Gleichgültig, ob Europas Entscheidungsträger einen Ausweg aus der Schuldenkrise finden oder nicht, eine Hoffnung der Väter des Euro muss wohl begraben werden: dass die gemeinsame Währung zu mehr Konvergenz führt, also zu einem wachsenden Gleichklang in der Wirtschaftsstruktur und den Konjunkturzyklen der Eurostaaten.

Das Gegenteil scheint der Fall zu sein: In den ersten Jahren nach der Euro-Einführung zogen Länder wie Spanien und Irland mit hohem Wachstum davon, während die früheren Hartwährungsländer Deutschland, Österreich und die Niederlande schwächelten. Doch nun erweisen sich die früheren Nachzügler, allen voran Deutschland, als Wachstumslokomotiven; dafür sind die einstigen Stars tief gefallen. Von einem gemeinsamen Wirtschaftsraum ist die Eurozone weiter entfernt denn je. Für die Europäische Zentralbank, die einen Zinssatz für den gesamten Euroraum festlegen muss, ist dies ein Albtraum.

Die jüngsten Prognosen der EU-Kommission machen deutlich, dass diese Divergenz zwischen dem starken Norden und schwachen Süden noch viele Jahre anhalten wird. Dabei sind die Zahlen insgesamt gar nicht so schlecht. Niemand kann derzeit mit Deutschland mithalten, aber dass Frankreich, das schon befürchtet hat, gegenüber dem großen Nachbarn hoffnungslos zurückzufallen, genau so viel Wachstum aufweist wie Österreich, hilft, die Spannungen in der Eurozone ein wenig zu entschärfen.

Auch die Daten aus Spanien sind ermutigend; dafür aber gibt die anhaltende Stagnation in Italien Grund zur Sorge, dass die drittgrößte Volkswirtschaft der Eurozone bald auch in die Kategorie „Krisenland" fallen wird.

Warum sich die Eurostaaten so unterschiedlich entwickeln, ist nicht leicht zu beantworten. Das eine Kriterium, das über Erfolg und Misserfolg entscheidet, gibt es nicht. Die jeweilige Politik spielt eine wesentliche Rolle, aber es ist hier eine Vielzahl von Entscheidungen - von der langfristigen Budgetplanung über die Wettbewerbspolitik bis hin zu konkreten arbeitsrechtlichen Bestimmungen -, die letztlich den Unterschied ausmacht. Und auf Schlüsselfragen wie die Lohnentwicklung oder die Innovationskraft der Unternehmen hat die jeweilige Regierung höchstens indirekt Einfluss.

Auch in Deutschland wird nicht alles richtig gemacht - genauso nicht in Österreich. Aber alle hiesigen Fehler und Fehlentwicklungen reichen (noch) nicht aus, um die beeindruckende Dynamik der Unternehmen und ihrer Mitarbeiter abzuwürgen.

Ein grundlegendes Problem wird jedoch gerade im selbstbewussten Norden gerne ignoriert: Für das Wachstum ist vornehmlich der Exportsektor verantwortlich, und dieser kann nur florieren, wenn andere Staaten die vielen produzierten Güter kaufen. Da die wichtigsten Handelspartner in der Eurozone liegen, sind die gefährlich hohen Leistungsbilanzdefizite an der südlichen Peripherie die logische Kehrseite der wirtschaftlichen Erfolge im Norden.

Die wichtigste Hausaufgabe für Deutschland - und mit Abstrichen auch für Österreich - ist daher nicht eine weitere Steigerung der Exporte, sondern die Ankurbelung der immer noch zu schwachen Binnennachfrage. Es ist das Gegenteil von dem, was die hochverschuldeten Staaten nun tun müssen. Wer jetzt einen europaweiten Gleichklang beim Abspecken und Sparen fordert, der trägt dazu bei, dass die Eurozone weiter auseinanderdriftet. (Eric Frey, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 14./15.5.2011)