Eine Art Zäsur gibt es dieser Tage bei Ubuntu zu beobachten: Erstmals seit dem eigenen Bestehen hat sich Hersteller Canonical dazu entschlossen, in User-Interface Fragen separate Wege zu beschreiten. Hatte man bisher immer auf die klassische GNOME-Oberfläche gesetzt, will man die NutzerInnen nun von den Konzepten des eigenen Design-Teams überzeugen. "Unity" nennt sich jenes Unterfangen, das in den nächsten Tagen- konkret am 28.04. - mit Ubuntu 11.04 "Natty Narwhal" sein Debüt als Default-Desktop bei der Linux-Distribution geben soll.

Spannung

Viel Neues also, wodurch "Natty" zu einer in vielerlei Hinsicht besonders spannenden - und schon im Vorfeld heiß diskutierten - Release wird. Wie es derzeit um Unity bestellt ist, soll entsprechend im Folgenden einer eingehenden Prüfung unterzogen werden. Zudem wird der Frage nachgegangen, was Ubuntu 11.04 jenseits der neuen Oberfläche eigentlich noch so an Änderungen mit sich bringt.

Download

Wie schon gewohnt, gibt es die Distribution in Form einer kombinierten Live/Installer-CD zum Download, hier lässt sich zwischen 32- und 64-Bit-Versionen wählen. Neben dieser "Desktop Edition" sind es auch wieder eine Server-Version sowie eine Ausgabe mit Text-basiertem Installer erhältlich. Wer lieber andere Desktop-Welten erkunden will, kann auf diverse Derivate zurückgreifen, etwa das KDE-basiert Kubuntu oder auch das besonders schlanke Xubuntu.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Ubuntu eilt der Ruf voraus, besonders einfach installieren zu sein - und dies zurecht: Der Hersteller hat über die Jahre in dieser Hinsicht wirklich hervorragende Arbeit geleistet. In Ubuntu 11.04 beschränkt man sich in diesem Bereich allerdings weitgehend auf Feinschliff. So gibt es jetzt einen neu gestalteten Dialog, mit dem grob der Typ der Installation umrissen werden kann, also etwa ob man Ubuntu neben anderen Systemen installieren will oder gleich die ganze Platte beansprucht wird. Findet der Installer ein älteres Ubuntu auf dem Rechner wird darüber hinaus eine Upgrade-Funktion angeboten.

btrfs

Wer es gern experimentell hat, dem steht bei "Natty" erstmals das "Next Generation Dateisystem" btrfs im zur freien Verfügung. Voreingestellt ist allerdings einmal mehr ext4, angesichts des unfertigen Status von btrfs eine durchaus richtige Entscheidung, muss Datensicherheit doch die Top-Priorität sein. Auch wird der Reiz von btrfs insofern etwas geschmälert, da Ubuntu fortgeschrittene Features (etwa Snapshots / Rollbacks) derzeit ohnehin noch nicht wirklich aktiv nutzt. Dazu kommt, dass der Bootmanager von Ubuntu derzeit noch ein Problem mit btrfs hat, so dass der Startvorgang bei entsprechenden Systemen einige Zeit hängen bleibt.

Zweifelhaftes

So schlank der Ubuntu-Installer auch sein mag, ein Punkt ist trotzdem von eher zweifelhafter Relevanz: Vor einigen Versionen hat der Hersteller eine Funktion eingeführt, mit der von anderen Systemen diverse Einstellungen übernommen werden können. Klingt gut, in der Realität ist der Nutzen aber ein sehr begrenzter, wie auch der Test zeigt: Auf einem System mit einer Windows- und vier Linux-Installationen konnte Ubuntu keine einzige Quelle zum Importieren finden. Angesichts solcher Trefferquoten wäre es wohl sinnvoller diese Funktion lieber gleich ganz zu entfernen, in ihrem derzeitigen Zustand trägt sie maximal zur Verwirrung bei.

Proprietär

Wer so gar nicht ohne Flash und diverse Audio- und Video-Codecs auskommt, kann diese proprietären Komponenten durch die Anwahl eines Häkchens am Beginn der Installation gleich mit auf die Platte wandern lassen. Den Vorschlag diese Wahl zur Default-Einstellung zu machen, hat das Ubuntu Technical Board im Verlauf des aktuellen Entwicklungszyklus allerdings einstimmig verworfen.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Die Installation verläuft wie gewohnt flink, einen Reboot später ist dann erstmals nicht alles so wie seit Jahren gewohnt: Die richtige Hardware vorausgesetzt, übernimmt Unity nun den Desktop. Bevor auf dessen Funktionsweise näher eingegangen wird, zunächst mal ein paar allgemeine Sätze vorneweg, dies auch um einige oftmals auftauchende Missverständnisse auszuräumen.

Basis

Auch wenn Canonical mit Unity nun eigene Wege beschreitet, bedeutet dies keineswegs, das man sich als Ganzes vom bislang genutzten GNOME verabschiedet. Den Kern von Ubuntu bilden weiterhin eine Fülle von GNOME-Technologien und -Anwendungen, vom File Manager bis zum Mail-Client und zentralen Desktop-Services. Unity ist "lediglich" ein Ersatz für das klassische GNOME Panel, dessen Startmenü und die bisherigen Konzepte zum Anwendungsstart und -management. Insofern hat Unity in etwa jene Rolle inne, die bei GNOME3 die GNOME Shell übernimmt.

Ursachenforschung

Warum sich Ubuntu gegen eine Übernahme von GNOME3 entschieden hat, ist eine in den letzten Monaten ebenso ausführlich wie erhitzt geführte Diskussion. Von Seiten Canonicals heißt es nur, dass man schlicht andere Design-Vorstellungen hege als das restliche GNOME-Projekt. Etwas näher an der Realität ist da wohl schon, dass es der Ubuntu-Hersteller über die Jahre bislang kaum geschafft hat, sich wirklich dauerhaft bei GNOME einzubringen, wessen Schuld auch immer dies sein mag. Die GNOME3-Geschichte ist dafür geradezu symptomatisch, war Canonical doch von Anfang an mit dabei, nur um dann losgelöst von den anderen Beteiligten und zu Teilen auch hinter verschlossenen Türen eigene Entwicklungen voranzutreiben.

Copyright

Ein Knackpunkt ist zudem, dass Canonical für alle selbst initiierten Projekte ein "Copyright Assignment" verlangt, sich so exklusive Rechte - etwa zur Änderung der Lizenz - sichert. Solche Lösungen sind in der GNOME-Welt allerdings äußerst ungern gesehen, "bevorzugen" sie doch einzelne Unternehmen. Egal wer wie viel Code beiträgt, nur wer im Besitz des Copyright Assignments ist, kann z.B. proprietäre Versionen der Software anbieten. Kein Klima, das dazu geeignet ist, ein gleichberechtigtes Zusammenarbeiten zu fördern, wie sich gut am Beispiel von OpenOffice.org zeigen lässt, wo die Rechteübertragung jahrelang für Zwist gesorgt hatte - und schlussendlich auch sein Stück zur Abspaltung von LibreOffice beigetragen hat.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Eine kleine Relativierung zu einer anfänglichen Bemerkung: Gänzlich neu ist Unity natürlich nicht, ist es doch bislang schon für die Netbook-Release von Ubuntu zum Einsatz gekommen. Für den Einsatz am Desktop hat man die Software allerdings in zentralen Teilen Teilen umgeschrieben und weiter an den Konzepten gefeilt. Statt des GNOME3-Window-Managers Mutter setzt Unity nun also auf das schon länger für Desktop-Effekte genutzte Compiz. Als Grund für diese Entscheidung verwies man vor allem auf Performance-Defizite beim von Intel entwickelten Mutter, für deren Lösung man selbst nicht die nötige Expertise hätte. Zwar wurden diese Defizite bei Mutter mittlerweile weitgehend beseitigt, die Entscheidung von Ubuntu war da aber bereits getroffen.

Voraussetzungen

Voraussetzung für den Betrieb von Unity ist eine funktionstüchtige 3D-Unterstützung, ist diese nicht gegeben, präsentiert Ubuntu einen Hinweis und schreitet zu einem klassischen GNOME-Desktop voran. Auf dem Testsystem ließ sich Unity erst nach der Installation des proprietären Nvidia-Treibers zur Mitarbeit überreden, beim freien "Nouveau" hat man den 3D-Support hingegen in letzter Minute wieder deaktiviert. Mit Ubuntu 11.10 sollen solche Problemchen dann übrigens Makulatur sein, plant man hierfür doch mit Unity 2D eine auf dem Qt-Framework basierende Version des neuen Desktop, die ganz ohne 3D-Support auskommt. Wer will kann eine frühe Testversion davon bereits in "Natty" nachinstallieren und ausprobieren.

Aufbau

Das zentrale Merkmal von Unity ist der am linken Bildschirmrand angebrachte "Launcher", in dem eine Reihe von Icons versammelt werden. Diese repräsentieren die favorisierten Anwendungen ebenso wie die gerade laufenden, letztere durch einen kleinen Pfeil gesondert gekennzeichnet. Sind mehrere Fenster einer Anwendung offen, wird deren Anzahl über kleine Striche symbolisiert. Der Launcher wird zunächst dauerhaft dargestellt, wird dessen Platz von einem Programm beansprucht, blende Unity den Startbereich allerdings automatisch aus. Eine durchaus intelligente Lösung, die auch nett umgesetzt ist, so lässt sich der Launcher mit einem Fenster geradezu aus dem Bildschirm "verjagen". Bei maximierten Fenster wird ebenfalls kein Launcher dargestellt. Wer in solchen Fällen trotzdem mal den Zugriff auf die Anwendungen benötigt, muss nur den Mauszeiger an den linken Bildschirmrand bewegen, der Launcher wird dann über dem restlichen Geschehen als Overlay eingeblendet.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Die Liste der im Launcher verfügbaren Anwendungen lässt nach Belieben anpassen, sowohl das Hinzufügen als auch Entfernen kann bequem per Drag & Drop vorgenommen werden. Etwas mühsam ist jedoch das Umsortieren, Icons müssen zuerst nach rechts "hinausgezogen" werden, bevor sie neu platziert werden können. Ein etwas umständlicher Mechanismus, der aber natürlich schnell angelernt ist.  Recht durchdacht hingegen: Sind mehrere Fenster einer Anwendung offen, werden diese mit einem Klick auf das zugehörige Icon automatisch übersichtlich am Bildschirm angeordnet, eine Art Expose-Ansicht für einzelne Programme.

Speziell

Unterhalb der Favoriten befinden sich dann noch diverse Spezial-Einträge: So gibt es hier den Zugriff auf alle offenen Workspaces ebenso wie jenen auf die Anwendungen und die genutzten Dokumente - zu all dem allerdings etwas später noch mehr. Darüber hinaus werden auch extern eingebundene Geräte an dieser Stelle angezeigt. Eine durchaus nützliche Idee, die derzeit aber noch etwas inkonsequent umgesetzt wirkt, werden USB-Stick und Co. doch auch weiterhin am Desktop selbst repräsentiert. Am unteren Ende des Launchers darf dann natürlich auch der Desktop-Mistkübel nicht fehlen.

Kontext

Jede Eintrag besitzt ein Kontextmenü, bei den meisten beschränkt sich dessen Funktionalität derzeit noch auf grundlegende Funktionen wie das Öffnen eines weiteren Fensters oder das Schließen der Anwendung. Für Anwendungen und Dokumente gibt es zudem die Möglichkeit gleich bestimmte Kategorien anzuwählen, eingehängte Geräte dürfen auf diesem Weg sicher entfernt werden, der Mistkübel geleert.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Im linken oberen Eck des Unity-Desktops findet sich ein Ubuntu-Icon, ein Klick darauf blendet ein eigenes Overlay ein, in der Ubuntu-Terminologie "Dash" genannt. Hier gibt es den Zugriff auf einige zentrale Anwendungen, freundlich über ihre eigentliche Aufgabe beschrieben. Auch ausgewählte Anwendungskategorien sowie die zuletzt genutzten Dateien stellt man in den Vordergrund.

Kritik

Konzeptionell wirkt dieser Auflistung allerdings etwas verloren - und willkürlich. Ein Teil der dargebotenen Funktionalität ist schlicht eine Dopplung von ohnehin über den Launcher schneller erreichbaren Dingen  - etwa der Zugriff auf die Anwendungen und Dokumente. Bei den konkret gelisteten Programmen fragt sich hingegen, warum sie eigentlich nicht gleich im Launcher liegen. Der Umstand, dass dort von Haus aus statt Icons für Musik, Bilderverwaltung und Mail-Client gleich drei Einträge für LibreOffice zu finden sind, scheint so primär zur Verschleierung dieser konzeptionellen Defizite zu dienen.

Suche

Wirklich nützlich am Dash ist hingegen die Suchfunktion, die sowohl Anwendungen als auch Dokumente einbezieht. Da sich der Dash auch mit der Super/Windows-Taste aufrufen lässt und das Suchfenster umgehend fokussiert ist, kann so flink durch das lokale Angebot gestöbert werden. Ein kleines Defizit ist dabei, dass der Dash von Haus aus in seiner Größe recht begrenzt ist, mit einem Klick auf das Icon rechts unten kann er allerdings auf den gesamten Bildschirm ausgedehnt werden. Die Liebe zum Detail zeigt man, in dem die Icons im Launcher beim Aufrufen des Dash ausgegraut werden, und so dezent optisch in den Hintergrund wandern.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Kommen wir zur Anwendungsansicht, die also sowohl über die Einträge im Dash als auch über den Launcher direkt erreicht werden kann. In dieser werden auf einen Blick die häufigst benutzten Anwendungen mit allen installierten Programmen und dem weiteren Angebot des Ubuntu-Universums zusammengefasst. Was zunächst nach einer durchaus interessanten Kombination klingt, erweist sich derzeit als einer der größten Schwachpunkte von Unity.

In der Enge

So bleibt für jede Abteilung nur wenig Platz übrig, gerade einmal sechs Einträge haben jeweils Platz, selbst wenn man die Ansicht auf den gesamten Bildschirm ausdehnt werden es maximal elf (ausgenommen der zum Herunterladen empfohlenen Anwendungen, die auch da bei sechs Einträgen stehen bleiben). Wer also tatsächlich einen Überblick über alle installierten Anwendungen haben will, muss noch mal einen relativ kleinen Eintrag für weitere Ergebnisse anklicken - alles etwas umständlich.

Ungefiltert

Und während die Auflistung der "häufigst benutzten Anwendungen" noch durchaus von Interesse sein mag, erweisen sich die Download-Empfehlungen als weitgehend sinnfrei. Den unbedarften NutzerInnen werden hier vollkommen wahllos Programme dargeboten - vom Spieleserver-Browser bis zu einem x-beliebigen Terminal. Erst in Kombination mit der Suchfunktion ist der Zugriff auf die Paketinformationen des weiteren Software-Ökosystems von Interesse, so ungefiltert ist die Darstellung aber pure Platzverschwendung.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Durchgängig sehr nützlich ist hingegen die "Dokumente & Ordner"-Ansicht, die ebenfalls über den Launcher aufgerufen werden kann. Hier werden die zuletzt bearbeiteten Dateien ebenso zum Schnellzugriff gelistet, wie alle als Bookmarks abgespeicherten Verzeichnisse. Die Idee dahinter: Den NutzerInnen soll es leichter gemacht werden, ihre aktuellen Arbeiten wieder aufzunehmen, die Notwendigkeit für klassisches File Management zunehmend reduziert werden. Im Hintergrund arbeitet hier übrigens das Zeitgeist-Framework, das User-Aktivitäten und Events aufzeichnet und zu relevanten Informationen verknüpfen kann.

Kategorisch

Sowohl die Anwendungs- als auch die Dokumentansicht lassen sich nach Kategorien sortieren. An sich eine durchaus nützliche Funktion, die konkrete grafische Umsetzung gehört aber zu den optisch eher gruseligen Teilen von Unity. Dies fällt wohl auch deswegen besonders auf, da man sonst sehr auf ein konsistentes Äußeres Wert legt und gerade bei den Launchern mit kleinen Animationen viel Liebe zum Detail beweist.

Shortcuts

Vieles des bislang vorgestellten, lässt sich übrigens auch bestens über die Tastatur nutzen, so führt beispielsweise die Tastenkombination Alt-F1 direkt in den Launcher, mit den Pfeiltasten kann dann dort navigiert werden. Wer die Super-Taste länger drückt, bekommt zudem Zahlen und Buchstaben über die einzelnen Icons eingeblendet, die den zugehörigen Shortcut zum Aufruf eines Programms oder einer Desktop-Funktion signalisieren.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Eine weiteres zentrales Konzept von Unity ist das "globale Menü". Statt der gewohnten Menüzeile bei jeder einzelnen Anwendung werden die entsprechenden Einträge platzsparend in das Top-Panel des Desktops verlagert. Vom Konzept her erinnert dies stark an Mac OS X, bei der konkreten Umsetzung gibt es dann aber doch einen entscheidenden Unterschied.

Offenbarung

So wird von Haus aus im Panel nur der Name des gerade im Vordergrund befindlichen Programms dargestellt, das gesamte Menü gibt es erst, wenn der Mauszeiger an diese Stelle bewegt wird. Ein etwas gewöhnungsbedürftiger Ansatz, macht es doch das gezielte Ansteuern eine einzelnen Eintrags erheblich schwerer, da auf den ersten Blick nicht ersichtlich ist, welche Stelle im Panel exakt anvisiert werden muss.

Support

Zudem leidet das globale Menü etwas darunter, dass es nicht von allen Anwendungen unterstützt wird. So kann sich etwa LibreOffice noch nicht so recht damit anfreunden, die Menü-Einträge werden dann sowohl im Programm als auch im Panel dargestellt.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Wird ein Fenster maximiert, geht Ubuntu bei den Platzsparambitonen sogar noch einen Schritt weiter: Die Fensterrahmen verschmelzen in Folge quasi mit dem Panel, Schließ-Knopf und Co. wandern direkt zwischen Ubuntu-Button und dem Namen des aktiven Programms. 

Auflösungen

Ob all dies gefällt, ist natürlich ein Stück weit Geschmackssache - und eine Frage des Ausgabegeräts. Während gerade auf Netbooks aufgrund der hier typischerweise sehr begrenzten Auflösungen jedes Pixel zählt, werden so manche NutzerInnen mit Full-HD-Displays diese Form der Platzoptimierung schon etwas übertrieben empfinden - drängen sich dabei doch recht viele Interface-Elemente auf vergleichsweise geringem Raum. Andererseits ist ja auch bei anderen Bereichen des Desktops ein Trend zu immer weiter reduzierten Interfaces unübersehbar.

Panel

Ein nicht unwichtiges Detail: Was am oberen Bildschirmrand auf den ersten Blick wie ein klassisches GNOME-Panel aussieht, ist in Wirklichkeit gar keines. Die Verwendung der gewohnten Applets oder das Ablegen von Quickstarter-Icons (was mit dem neuen Launcher aber ohnehin keinen Sinn mehr machen würde) ist hier also nicht mehr möglich.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Weiterhin erhalten ist hingegen der Systembereich, der sich mittlerweile zur Gänze aus von Canonical selbst entwickelten "Indicator Applets" zusammensetzt. Im Vergleich zur Vorgängerversion hat man hier etwa den Musik-Indicator überarbeitet, so dass nun auch an dieser Stelle schnell die Lautstärke von Mikrofonen angepasst werden kann - was gerade bei der Nutzung von Internettelefonie seine Vorteile birgt.

"Benachrichtigungen"

Vollständig entfernt wurde dafür die klassische "Notification Area", in der sich über die Jahre alle möglichen Anwendungen mit ihren Icons niedergelassen haben. Zumindest in dieser Frage ist man sich mit GNOME3 einig, wo man ja die selbe Entscheidung getroffen hat. Der Wildwuchs an unterschiedlichsten Funktionalitäten, die sich an diesem Ort niedergelassen hatten, wollten nicht so recht in ein durchgängiges Bedienkonzept passen.

Anpassen

Zu den weiteren Übereinstimmungen mit GNOME3 gehört die Möglichkeit Fenster mit Gesten an fixe Größen anzupassen. Wird ein Fenster also an den linken oder rechten Bildschirmrand gezogen und dort "fallen gelassen" nimmt es in Folge exakt die Hälfte des Bildschirms ein, sehr nützlich um beispielsweise zwei Dokumente nebeneinander zu betrachten. Ein Ziehen an den oberen Bildschirmrand führt hingegen zum Maximieren des Fensters - wie schon bisher ein Doppelklick auf die Titelzeile oder die Anwahl des zugehörigen Icons. Wirklich "erfunden" haben dies Funktion aber ohnehin weder Unity noch GNOME3, ähnliche Funktionen finden sich schon länger bei diversen Tiling Window Managers oder auch bei Windows 7 und KDE.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Wo die GNOME Shell nicht zuletzt mit einem durchdachten Workspace-Konzept punkten will, sucht man entsprechende Innovationen von Unity in diesem Bereich bislang vergeblich. Statt dessen vergibt man von Haus aus fix vier virtuelle Desktops, über die man sich aus einer Art Vogelperspektive einen Überblick verschaffen kann.

Vermisst

Anwendungen lassen sich hier zwar zwischen den einzelnen Oberflächen verschieben, das gezielte "Ziehen" einer Anwendung auf einen einzelnen Desktop vermisst man hingegen. Zu Überlegen wäre zudem, ob es wirklich Sinn macht, dass Anwendungen von einem virtuellen Desktop in den anderen reichen - und dies rundum. Wird ein Browser-Fenster auf einem der unteren Desktops leicht verschoben, ragt es schon mal von oben wieder in den ersten Screen herein. Für das Gros der NutzerInnen wohl ein eher verwirrendes "Feature".

Dateitypen

Etwas aus dem aktuellen Erzählungsrahmen gerissen, sei noch eine weitere nettes Funktion des Unity-Launchers erwähnt: Dokumente lassen sich sowohl vom Desktop als auch aus dem Dash auf den Launcher-Bereich ziehen, um sie dort mit den jeweiligen Anwendungen zu öffnen. Dabei werden schlauerweise überhaupt nur jene Programme als "Drop"-Ziel angeboten, die mit dem entsprechenden Dateityp umgehen können.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Äußerst interessant ist zudem das "Lenses"-Konzept von Unity, mit dem Anwendungen den Ubuntu-Launcher erweitern können. So sind etwa bereits "Lenses" extern erhältlich, die einen Dash öffnen, mit dem dann das Angebot von Youtube oder des Ubuntu Music Stores durchsucht werden kann. Die entsprechenden Ergebnisse können zudem dann auch in die Gesamt-Suche des Dash einbezogen werden. Eine Idee mit einigem Potential also, bleibt abzuwarten, was sich die weltweite Community hierfür in Zukunft noch so alles einfallen lassen wird.

Overlay

In den Reigen der Maßnahmen zur Platzreduktion beim User Interface reihen sich die "Overlay Scrollbars" ein, mit denen man nicht zuletzt aus den Erfahrungen von Smartphones und Co. lernen will. Statt der klassischen Scroll-Leiste wird nun nur mehr durch einen dünnen Strich symbolisiert, wenn nicht alle Inhalte im aktuellen Fenster untergebracht werden konnten. Bewegt man dann den Mauszeiger zum Fensterrand, wird direkt unter diesem ein kurzer Balken eingeblendet, mit dem durch das gesamte Angebot gescrollt werden kann.

Bruchstückhaft

Dieses User-Interface-Element erscheint üblicherweise außerhalb des Fensters, bei maximierten Programmen logischerweise aber innerhalb. Alles in Allem ein durchaus interessantes Konzept, dessen reale Qualität allerdings einmal mehr davon überschattet wird, dass es nur von einem Teil der Programme unterstützt wird.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Jenseits von Unity bewegen sich die Neuerung von Ubuntu 11.04 vor allem im Bereich der Anwendungsauswahl. Ein deutlicher Fortschritt ergibt sich etwa durch die Aufnahme des Firefox 4, der in vielerlei Hinsicht flotter und besser als seine Vorgänger ist. Auch hat Canonical einigen Wert darauf gelegt, den Browser optisch gut in den restlichen Desktop zu integrieren - mit sichtlichem Erfolg.

Banshee

"Natty Narwhal" bringt aber auch wieder eine zentrale Änderung bei der Softwareausstattung mit sich: Statt dem bisher bevorzugten Rhythmbox wandert nun automatisch Banshee als Musik-Player auf die Platte. Ein Entscheidung, die ebenfalls einige Kontroversen zur Folge hatte, wenn auch nicht unbedingt entlang jener Bruchlinien, die man in dieser Frage erwarten hätte können.

Kosten

Denn während der Umstand, dass Banshee auf dem freien .Net Mono basiert, offenbar kaum mehr Stoff für saftige Streitigkeiten bietet, hat sich Canonical mit einem anderen Begehren ordentlich in die Nesseln gesetzt. Banshee besitzt neben der Anbindung an den Ubuntu Music Store nämlich auch die Möglichkeit Musik über Amazon MP3 zu erwerben. Die hierdurch erzielten Einnahmen gehen von Haus aus eigentlich zu hundert Prozent an das GNOME-Projekt, bei Canonical hatte man hier aber andere Vorstellungen. Dem Banshee-Team wurde mitgeteilt, dass sie entweder 75 Prozent der Einnahmen an Canonical abliefern sollen, oder das Amazon-MP3-Plugin von Haus aus deaktiviert wird. Wenig überraschend brach eine Welle der Empörung aus, dem Ubuntu-Hersteller wurde rasch unverständliche Gier vorgeworfen, immerhin geht es hier nicht gerade um sonderlich signifikante Beträge.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Was folgte war ein etwas eigenwilliger Blog-Eintrag von Ubuntu-Gründer (und Finanzier) Mark Shuttleworth, in dem er dem Banshee-Team riet, den eigenen Anteil am Musik-Verkauf doch lieber für sich zu behalten, anstatt ihn an GNOME weiterzureichen. Und eine kleine Anpassung der Aufteilung: Zwar behält sich Canonical weiterhin 75 Prozent der mit dem Amazon-MP3-Plugin erzielten Einnahmen, umgekehrt bekommt GNOME jetzt aber auch 25 Prozent der Einkünfte durch den Ubuntu One Music Store.

Office

Eine weitere Änderung im Default-Install von Ubuntu 11.04 stellt der Wechsel von OpenOffice.org zu LibreOffice dar. Angesichts dessen, dass Ubuntu - wie praktisch alle anderen Linux-Distros auch - ohnehin schon jahrelang den indirekten LibreOffice-Vorläufer Go-OO als Basis für die eigenen Openoffice.org-Version genutzt hat, eine ebenso logische, wie wenig überraschende Entscheidung. "Natty" beinhaltet dabei die derzeit aktuellste stabile Version der freien Office-Suite, also LibreOffice 3.3.2.

Programmzentrale

Eines der Kernstücke von Ubuntu ist das Software Center, lässt sich hier doch durch das weitläufige Programmangebot rund um die Distribution schnuppern. Neu ist dabei die Möglichkeit einzelne Einträge mit Bewertungen zu versehen, auch Kommentare dürfen nun abgegeben werden.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Zu den vermischten Kleinigkeiten gehört, dass unter Unity jetzt ein zentrales Kontrollzentrum für alle Einstellungen benutzt wird. Mit der entsprechenden Entwicklung für GNOME3 hat dies allerdings nichts zu tun, viel mehr werden jetzt nur die vielen Einzel-Tools in einem Fenster gemeinsam präsentiert - etwas das schon einige Zeit optional möglich war.

Zeitlich

Ein neu gestaltetes Einstellungstool gibt es zum Festlegen von Zeit und Datum. Dies entspricht im Groben dem, was hierfür schon bei der Installation angeboten wird. Somit kann jetzt auch hier anhand einer Karte die eigene Zeitzone festgelegt werden. Zudem lassen sich einige Optionen für den DateTime-Indicator im Panel festlegen, etwa ob anstehende Ereignisse aus dem Evolution-Kalender eingebunden werden sollen, wer will kann die Panel-Uhr auch zur Gänze deaktivieren.

One

Stark überarbeitet hat man das Interface für Ubuntu One, Canonicals eigenem Angebot für einen persönlichen Online-Speicher. So kann man hier nun ausgewählt nur einzelne Bereiche abgleichen lassen. Zudem wurde das Syncen an sich weiter beschleunigt, und es gibt eine zugehörige Fortschrittsanzeige im Launcher. Entsprechende Overlays werden übrigens auch von anderen Anwendungen unter Unity genutzt: So zeigen etwa Evolution oder Empathy die Zahl der neuen Nachrichten an dieser Stelle an.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Wie bereits Eingangs erläutert, liefert GNOME - Unity zum Trotz - weiterhin den Großteil der Softwareausstattung des Ubuntu-Desktops. Allerdings gibt es unter diesem Blickpunkt kaum etwas Neues zu berichten, und dies aus einem simplen Grund: "Natty Narwhal" enthält mit GNOME 2.32 haargenau die selbe Desktop-Version wie sein Vorgänger. Von all den GNOME-Shell-unabhängigen Neuerungen in GNOME 3.0 - vom Umbau des File Managers Nautilus bis zum Wechsel auf GTK+3 - profitiert man also bislang nicht. Um genau zu sein wird GTK+3 noch von keinem einzigem Programm im Default-Install genutzt - und wandert konsequenterweise gar nicht mit auf die Platte.

Klassisch

Als praktisch unverändert erweist sich entsprechend auch der zuvor schon kurz erwähnte "Ubuntu Classic"-Modus, den Unity-Abtrünnige auch gezielt am Login-Screen auswählen können. Eine große Zukunft ist diesem Modus allerdings nicht mehr beschert, soll er doch schon mit Ubuntu 11.10 gänzlich aus der Distribution verschwinden - und durch Unity 2D ersetzt werden.

GNOME3, schwierig

Wer gern mal GNOME 3.0 unter Ubuntu einem Probelauf unterziehen will, hat es bei "Natty" nicht unbedingt einfach. Zwar gibt es ein offizielles GNOME3 PPA, aber von dessen Benutzung raten derzeit selbst die offiziellen EntwicklerInnen noch ab. Immerhin wird hier praktisch der gesamte Desktop ausgetauscht - was als Nebeneffekt zur Folge hat, dass dann Unity nicht mehr geht. Eine halbwegs "saubere" Lösung erwartet man frühestens einen Monat nach der Freigabe von Ubuntu 11.04. Wer sich der Risiken bewusst ist und nicht so lange warten will, findet eine Anleitung auf Askubuntu.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Zum Abschluss dieses Tests bleibt noch eine weitere kritische Anmerkung nicht erspart: Ubuntu 11.04 ist die - mit Abstand - instabilste Version der Linux-Distribution, die der Autor in den letzten Jahren getestet hat. Zu Abstürzen kam es im Verlauf des Tests praktisch regelmäßig, dies reicht von kleineren Problemen mit dem Bootloader bis zu gleich nach dem Login crashenden Anwendungen - oder ewigen Wartezeiten.

Unity

Auch Unity selbst ließ sich - reproduzierbar - auf mehreren Wegen zum Absturz bringen, dies ohne sonderliche Anstrengungen in eine solche Richtung. Ein Umstand, der übrigens Canonical durchaus bewusst ist, hat man doch erst knapp vor der Release eigene Test-Daten veröffentlicht, die eigentlich zur Überprüfung der Usability gedacht waren, als Nebeneffekt aber auch ergaben, dass Unity selbst auf den Test-Systemen von Ubuntu bei der Hälfte der ProbantInnen abstürzte - dies innerhalb einer Stunde. 

Buggy

Auch wenn in Betracht zu ziehen ist, dass der Test einige Tage vor der finalen Version durchgeführt wurde, eine solch signifikant hohe Anzahl von Problemen zu einem solch späten Zeitpunkt im Entwicklungszyklus stellt doch einen erheblich Unterschied zu früheren Releases dar (Update, 28.04: Bis zur fertigen Version hat sich in dieser Hinsicht nichts mehr geändert). Insofern gibt es wenig zu beschönigen, in Stabiltätsfragen erinnert das Ganze derzeit bestenfalls an eine frühe Beta. Aus Sicht von Canonical ist trotzdem durchaus zu verstehen, dass man sich aktiv gegen den Rückschritt zu einem klassischen GNOME 2.x als Default-Umgebung entschieden hat, würde dies doch auch wohl die eigenen Unity-Pläne zurückwerfen.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Ubuntu 11.04 hinterlässt einen eher gemischten Eindruck: Zwar kann Unity - wenn man sich mal darauf eingelassen hat - mit einigen durchaus interessanten und wohl durchdachten Konzepten aufwarten, die das Zeug haben, den Desktop-Alltag zu erleichtern. Gerade die starke Suche und das "Lenses"-Konzept bergen hier noch einiges an Potential für die Zukunft. Gleichzeitig wirkt die aktuelle Version aber an all zu vielen Stellen wie eine Baustelle, um wirklich ungetrübte Begeisterung aufkommen zu lassen. Aber klar: Angesichts des kurzen Entwicklungszyklus von Ubuntu und des Umstands, dass man dann auch noch Unity auf Basis von Compiz reimplementiert hat, war wohl nicht groß etwas anderes zu erwarten. Insofern sollte beim Testen bedacht werden, dass es sich hierbei erst um einer erste Version handelt. Viele der jetzt noch unübersehbaren Probleme und losen Fäden werden wohl schon bis zur kommenden Release im Oktober ausgebügelt sein.

Update oder nicht?

Bestehende NutzerInnen haben von dieser Erkenntnis natürlich wenig, immerhin wollen sie mit dem Desktop im hier und jetzt arbeiten - und nicht erst in sechs Monaten. So bleibt "Natty Narwhal" eigentlich nur für jene eine uneingeschränkte Empfehlung, die gerne rasch neue Konzepte ausprobieren wollen, und sich von den verbliebenen Bugs nicht abschrecken lassen. Alle anderen sollten lieber noch ein paar Wochen warten, bis zumindest die gröbsten Fehler durch Updates ausgebügelt wurden - oder die aktuelle Version gleich ganz auslassen. Wer mit Unity so gar nichts anfangen kann, und lieber weiter den "klassischen GNOME" bevorzugt, für den gibt es ohnehin kaum einen wirklich überzeugenden Grund auf Ubuntu 11.04 zu aktualisieren. Die selbe GNOME-Version mit geringerer Stabilität - wer hier nicht gerade sehr aktuelle Hardware sein eigen nennt, wird von solche einem Ausblick wenig angetan sein.

Ausblick

Für die weitere Zukunft der Distribution - in Form von Ubuntu 11.10 - stehen nun aber gleich die nächsten größeren Hürden an. So muss sich erst zeigen, wie Ubuntu nach dem Unity-Wechsel die Integration der diversen GNOME3-Komponenten (natürlich jenseits der GNOME Shell) in seinen Desktop bewerkstelligt. Damit einher geht eine Umstellung der eigenen Softwarebestandteile auf GTK+3 - insofern wird wohl der nächste Release-Zyklus auch nicht unbedingt ein Spaziergang für die EntwicklerInnen bei Canonical. Dazu ist derzeit auch noch nicht wirklich geklärt welche Rolle die KDE-Basis Qt - jenseits der Nutzung bei Unity 2D - künftig in Ubuntu spielen soll - und wie sich das dann alles rein platzmäßig auf die Live-CD ausgeht. Nur eines ist eigentlich wirklich sicher: Der Linux-Desktop erlebt so spannende Zeiten wie schon lange nicht mehr, bleibt zu hoffen, das im Endeffekt die NutzerInnen vom Wettstreit zwischen Unity, GNOME3 und anderen Umgebungen wie KDE profitieren. 

Download und so

Ubuntu 11.04 soll am 28.04 in der fertigen Version zum Download freigegeben werden. Wer nicht mehr so lange warten will, kann sich die aktuellste Beta herunterladen und dann mit dem Update Manager auf die Final Release aktualisieren. Eine eigene Netbook-Version gibt es angesichts der Unity-Integration in den Desktop übrigens nicht mehr. Das darauf folgende Ubuntu 11.10 "Oneiric Ocelot" wird derzeit für Mitte Oktober anvisiert. (Andreas Proschofsky, derStandard.at, 25.04.11)

Screenshot: Andreas Proschofsky