Griechenland strauchelt nach wie vor, das Land braucht ein zweites finanzielles Hilfspaket, das steht nun fest. Der Münchner Volkswirt Gerald Mann, der an der FOM Hochschule für Ökonomie und Management lehrt, nennt die Vorgänge rund um die Rettung des südeuropäischen Landes nur noch lakonisch "Konkursverschleppung". Das im Vorjahr eilig aufgestellte 110 Milliarden Euro schwere Rettungspaket sollte das Eingeständnis der Zahlungsunfähigkeit vermeiden, zumindest hinausschieben. "So konnte Griechenland eine Defizit-Volkswirtschaft bleiben, die weiter mehr Leistungen von anderen importiert als sie ihnen zur Verfügung stellt."

"Vorbürgerkriegsähnliche Zustände"

Weil die Finanzmärkte nicht mehr bereit waren, dieses Außenhandelsdefizit zu finanzieren, "nahmen die Politiker nun die Steuerzahler und Sparer der solideren Euroländer dafür in Haftung", kritisiert Mann gegenüber derStandard.at. "Griechenland musste zwar versprechen, nun kräftig zu sparen, wobei 'Sparen' in diesem Kontext nur heißt, den eigenen Schuldenberg etwas weniger schnell wachsen zu lassen als bisher." Aber selbst das habe Griechenland nur teilweise erreicht, denn das Pleiteland leidet vor allem unter mangelnder Wettbewerbsfähigkeit - "seine Waren und Dienstleistungen sind einfach zu teuer. Dies kann es bei Verbleib im Euroraum nur durch massive Lohnkürzung und Preissenkung beheben." Das würde aber die griechische Gesellschaft nicht aushalten, die sich "teilweise in vorbürgerkriegsähnlichen Zuständen" befinde, so der Ökonom. Seine Schlussfolgerung: Der griechische Euro-Ausstieg hätte schon 2010 vonstatten gehen müssen, kombiniert mit einem Schuldenschnitt der Euro-Verbindlichkeiten um mindestens 50 Prozent.

Da man diesen Weg aber nicht gegangen sei, wuchs der Schuldenberg weiter an. "Geändert hat sich nur, dass zum Schaden, der schon Anfang 2011 entstanden war, durch die Bürgschaften der anderen Euroländer ein weiterer zweistelliger Milliardenbetrag hinzugekommen ist." Den jetzigen Zustand könne man daher nur noch durch weitere offene oder verdeckte Transfers aufrechterhalten. "Der politische Widerstand gegen dieses 'Fass ohne Boden' nimmt aber im Norden von Euroland zu, man denke an das finnische Wahlergebnis."

Neugründung statt Austritt

Den Ausweg aus dieser Misere skizziert Mann wie folgt: Da der Austritt eines wirtschaftlich schwachen Landes aus der Währungsunion höchst problematisch sei, sollten die solideren Staaten aus der Eurozone aussteigen, "allen voran Deutschland. Dort würden die Menschen die Banken nicht stürmen aus Angst vor einer neuen Währung, sondern sie würden sich sogar darauf freuen." Weitere Länder könnten dem folgen, z.B. die Niederlande, Österreich oder Finnland, so Mann. Die neue "harte" Währung - Mann nennt sie "Europäische Mark" - würde gegenüber dem Euro aufwerten.

Eine neue gemeinsame Notenbank wäre zu gründen, als Eintrittskriterium in den exklusiven Klub sollte gelten, "dass zehnjährige Anleihen dieser Länder nicht mehr als 0,5 Prozentpunkte über denen entsprechender deutscher Bundesanleihen rentieren". Eine Manipulation der Renditen nach unten durch Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank (EZB), wie derzeit bei Griechenland, Irland und Portugal, dürfe bei Teilnehmern der "Europäischen Mark" auf keinen Fall vorliegen.

Hüben Stabilität, drüben Abwertung

Die Vorteile wären, "dass die solideren Länder zu einer stabilitätsorientierten Geldpolitik zurückkehren könnten, mit der die EZB im vergangenen Jahr nicht zuletzt durch die Aufkäufe von Staatsanleihen gebrochen hat". Die schwächeren Euroländer erhalten so die Abwertung und die währungspolitische Flexibilität, die sie zur Rückgewinnung ihrer Wettbewerbsfähigkeit benötigen. "Urlaub in Griechenland und Portugal wird wieder preiswert, und zwar ohne nominale Lohnkürzung. Die Exporte aus den 'Mark-Ländern' in die verbliebenen Euroländer würden zwar zunächst sinken, weil wir schlechtem Geld nicht weiter gutes hinterherwerfen, um unsere eigenen Exporte wie bisher zu finanzieren. Doch nach ihrer Genesung würden diese Länder wieder verstärkt Waren nachfragen, aber eben auf einer ökonomisch gesunden Basis und nicht kreditfinanziert." Ob die verbliebenen Euroländer ihre Staatsverschuldung durch massive Inflationierung oder durch Schuldenschnitte lösen, bliebe ihnen selbst überlassen, berühre die Sparer in den stärkeren Ländern aber weniger als im Ist-Zustand.

Kosten und Nutzen

Die volkswirtschaftlichen Kosten dieses Modells schätzt Mann, ausgehend von den Erfahrungen bei der Euro-Einführung, auf zwei bis drei Prozent eines Jahres-BIPs, verteilt über mehrere Jahre. Er weist allerdings darauf hin, dass diesem Aufwand für die stabilen Länder auch ein nicht geringer Nutzen gegenüberstehen würde: "Im Gegensatz zu schwachen Ländern, welche den Euro verlassen und die deswegen einen Schuldenschnitt machen müssen, können wirtschaftlich starke Länder ihre Schulden ja in Euro stehen lassen. Weil die neue Währung dann gegenüber dem Euro aufwertet, reduziert sich die Schuldenlast relativ zum BIP."

49 Prozent der Deutschen wünschen sich laut einer aktuellen Umfrage die D-Mark zurück, zwei Drittel sorgen sich um die Stabilität des Euro - Mann hält deshalb die Maßnahmen für politisch umsetzbar. "Wären die Summen im Bewusstsein der Bürger der solideren Länder, mit denen ihre Regierungen bereits für Griechenland, Irland und Portugal gebürgt haben, wäre die Ablehnung noch größer."

Rechtlich mag es gegen diese Lösung zwar massive Einwände geben, meint Mann abschließend. "Doch basierte nicht der Eintritt Griechenlands in die Eurozone aufgrund von Zahlenmanipulation auch auf einer rechtlich höchst fragwürdigen Basis?", stellt er dem gegenüber. Und irgendwann müsse sich doch "die wirtschaftspolitische Vernunft gegen die europapolitisch korrekte Realitätsverweigerung durchsetzen". (map, derStandard.at, 11.5.2011)