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In unseren Breiten ein übliches Bild: Der Mann am Grill.

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Patricia Zuckerhut, ist Kultur- und Sozialanthropologin, Senior Lecturer an der Universität Wien sowie Lehrbeauftragte an verschiedenen Universitäten Österreichs. Ihre Lehr- und Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der feministischen Anthropologie und Mittelamerika. Derzeit arbeitet sie an ihrer Habilitation zum Thema "Households at the Crossroads of Hierarchy and Agency", bezogen auf die Sierra Norte de Puebla, Mexiko.

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In Österreich sind die Geschlechterrollen beim Grillen traditionell verteilt: 54 Prozent der Männer, aber nur 19 Prozent der Frauen geben an, am Rost zu stehen. So lautet das Ergebnis einer Umfrage des Linzer Instituts "Spectra". Bei der Zubereitung der Beilagen verhält es sich umgekehrt. Wie ist dieses Phänomen erklärbar? Handelt es sich gar um eine unveränderliche Tatsache? derStandard.at befragte dazu die Kultur- und Sozialanthropologin Patricia Zuckerberg.

derStandard.at: Ein Blick über die österreichischen Gartenzäune: Der Mann steht am Feuer und röstet das Fleisch, während die Frau in der Küche den Salat zubereitet. Wie erklären Sie sich dieses Phänomen?

Patricia Zuckerhut: Eine mögliche Antwort kann lauten: Das Außen wird stärker mit männlich, das Innen stärker mit weiblich assoziiert. Das Außen entspricht stärker dem öffentlichen Bereich, wo auch die Gäste zu finden sind, das Innen entspricht dem privaten Bereich. Dieser Erklärungsansatz ist ein strukturalistischer, in Anlehnung an Claude Lévi-Strauss sowie an die bürgerlichen Geschlechterzuschreibungen im Europa des 19. Jahrhunderts. Ebenso lässt sich das Fleisch dem Mann, der Salat und das Gemüse dagegen der Frau zuordnen.

derStandard.at: Fällt Ihnen noch eine andere Sichtweise ein?

Zuckerhut: Es gibt keinen Grund für die Frau, sich in der Sommerhitze auch noch zum Feuer zu stellen.

derStandard.at: Alltägliches Kochen ist weiblich, zeremonielles Kochen männlich. Über die Ursachen dieser Tatsache rätseln EthnologInnen, AnthropologInnen und SoziologInnen. Haben Sie dafür eine Antwort?

Zuckerhut: Dass alltägliches Kochen weiblich, zeremonielles Kochen männlich ist, gilt zwar für große Teile der europäischen Bevölkerung, kann aber nicht verallgemeinert werden. In Europa dürfte es mit den Geschlechterdichotomien und -hierarchien in Verbindung stehen: Die Abwertung des alltäglichen Bereichs geht mit der Abwertung des Weiblichen einher, die höhere Bewertung des zeremoniellen Bereichs steht analog zum Männlichen.

derStandard.at: Ist Grillen ein Ausdruck von sogenannter "Männlichkeit"?

Zuckerhut: Grillen dürfte mit bestimmten Formen von Männlichkeit in Verbindung stehen – zumindest in dem mir bekannten Umfeld. Es gibt aber sicherlich auch andere "Maskulinitäten", für die Grillen keine Rolle spielt.

derStandard.at: Die Feuerstelle war ursprünglich eine weibliche Sphäre, während Männer mit dem Jagen beschäftigt waren. Kann man sagen, dass es da zu einer Geschlechter- und Rollenumkehr gekommen ist?

Zuckerhut: Es ist keine Umkehr erfolgt: Die Feuerstelle im Haus ist nach wie vor "weiblich", auch wenn sie sich stark gewandelt hat und kaum noch als solche erkennbar ist. Nur die Feuerstelle außerhalb des Hauses erscheint männlich.

Was das Jagen betrifft, wird in Österreich auf den ersten Blick nach wie vor der Mann mit der Jagd assoziiert, die Frau hingegen nicht. Auf den zweiten Blick allerdings gibt es zum Beispiel die eher weiblich konnotierte "Schnäppchenjagd".

derStandard.at: In ihrem nicht mehr ganz neuen Buch "Die geheime Botschaft unserer Speisen" hat die Motivforscherin Helene Karmasin die kulinarische Geschlechtertrennung so gefasst: Fleisch und Blut seien männlich, pflanzliche Nahrung und Milch dagegen weiblich. Untermauert wird diese Vorstellung von den kochenden Männern selbst. Eine Männer-Kochzeitung etwa wurde "Beef" benannt. Und nach der US-amerikanischen Wissenschaftlerin Carol J. Adams gibt es einen Zusammenhang zwischen fanatischem Fleischverzehr, Männlichkeitswahn und Gewalt. Adams Theorie zufolge ist weiblicher Vegetarismus zudem ein Akt der Solidarität. Was sagen Sie dazu?

Zuckerhut: Ich denke, diese These hat vielleicht in bestimmten Zusammenhängen Gültigkeit, kann aber auf keinen Fall verallgemeinert werden. Die Assoziation, Fleischessen sei männlich, Vegetarismus weiblich, entspricht nicht unbedingt der Realität. Sie steht in Verbindung mit bestimmten Denk- und Geschlechterkonstruktionen, die sich in einem bestimmten Kontext mit bestimmten Hintergründen herausgebildet haben. Es muss aber immer darauf geachtet werden, nicht selbst in diese Dualismen zu verfallen und diese damit noch weiter zu verfestigen.

derStandard.at: Ist das brutale Schlankheitsgebot für Frauen in Europa und in den USA nicht auch eine sehr subtile Weise, sie von reichhaltigem Essen fern zu halten? Und versteckt sich hinter der Toleranz für dicke Männer deren Recht auf mehr, auf besseres, auf "männliches" Essen?

Zuckerhut: Das Schlankheitsgebot für Frauen ist erst zu einem Zeitpunkt aufgetaucht, als für weite Teile der Bevölkerung, wenngleich nicht für alle, fast ein "zu viel" an reichhaltigem Essen vorhanden war. In vielen Weltregionen und auch im europäischen Raum dominierte – und dominiert auch heute – eher ein "Dickheitsgebot" für Frauen. Zumindest unter den jungen Frauen lässt die Toleranz für "dicke" Männer merklich nach beziehungsweise hielt sie sich womöglich auch in den vergangenen Jahrzehnten eher in Grenzen. Es stimmt aber, dass die Vorstellung weit verbreitet ist, "der Mann" brauche mehr Fleisch und eine zweite oder dritte Portion. Andererseits wird im Alltagsverständnis "den Frauen" mehr Schokolade und Kuchen zugestanden, also auch nicht unbedingt schlank machendes Essen.

Wer was und wie viel isst, muss vor allem als ein Klassenphänomen und an die Herkunft, den Wohnort etc. gekoppelt betrachtet werden. Das gilt auch für die Sichtweise, was als "gutes" oder "besseres" Essen definiert wird: fettes oder mageres Fleisch, Bio-Fleisch, viel oder wenig Gemüse, rohes, gekochtes oder gebratenes Gemüse...

derStandard.at: Gibt es Kulturen, wo das Grillen den Frauen vorbehalten ist?

Zuckerhut: Es stellt sich die Frage, ob diese Dichotomie Kochen-Grillen so weit verbreitet ist und in welcher Art und Weise das Grillen erfolgt. In meiner Kindheit in Salzburg hat sich jeder Mann und jede Frau das Würstchen selbst gegrillt, die Kartoffeln selbst ins Feuer gelegt und wieder herausgefischt. Grillen war einerseits ein Gemeinschaftsakt, an dem sich alle beteiligt haben – Männer wie Frauen, Knaben wie Mädchen – andererseits war es ein individueller Akt, denn jeder und jede hat für sich selbst gegrillt. Geschlechterungleichheit gab es allerdings dennoch. (red, derStandard.at 2.5.2011)