Mitterlehner (links) und Hundstorfer (rechts) debattierten mit Föderl-Schmid (Standard) und Jetschgo (ORF OÖ) in Rohrbach.

Foto: STANDARD

Rohrbach - Sie sparten nicht mit Kritik - dieses Mal jedoch nicht am Koalitionspartner. Vielmehr fanden sie gegenüber der eigenen Partei deutliche Worte: Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP) und Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) bekannten im Gleichklang: "Da und dort sind bei uns Fehler passiert, das ist sicherlich richtig. Wir sind zu wenig offensiv herangegangen", diagnostizierte der ÖVP-Politiker. Beim roten Hundstorfer hörte sich das so an: "Sicher, wir sind 2006, 2007 und 2008 da und dort in der Argumentation zu wenig offensiv aufgetreten. Leider passiert offensives Vorgehen oft zu spät oder nicht mit der nötigen Intensität."

Mit "da und dort" umschrieben die Minister die offenbar heißen Eisen Zuwanderung und Arbeitsmarktöffnung. Über die Chancen und Risiken diskutierten sie Freitagabend in Rohrbach. Standard-Chefredakteurin Alexandra Föderl-Schmid und der Chefredakteur des ORF-Landesstudios Oberösterreich, Johannes Jetschgo, hatten zu der Debatte in die oberösterreichisch-tschechische Grenzregion geladen.

"Nichts Überfallartiges"

Seit Mai ist der Arbeitsmarkt auch für jene Bürger geöffnet, deren Staaten 2004 zur EU beigetreten sind. Österreich schaut vor allem Richtung Ungarn, Tschechien und die Slowakei. "Faktum ist, dass wir jetzt Mitte Mai haben und bis jetzt gar nichts bemerkt worden ist, was irgendwie auf etwas Überfallartiges schließen würde", erklärte Mitterlehner.

"Befürchtungen, eine Million Arbeitslose strömen über die Grenze", entstanden vor allem "durch die Angstmache von bestimmten politischen Mitbewerbern", meinte Hundstorfer.

Die Konsequenz laut des Sozialministers: Statt des "Transports der positiven Botschaft, Österreich ist das Land, das schon bisher am meisten von der Osterweiterung profitiert hat" , dominiere in der öffentlichen Meinung ein negatives Bild, geschürt von "einem Strache, der gleich eine Apokalypse aufbaut", führte Mitterlehner den Gedanken zu Ende. "Dieser Angstmache etwas Sachliches entgegenzusetzen ist uns in den letzten Jahren nicht gelungen. Irgendwo haben wir offenbar einen gordischen Knopf. Wir wissen ein paar Dinge ganz genau, aber gleichzeitig gibt es andere Meinungen, auf die wir aufspringen ," verfiel Hundstorfer erneut in Selbstreflexion über seine eigene Partei. Dieser schloss sich Mitterlehner nochmals an. Er kritisierte, dass in der ÖVP das Thema Zuwanderung und Integration lange nicht zur Kenntnis genommen worden sei: "Wir haben in unserer Partei zum Beispiel noch vor wenigen Jahren keinen Integrationssprecher gehabt, einen Vertriebenensprecher sehr wohl. Das war durchaus ein Problem, das wir erst jetzt aufgearbeitet haben. Es gibt heute einen Integrationsstaatssekretär, der eine wichtige Aufgabe zu erledigen hat."

Tatsächlich rechne die Bundesregierung mit 25.000 bis 30.000 neuen Arbeitskräften pro Jahr aus dem Osten. "Ich gehe davon aus, dass wir mit aller Seriosität an Weihnachten sagen können, was ist wirklich eingetreten. Klar ist, die Studien, die wir in Auftrag gegeben haben, sind nicht unseriös. Es ist davon auszugehen, dass die Zahlen halten", erklärte der Sozialminister. Arbeitskräfte, die Österreich auch brauche. "90.000 aus Osteuropa sind ja schon da. In Wahrheit haben wir 2006 mit der Arbeitsmarktöffnung begonnen. Die "Step-by-Step-Politik, in den letzten sieben Jahren Schlüsselarbeitskräfte zu holen, hat sich ausgezahlt." Die schrittweise Arbeitsmarktöffnung durch die Übergangsfrist hält er für "den richtigen Weg".

In diesem Punkt stimmte Mitterlehner seinem roten Gegenüber nicht zu. "Ich war immer ein Anhänger einer rascheren Arbeitsmarktöffnung, um den Vorteil des gemeinsamen Marktes zu nutzen. Denn wo Bewegung ist, ist positive Wirtschaftsentwicklung." Berechnungen des deutschen Instituts für Berufsforschung untermauern dies. Es hat für Österreich in den nächsten zehn Jahren einen positiven Nettoeffekt von 900 Millionen Euro ermittelt.

Wurden in Anbetracht dieser Berechnungen in den letzten Jahren nicht vielmehr Chancen verpasst? Zumindest was die erste Auswanderungswelle von Hochqualifizierten betreffe, meinte Wirtschaftsminister Mitterlehner: "Wir haben tatsächlich die erste Welle übersehen. Besonders Qualifizierte aus dem Osten sind nach England, Irland und Frankreich gegangen." Die Gefahr, dass jetzt nur Unqualifizierte nach Österreich drängen, sieht er nicht - "auch wenn aus den Studien hervorgeht, dass am Anfang schon einige dabei sind, wird sich das aber einpendeln".

Kein Lohndumping

Hundstorfer fand jene sieben Jahre nicht als vertane Chance. "Die Öffnung war nicht zu spät. Es kommen immer wieder neue Auswanderungswellen von Hochqualifizierten, denn es gibt ja keinen Stillstand in der Ausbildung. Dann ist unsere Grenze offen", sagte der Minister. Vor allem in den Bereichen Gastronomie, Tourismus sowie in der Bau- und Holzwirtschaft herrsche Bedarf. Durch das beschlossene Anti-Sozial- und Lohndumping-Gesetz sei auch die Kontrolle gewährleistet. Obwohl nur "die Unterlohnung mit einer Verwaltungsstrafe" geahndet werde und die verpflichtenden Zuschläge beiseitegelassen wurden, hält er den "Kompromiss mit den Sozialpartnern für ausreichend. "Nicht hinter jeder Baustelle muss ein Kontrolleur stehen."(Kerstin Scheller, DER STANDARD; Print-Ausgabe, 16.5.2011)