Die Demonstrationswelle in Syrien ist nicht mehr einzufangen. Wie in Tunesien, Ägypten und Libyen haben die Menschen die Angst abgelegt und gehen aufs Ganze. Aus der Protestbewegung ist eine Umsturzbewegung geworden: Keinen Politikwechsel unter Assad, sondern einen Regimewechsel wollen die Demonstranten.

Das heißt andererseits nicht, dass das Regime bereits ernsthaft wackeln würde: Noch immer gibt es in Syrien keinen Tahrir-Platz für die ganze Nation. Die Unruhen verlaufen lokal unterschiedlich, etwa mit oder ohne konfessionelle Komponente. Die wichtigsten Städte Aleppo und Damaskus - wo es Massendemonstrationen nur in den Zuwanderer-Vororten gibt - blieben bisher relativ ruhig. Das bedeutet, dass sich breite sunnitische Mittelschichten, zum Beispiel "der Bazar" , der Bewegung noch nicht angeschlossen haben. Die Geschäfte gehen nur gut, wenn das Land stabil ist, und was nach Assad kommt, ist unsicher.

Aus der Armee kommen Einzelgerüchte über Ungehorsam. Aber noch mehr als in Ägypten - wo die Armee dazu auch viel größer und eine eigene Wirtschaftsmacht ist - sind in Syrien Regime und Armee eine Einheit, viel schwerer auseinanderzudividieren. Einzelne Absetzbewegungen müssen nicht unbedingt Kräfte hervorbringen, die stark genug sind, die Zügel in die Hand zu nehmen und die Lage zu kontrollieren - und jenen Teil der Armee zu bekämpfen, der weiß, dass er mit Assad untergeht oder überlebt. (Gudrun Harrer /DER STANDARD, Printausgabe, 30.4.2011)