Vor Beginn des heutigen Staatsbesuchs des türkischen Staatspräsidenten Abdullah Gül in Wien, hat sich Bundespräsident Heinz Fischer für eine Fortsetzung der EU-Beitrittsverhandlungen der Türkei ausgesprochen. Dabei könne aber niemand verhehlen, dass die Beitrittsgespräche einen langen und schwierigen Prozess darstellten, sagte Fischer in einem am Montag erschienenen Interview der türkischen Tageszeitung "Zaman". Fischer bekräftigte beim türkischen EU-Beitrittsprozess gehe es auch um die Aufnahmefähigkeit der EU sowie um schwierige Themen wie den Zypern-Konflikt. Gegenüber "Zaman" wandte sich der Bundespräsident mit deutlichen Worten gegen jede Art von Diskriminierung und Ausländerfeindlichkeit. Die österreichische Verfassung garantiere die Religionsfreiheit, was auch für den Islam gelte. Zufrieden äußerte sich Fischer über den Stand der österreichisch-türkischen Wirtschaftsbeziehungen. Im vergangenen Jahr sei Österreich mit der Summe von einer Milliarde Euro die größte Einzelquelle ausländischer Direktinvestitionen in der Türkei gewesen. Diese Zahl habe auch ihn selbst überrascht, sagte der Bundespräsident.

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Zu Paul Jenewein kommen sie alle einmal. Der österreichische Generalkonsul in Istanbul, ein Tiroler, ist die Anlaufstelle für Politiker und Unternehmer aus den Bundesländern, die zum ersten Mal in die Millionenmetropole am Bosporus reisen und dann staunen: "So haben wir uns die Türkei nicht vorgestellt."

So wie Istanbul ist die Türkei auch nicht - oder nicht nur. Es boomt auch anderswo im Land - in Kayseri, Gaziantep, Konya oder Bursa -, nur eben nicht so hektisch. Aber Nichtwissen ist ein Standard im Verhältnis der Österreicher zu dem großen Land zwischen Europa und Asien.

Das will Abdullah Gül nun ändern. Ab zwölf Uhr Mittag ist am heute, Montag, Staatsbesuch in Wien. "Was wir tun müssen, ist, die Türkei in Österreich besser bekanntzumachen" , hatte der türkische Präsident im Standard-Interview erklärt. "Wir müssen auch erzählen, dass die Türkei, wenn sie der EU beitritt, keine Last für Österreich darstellen wird. Im Gegenteil: Mit dem Beitritt wird der Kuchen größer werden."

Der Beitrittsprozess der Türkei ist eine der großen strategischen Aufgaben, die sich die Europä-ische Union gesetzt hat. Jetzt, nach mehr als fünf Jahren, ist dieser Prozess ziemlich auf Grund gelaufen. Ein "unfaires Spiel" nennt das Alev Korun, die grüne Nationalratsabgeordnete und türkischstämmige Politikerin. Einzelne Länder oder Staatschefs in der EUscheren aus und erklären, eigentlich wollten sie gar keine Beitrittsverhandlungen mehr mit der Türkei, stellt die Grüne unter Anspielung auf den französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy fest. Für die große Mehrheit in der österreichischen Politik ist es gleichwohl das richtige Spiel. Deshalb wird Österreich von türkischen Regierungsvertretern weiterhin gemeinsam mit Frankreich und Deutschland als das Trio der Bremser und Blockierer genannt: gestern beim Beschluss über die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen, heute in der Frage der Visa-Erleichterungen für türkische Geschäftsleute, Künstler und Studenten.

Abdullah Güls dreitägiger Besuch in Österreich, der erste eines türkischen Präsidenten seit 13 Jahren, kommt also zu einer wichtigen Zeit. Deutlicher denn je ist in den österreichisch-türkischen Beziehungen die Schere zwischen Politik und Wirtschaft aufgegangen. Während österreichischeUnternehmer die Türkei entdeckt haben und Konzerne massiv investieren - "Der Balkan ist für uns schon erledigt, jetzt ist die Türkei dran" , sagt ein Marktbeobachter -, stehen die Politiker merkwürdig isoliert daneben.

Vage Formeln

"Ergebnisoffen" sollen die Gespräche mit der Türkei über den EU-Beitritt sein, heißt die Formel von Außenminister Michael Spindelegger, die schon als Fortschritt gilt, gemessen am Kriterium der "Aufnahmefähigkeit" , die Spin-deleggers Amtsvorgängerin Ursula Plassnik im Oktober 2005 in das Verhandlungsmandat der EU hineinreklamiert hatte. Österreichischen Unternehmern gefallen solche vagen Begriffe nicht. Sie vermissen einen klaren Zeithorizont. Vor allem die OMV hat Österreich 2010 zum größten ausländischen Investor in der Türkei gemacht und das Tankstellennetz der Petrol Ofisi gekauft. Milliardeninvestitionen tätigt man nicht ohne Vertrauen in das politische Umfeld. Im September wird Österreich das erste "Partnerland" überhaupt auf der Internationalen Messe Izmir sein. Die Manager sind sich weit sicherer mit der Türkei, als es die österreichische Bevölkerung ist.

Für die österreichische Politik ist es eine Reise vom Nullpunkt zum Nullpunkt: von der Marathon-Nacht in Luxemburg im Oktober 2005, als Ursula Plassnik den "Beitrittszug" aufhielt, bis zum berüchtigten Interview des türkischen Botschafters Kadri Ecvet Tezcan in Wien im November 2010. Tezcan mag Wahrheiten ausgesprochen haben, als er die grassierende Türkenfeindlichkeit im Land benannte, doch für österreichische Diplomaten, die an einer Verbesserung der Beziehungen gearbeitet hatten, waren seine Äußerungen verheerend.

Proteste der FPÖ

Die Gründung des Vereins "Österreichisch Türkische Zusammenarbeit" (ÖTZ), einer neuen Plattform für Meinungsführer in beiden Ländern, war eine Folge des Tezcan-Desasters. Die FPÖ kündigte für heute gleichwohl Proteste gegen den Botschafter an. FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky will Gül angeblich ein Schreiben überreichen, in dem der türkische Präsident zum Abzug Tezcans aufgefordert wird. (Markus Bernath aus Istanbul /DER STANDARD, Printausgabe, 2.5.2011, APA)