Franck Edmond Yao, Hauke Heumann, Jean Claude Dagbo und Gotta Depri (v. li.) tanzen Coupé Decalé im Stück "Betrügen" - zu sehen am Freitag beim Donaufestival in Krems.

Foto: Knut Klaßen

Regisseurin Monika Gintersdorfer bringt Performer zusammen.  1967 in Lima/Peru geboren, zählt sie zu den derzeit interessantesten jüngeren Regisseurinnen Deutschlands. Gemeinsam mit dem bildenden Künstler Knut Klaßen entwickelt sie Performanceprojekte, in denen Lebensstrategien und Ausdrucksformen der Darsteller mit eigenen Ästhetiken konfrontiert werden. 2010 wurden sie zur Tanzkompanie des Jahres gewählt.

Foto: Knut Klaßen

Mit der Regisseurin sprach Margarete Affenzeller.

Standard: Wann und wie haben Sie Côte d'Ivoire kennengelernt?

Gintersdorfer: Das war 2002, genau in dem Jahr, in dem die Rebellion ausgebrochen ist. Ich reise jedes Jahr ein- bis zweimal hin. Im Februar war ich das letzte Mal dort.

Standard: Wie sind Sie auf den ivorischen Tanzstil Coupé Decalé gestoßen, der in Ihren Arbeiten oft vorkommt?

Gintersdorfer: Bei einer Aftershow-Party in Hamburg habe ich Bobwear kennengelernt, einen ivorischen Designer. Er war sehr elegant gekleidet und hat sehr schön getanzt. Durch ihn habe ich die Nachtclubs entdeckt, in denen ivorische DJs mit ihren Coupé-Decalé-Shows auftraten.

Standard: Was genau ist Coupé Decalé?

Gintersdorfer: Eine Gruppe von acht ivorischen Männern, die sich La Jetset nannten, haben diesen Lebens- und Tanzstil in Paris erfunden. Douk Saga war der Chef, und sie haben diesen Tanz in den ivorischen Nachtclubs von Paris verbreitet. Zugleich gab es eine Verbindung zur Hauptstadt der Elfenbeinküste, Abidjan. Auch das Gehabe des ivorischen Präsidenten wurde in diese Shows integriert. Coupé Decalé war nicht dafür gedacht, die Franzosen zu beeindrucken, sondern dafür, die Elfenbeinküste zurückzuerobern.

Standard: Und es war ein Erfolg?

Gintersdorfer: Es war ein Mega-Erfolg, Coupé Decalé ist heute Mainstream und wird in jedem Nachtclub gespielt. Die Ivorer betrachteten ihr Land immer als die Perle Westafrikas, was durch die politische Krise stark beeinträchtigt wurde, und das hat ihr Selbstbewusstsein gekränkt, aber im Coupé Decalé lebt dieses Gefühl weiter. Früher war die kongolesische Musik dominant, mit Coupé Decalé hatte man was Eigenes. Und das ist typisch: Diese Länder lieben es, sich gegenseitig zu demütigen und mit dem anzugeben, was man hat. "Ihr habt Probleme, wir haben keine!"

Standard: Coupé Decalé gibt es auch außerhalb von Côte d'Ivoire?

Gintersdorfer: Kamerun, Burkina Faso, Togo, Benin. Wenn man denkt, von welch kleiner Gruppe das eigentlich ausgegangen ist, dann ist das ein Coup. Viele sagen auch, es war ein kleiner künstlerischer Staatsstreich.

Standard: Im Kern Ihrer Arbeit steckt die Haltung, die Differenzen von Kulturen beizubehalten?

Gintersdorfer: In unserer Arbeit bringen wir Performer aus Europa und Westafrika zusammen. Das ist ein System, in dem man sich gegenseitig etwas demonstriert und erklärt. Aber wir gehen nie davon aus, dass man sowieso dasselbe tun könnte. Das ist eine Grundmaxime unserer Arbeit.

Standard: "New Black" umfasst mehrere Performances. Was meint der Titel genau?

Gintersdorfer: Der Titel ist der Name eines Clubs in Abidjan. Diesem Club haben wir unsere Arbeit gewidmet. Der erste Teil, Die Gesellschaft des Bösen, lehnt sich an Macbeth an, indem wir die Logik des Bösen auf afrikanische Länder anwenden, also Praktiken ablesbar machen, wie man an die Macht kommen kann. Wir zeigen auch Die Kindertänzer und Logobi 01 und die Preview auf Am Ende des Westerns, das sich mit den jüngsten Entwicklungen in Côte d'Ivoire befassen wird.

Standard: Können die ivorischen Darsteller noch problemlos reisen?

Gintersdorfer: Viele Flüge waren aufgrund der Gefechte gestrichen, auch das Genehmigen der Visa war ein Glück. Die Konten der Performer wurden zum Teil eingefroren, und man weiß nicht, ob das Geld noch verfügbar ist. Also, die ökonomische Situation ist seit Jänner so runtergekracht, dass nun jeder seine Familie mitversorgen muss. Die Darsteller gehören zudem noch unterschiedlichen politischen Richtungen an, das sorgt für Spannungen.

Standard: Sie gastieren derzeit mit vollem Programm beim Donaufestival. Mit dem Stück Erleide meine Inspiration sind Sie auch im Wuk (3./4. 5. ). Worum geht es da?

Gintersdorfer: Das beschäftigt sich mit Religion, Politik und Showbiz. Wir haben immer versucht, einem Publikum, das wenig über eine andere Gesellschaft weiß, an einem Theaterabend möglichst viel verständlich zu machen. Nicht nur Showbiz-Inhalte.

Standard: Wie verschieden ist das Publikum in Europa und Afrika?

Gintersdorfer: In Abidjan wird das Publikum immer Teil der Aufführung. Die sind nicht still wie das europäische, sondern die antworten. Die Performer müssen sich oft richtig verteidigen, weil sich das Publikum so behauptet.

Standard: Sie bereisen das Land seit zehn Jahren intensiv. Wie hat es sich verändert?

Gintersdorfer: Es hat immer Kämpfe gegeben, aber nur kurz und außerhalb der Stadt. Jetzt aber wurde der Konflikt in die Stadt hineingetragen, dort, wo Millionen Menschen unterschiedlicher Ethnien und politischer Überzeugungen nebeneinander leben. Und es wird mit schwerem Geschütz gekämpft. Das kannte niemand. Jeder in der Stadt weiß, wo der Minister wohnt, und auch, wo dessen Mutter wohnt. Wenn sich die Situation auflädt, ist klar, vor welche Tür man fahren muss. Es gibt keine Anonymität.

Standard: Anonymität ist ein Wert der westlichen Kultur?

Gintersdorfer: Ja, selbst in Millionenstädten gibt es Anonymität nicht. Ich wurde in Abidjan wiedererkannt. Wenn jemand neu auftaucht in einer Straße, wird sofort geklärt, wer ist das, und diese Info kursiert dann. Es ist nicht leicht unterzutauchen.

Standard: Für Am Ende des Westerns haben Sie Politikergesten studiert. Aber sind Politiker nicht eher einförmig?

Gintersdorfer: Das ist in Afrika überhaupt nicht der Fall. Politiker gehen dort in ihrer Performance sehr weit, sie müssen die Fähigkeit haben, zu begeistern, und sie sind rhetorisch gar nicht vorsichtig.  (DER STANDARD, Printausgabe, 28.4.2011)