Liebe bringt geordnete Verhältnisse in Schieflagen: Mathieu (Yvan Attal) trifft in Cédric Kahns "Les regrets" seine alte Jugendflamme Maya (Valéria Bruni-Tedeschi) wieder.

 

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Der französische Regisseur Cédric Kahn wollte einen Film über die Macht der Gefühle drehen. 

Kahn, 44, wurde mit der Alberto-Moravia-Adaption "L'ennui" (1998) bekannt, es folgten "Roberto Succo" (2001) und "Feux rouges" (nach einem Roman von Georges Simenon, 2004).

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Dominik Kamalzadeh sprach mit ihm über Gefühlskino, Risikomut und gefährliche Begierden. 

Wien - Als einen Fall von Liebe auf den zweiten Blick mag man Cédric Kahns "Les regrets" bezeichnen, erzählt der Film doch vom Wiedersehen zweier Menschen, die sich zwar schon einmal nahestanden, nun aber erst eine intensive Leidenschaft füreinander entdecken. Dass Mathieu (Yvan Attal) und Maya (Valéria Bruni-Tedeschi) mitten im Leben stehen und ihre jeweiligen Partner haben, macht die Sache nicht einfacher, ist aber auch kein echtes Hindernis. "Les regrets" ist die Revision einer klassischen Amour fou, die in den Charakteren unterdrückte Kräfte wiederaufleben lässt. Kahn, bekannt für seine Analysen komplizierter Beziehungslagen, inszeniert ein zügiges Drama der Gefühle mit kaum überhörbaren Anklängen an den Thriller.

Standard: "Les regrets" ist ein Originaldrehbuch, bisher haben Sie meist literarische Vorlagen verfilmt. Was hat das Schreiben dieser Liebesgeschichte inspiriert?

Kahn: Es ist nicht autobiografisch! Menschen in der Midlife-Crisis waren ein Ausgangspunkt - ein Moment, an dem man vor der Wahl steht; denn es geht nicht nur um Liebe oder Verliebtsein, sondern um das Leben insgesamt. Mir kommt vor, Menschen mit Midlife-Crisis wollen noch einmal ihre Kindheit genießen. Die Leidenschaft ist ein letztes Zeichen einer Unreife, die etwas sehr Sympathisches hat.

Standard: Eine solche Unreife setzt verborgene Dynamiken frei - was hat Sie daran filmisch interessiert?

Kahn: Ich habe entdeckt, dass ich noch nie einen Film über Gefühle gemacht habe. In meinen Filmen ging es um Obsessionen, ums Kräftemessen, brutalere Beziehungen, aber nie um die Frage, was man in der Liebe eigentlich sucht. Ich wollte das nun sehr direkt angehen, das Gefühl in den Mittelpunkt stellen und allen Zierat, sei er dramaturgisch oder sonst was, weglassen.

Standard: In der Perspektive des Mannes erhält die Leidenschaft auch ein Moment der Bedrohung - ist der Film nicht auch ein möglicher Thriller?

Kahn: Ja, natürlich; ich finde, dass beides untrennbar miteinander verbunden ist, die Bedrohung geht mit der Begierde einher - der Kausalzusammenhang besteht in beiden Richtungen. Es stimmt auch, dass beide Hauptfiguren füreinander eine Gefahr darstellen. Sie für ihn, weil sie die Leidenschaft in sein Leben bringt. Und in dem Moment, wo sie sich aus der Geschichte zurückziehen will, wird er gefährlich.

Standard: Sie haben einmal gesagt, dass Sie die Beweggründe Ihrer Figuren über Bewegung ausdrücken möchten - eine eigentlich sehr amerikanische Haltung?

Kahn: Nein, Menschen sind in meinen Filmen schon zentral. Aber ich bin der Überzeugung, dass ihr Verhalten - und sei es nur eine kleine Bewegung - viel mehr über sie sagt als Worte. Es ist für mich weniger eine Grundsatzfrage als eine Frage des Erzählens: Auch im Leben insgesamt achte ich mehr auf Taten als auf Worte. Bei den Figuren ist es ein wenig so, dass Geist und Körper im Clinch liegen. Ich bin davon überzeugt, dass der Körper nicht lügt. Ich habe nichts dagegen, dass Figuren in Filmen reden - aber die echten Aussagen vermittelt der Körper. Ich filme gerne den ganzen Körper, weil ich alles für wichtig halte. Bei Filmen mit viel Großaufnahmen fehlt mir meist etwas.

Standard: Im Film scheinen die Körper mehr zu wissen als der Verstand.

Kahn: Bei ihr ist es ganz flagrant, ihr Kopf sagt nein, ihr Körper ja. Später sagt auch der Körper nein: Dann ist es aus.

Standard: Valéria Bruni-Tedeschi ist eine Schauspielerin, die diesen inneren Zwist immer wieder verkörpert hat. Ab wann kam sie denn ins Spiel?

Kahn: Ich habe sehr früh an sie gedacht - als das Script dann fertig war, erschien es mir aber nicht mehr möglich. Ich habe lange gezögert. Es war, als hätte die Widersprüchlichkeit der Figur auch mich angesteckt.

Standard: Inwiefern?

Kahn: Mein Kopf sagte ja, mein Körper nein. Ich wusste nicht mehr, mit welchem Mann ich sie zusammenspannen sollte.

Standard: Wie hat sich das Männerbild konkretisiert - als Architekt ist Mathieu ja besonders rational?

Kahn: Ich fand, dass sich beide Figuren vom Temperament her gleichen und dann doch wieder sehr unterschiedlich sind. Ich brauchte jemanden als Hauptdarsteller, der eine sehr starke männliche Persönlichkeit hat, damit es einen Ausgleich gibt. Bevor ich nicht auf Yvan Attal gekommen war, erschien es mir auch nicht möglich, mit Valéria zu drehen.

Standard: Hätten Sie dieses Thema auch schon früher angehen können?

Kahn: Wohl eher nicht. Dennoch ist die Figur eher so, wie ein jeder von uns ist, und stellt sich Fragen, die wir uns alle irgendwann stellen. Es geht letztlich darum, wie viel Raum für Leidenschaft man zulassen möchte - damit meine ich nicht nur die Liebe, sondern alles, das ein bestimmtes Risiko beinhaltet. Ich denke, das ist eine entscheidende Frage: Was lässt man zu - und was nicht? Was riskiert man? Und was nimmt man resigniert hin. (DER STANDARD, Printausgabe, 21.4.2011)