Jaclyn Friedman ist Buchautorin, Pädagogin und "Feminismus-Predigerin", wie sie auf ihrer Website betont.

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Yes Means Yes!: Visions of Female Sexual Power and A World Without Rape
herausgegeben von Jaclyn Friedman und Jessica Valenti
Seal Press 2008

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In ihrem Buch "Yes means Yes" fordert die Autorin Jaclyn Friedman eine neue sexuelle Kultur ein, die es sexueller Gewalt schwer macht, weil die Regeln dafür allen bewusst sind. Die in Boston lebende Netzaktivistin bezeichnet sich selbst auch als digitale Feministin, ohne dabei neue Grabenkämpfe zwischen Feministinnen aufreißen zu wollen. Zwar sei es ein neuer Ansatz mittels Blogs und Twitter-Kampagnen Öffentlichkeit zu schaffen, aber die Themen bleiben die Gleichen, betont sie im dieStandard.at-Interview. Und ihr Beispiel zeigt, dass es Netzaktivistinnen manchmal auch schaffen, breite Öffentlichkeiten zu erreichen, etwa als Friedman den antifeministischen Auswüchsen rund um die Assange-Vergewaltigungsvorwürfe auf BBC Paroli bot:

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dieStandard.at: Bei Ihnen wirkt es so, dass sich sehr viele Feministinnen an digitalem Aktivismus beteiligen. Sehen Sie sich als Teil einer Frauenbewegung?

Jaclyn Friedman: Absolut. Ich persönlich betrachte mich als Brückengeneration, ich arbeite sowohl mit älteren Feministinnen, die schon den 70ern aktiv waren zusammen, als auch mit den Jüngeren und den sogenannten 'Third Wavern'.

Für mich macht die Einteilung in Wellen allerdings nicht so viel Sinn. Natürlich gibt es die Auseinandersetzung, dass sich ältere Feministinnen von Jüngeren nicht so verstanden fühlen und umgekehrt, aber ich denke, es hängt auch sehr stark mit dem Einfluss von Online-Medien zusammen. Jüngere Feministinnen verwenden digitale Medien, um ihren sozialen Aktivismus zu verbreiten, z.B. in Blogs, das ist für die älteren Aktivistinnen nicht so sichtbar, es sieht nicht so wie ihr erprobter Widerstand aus. Da gibt es viele Missverständnisse.

Inhaltlich gibt es in der US-Frauenbewegung derzeit zwei große Themen. Das sind zunächst die Abtreibungsrechte. In Europa ist vielleicht nicht so bekannt, dass die AbteibungsgegnerInnen sich auch vehement gegen Verhütungsmittel einsetzen, was eigentlich absurd ist. Diese Gruppierungen wollen unsere Gesellschaft dorthin führen, wo Fortpflanzung Schicksal ist. Frauen, die ihre Sexualität leben wollen, sollen den Preis dafür zahlen. Es geht also um die Kontrolle von Frauenkörpern und das wird aktuell wirklich sehr deutlich ausgesprochen.

Das zweite große Thema ist der Versuch, endlich das Gleichstellungsgesetz (Equal Rights Amendment) in die US-Verfassung aufzunehmen. Damit das geschehen kann, muss es von allen Bundesstaaten ratifiziert werden, was derzeit allerdings nur von etwa 45 gemacht wurde. Der Rest weigert sich hartnäckig. Es gibt also im wahrsten Sinn des Wortes keine gleichen Rechte für Frauen in der US-Verfassung. Wichtige Themen sind außerdem die Lohnunterschiede für Frauen und Männer, sexuelle Gewalt und die Rechte von Homo- und Transsexuellen.

dieStandard.at: Das sind aber Forderungen, die sicher auch 'ältere Feministinnen' teilen.

Friedman: Ja, genau. Aber ich denke der Zugang ist anders. Ich würde gern von digitalen Feministinnen sprechen, weil es ja auch ältere Feministinnen gibt, die online aktiv sind. Der popkulturelle Zugang und die Auseinandersetzung mit der Darstellung von Frauen in den Medien ist vielleicht bei den digitalen Feministinnen dominanter.

dieStandard.at: Wie wichtig ist es für sie als digitale Feministin, im Internet unter ihrer eigenen Identität sichtbar zu sein? Gerade im Internet bieten sich ja auch politische Formen an, die mit Anonymität und Verschleierung arbeiten, siehe etwa die Gruppe Anonymous.

Friedman: Also vorweg, Anonymous hat sich ja nicht aus politischen Motiven gegründet. Sie waren eine Truppe von Witzbolden und einige von ihnen sind auch ziemlich sexistisch. Erst später kamen diese konzertierten Einsätze (etwa gegen Scientology oder später gegen Master Card) hinzu. Man kann von ihnen auch nicht als Einheit sprechen, das ist alles sehr schwierig.

Mir geht es in meiner Arbeit um sexuelle Freiheit und den Kampf gegen sexuelle Gewalt. Und ein großer Teil davon ist es dabei, Scham abzuweisen. Die Idee zurückzuweisen, wir müssen zu diesen Dingen schweigen.
Es ist Teil meiner politischen Strategie, über persönliche Dinge im Netz zu sprechen, auch über meine persönliche Geschichte von sexueller Gewalt. Mir ist das weniger ein persönliches Bedürfnis, denn es hat ja ganz offensichtlich auch eine Menge negativer Konsequenzen, sondern ich möchte ein positives Beispiel sein, wie man diese Scham über die eigenen Erlebnisse zurückweisen kann. Ich denke, je mehr Frauen offen über ihre Erfahrungen sprechen, desto schwieriger wird es, uns zu bestrafen.

dieStandard.at: In ihrem Buch 'Yes means Yes' geht es darum, dass die stärkere Wertschätzung weiblicher Sexualität in einer Kultur dazu führt, Frauen anders zu sehen und Vergewaltigung zu beenden. Wie kann frau sich das vorstellen?

Friedman: Ich behaupte, dass nicht über das Ende von Vergewaltigung gesprochen werden kann, ohne zu berücksichtigen, dass die Kultur, in der wir leben, kranke Haltungen gegenüber weiblicher Sexualität einnimmt. Zum Beispiel die Vorstellung, dass wir entweder Jungfrauen oder Huren sein müssen - solche Vorstellungen führen dazu, dass eine Frau, die vergewaltigt wird, sich selbst die Schuld dafür geben soll. 

Wir versuchen die Idee zu verbreiten, dass die 'enthusiastische Zustimmung' Teil einer jeden sexuellen Handlung sein soll. Das heißt, dass jede/r PartnerIn einer sexuellen Beziehung die Verantwortung hat, darauf zu achten, dass das Gegenüber zustimmt und offensichtlich glücklich darüber ist, was gerade passiert. Und wenn man es nicht weiß, muss man fragen und mit dem Partner in Kommunikation bleiben. Unsere Kultur muss lernen, Sexualität anders zu sehen, sodass wir Vergewaltigung nicht mehr entschuldigen.

Es gilt zu verstehen, dass 85 Prozent der sexuellen Übergriffe zwischen Menschen passiert, die sich kennen. Kulturell nehmen wir an, dass es sich dabei um Missverständnisse gehandelt hat. Enthusiastische Zustimmung verhindert diese Entschuldigung. Statt das Opfer zu fragen, hast du dich laut genug gewehrt, fragen wir dann: hat der Täter ihre Einwilligung geholt? Damit wird die Verantwortung umgedreht und die Beweisschuld liegt dann beim Vergewaltiger.

dieStandard.at: Sprechen sie dann also hauptsächlich Männer an?

Friedman: Nein, Frauen tun Frauen das doch auch an. Viele Frauen beschuldigen andere Frauen, an ihren Erfahrungen selbst schuld zu sein, weil sie in dem Glauben leben wollen, dass ihnen das selbst nie passieren könnte. Einem netten Mädchen, das die Regeln akzeptiert, passiert das nicht, so in etwa. Natürlich stimmt das nicht, aber viele Frauen übernehmen diese Mythen, und betreiben dann Opferbeschuldigung.

dieStandard.at: Wie bringen Sie ihre Message unter die Leute?

Friedman: Ich halte viele Vorträge auf Hochschulen und dabei reden wir übers Feiern und Alkohol und wie man Spaß haben kann. Dem Slogan 'No means no' stimme ich zwar voll inhaltlich zu, aber ich denke, dass eine Anti-Vergewaltigungshaltung nicht automatisch mit einer Enthaltsamkeitsverpflichtung einhergehen muss. Uns ist wichtig zu sagen: Du hast das Recht Spaß zu haben, auf Parties zu gehen, zu flirten, sexuell zu sein. Und, du hast das Recht, an jedem Punkt Stopp zu sagen. Dann erklären wir ihnen, wie sie miteinander in Kommunikation bleiben können, damit dieser Spaß sicher bleibt. Wir integrieren also den sex-positive-Ansatz in unser pädagogisches Konzept, wenn Sie so wollen.

dieStandard.at: Die Assange-Affäre hat viele Feministinnen wütend gemacht, weil seine (meist linken) SympathisantInnen die Vergewaltigungsvorwürfe gegen ihn verharmlosten bzw. abstritten. Überraschenderweise hat auch Naomi Wolf (Autorin des feministischen Klassikers "Der Schönheitsmythos") sich für ihn eingesetzt. Sie hatten deshalb eine vielbeachtete TV-Konfrontation mit ihr. Wie beurteilen Sie die Diskussion heute?

Friedman: Ich denke, dass es diese Anstrengung und Aufregung definitiv wert war. Ich habe damit viele Leute erreicht und wurde schlussendlich sogar von BBC eingeladen, um über das Thema zu sprechen. Es war mir aber auch wichtig für die Überlebenden von sexueller Gewalt zu sprechen. Bei der Assange-Diskussion ist mir zwar viel Hass entgegen geschlagen, gleichzeitig bekam ich aber auch viel positives Feedback: viele Frauen waren sehr dankbar, dass ich sie vertreten habe.

Ich habe diese riesen Kontroverse eigentlich nicht erwartet und war erschüttert von den Argumenten der Gegenseite. Wolf hat tatsächlich behauptet, dass es sich bei den Vorwürfen der Anklage nicht um sexuelle Gewalt handeln würde (z.B. Sex im Schlaf). Das von jemandem zu hören, die sich eigentlich Feministin nennt, war schon ein starkes Stück.(Die Fragen stellte Ina Freudenschuß, dieStandard.at, 18.4.2011)