmara hat das erkannt und lässt Familien in einigen leer stehenden Objekten gegen einen stark reduzierte Miete wohnen. Für manche ist auch das zu teuer. Anstatt in verfallenden Häusern zu wohnen, leben sie inmitten von alten Ölfässern und ausrangierten Panzern. Auf dem Recycling-Market an der Afabet Street werden Blechtonnen von Altöl gesäubert und zu nützlichen Objekten für den alltäglichen Gebrauch geschnitten, gebogen und geschweißt. Tsehaye sitzt vor seinem Stand und verkauft Kohleöfen, Grillroste und selbst gemachte Kämme. Sein Vater kann den Stand gratis nutzen. Das Material bekommt er von der Stadtverwaltung kostenlos zur Verfügung gestellt. Ein einfaches Recycling-System. Das ist der Deal.

Wiederum andere leben auf dem Tank Cemetery im Nordwesten der Stadt. Der Panzerfriedhof bietet den Wachmännern und ihren Familien die Möglichkeit, inmitten der verrosteten Panzer, Schulbusse und Lkws mietfrei zu wohnen. Eine, die von den Spätfolgen des Äthiopien-Krieges profitiert, ist die 26-jährige Elsa Tekleemariam.

In einem ausrangierten Dritte-Klasse-Wagon der Äthiopischen Staatsbahnen wohnt sie mit ihren drei Kindern, ihrer Mutter und ihrem Schwiegervater. Draußen zwischen den Panzerraupen gackern die Hühner. Von Kanonenrohr zu Kanonenrohr ist eine Wäscheleine gespannt.

Zurück ins Cinema Roma, ins womöglich schönste Kino der ganzen Stadt. Auf der Bühne werden bereits die letzten Vorbereitungen getroffen. Die Kamera steht bereit. Draußen im Foyer stehen weiß gekleidete Burschen und Mädels an der Bar, trinken Anisschnaps und Kaffee. Am Abend werden sie in der Casting-Show "Schingrwa" gegeneinander antreten. Nicht nur Deutschland, auch Eritrea sucht den Superstar. Der Geruch von geröstetem Kardamom ist verflogen. (Wojciech Czaja/DER STANDARD/Rondo/15.04.2011)