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Fünf Fünfziger, fünf Zwanziger und fünf Zehner - dieses Budget haben die TeilnehmerInnen an dem Projekt "Soziale Hängematte" für das folgende Monat zur Verfügung.

Foto: APA/Jens Wolf

Christine Bliem, Besitzerin eines Weltladens in Golling, hat es aus der Zeitung erfahren. Es geht um das Projekt "Soziale Hängematte", das von der Schuldenberatung Salzburg initiiert und folgendermaßen beworben wurde: "Kann ich für den begrenzten Zeitraum eines Monats mit einem Geldbetrag leben, welcher sich an der bedarfsorientierten Mindestsicherung orientiert? Wie und wobei muss ich mich einschränken? Wie geht es mir dabei - ist das überhaupt zu schaffen? Muss ich hungern, gar betteln oder mir etwas ausleihen, Schulden machen?"

Für Christine Bliem steht bei dem Projekt vor allem eine "Bewusstseinserweiterung" im Vordergrung. Auch Ehemann Sepp und der 14-jährige Sohn Fabian, der "definitiv nicht freiwillig" mitmacht, sind bei dem Selbstversuch mit von der Partie. "Es ist nicht unbedingt so, dass wir vom einen Ende der Einkommensleiter zum anderen Ende abrutschen", erklärt Christine Bliem. "Aber die Erfahrungen am eigenen Leib sollten unser Leben bereichern - auch wenn ein Monat viel zu kurz ist, um Nöte soweit zu spüren, dass sie auch weh tun."

"Soziale Hängematte" als Feindbild von Solidarität

Der Hintergrund für das Projekt sei laut Thomas Jedlizka von der Schuldenberatung, dass man das 20-jährige Bestehen des Unternehmens unter ein besonderes Motto stellen wollte - und dafür hätte sich die Einführung der bedarfsorientierten Mindestsicherung angeboten: "In einer polemisch geführten Diskussion ist die 'Soziale Hängematte' zum Feindbild solidarischen Denkens und Handelns stilisiert und salonfähig gemacht worden. BezieherInnen von Mindestsicherung werden damit ohne Differenzierung mit Sozialschmarotzern gleichgesetzt", beschreibt Jedlizka die Grundstimmung.

Der Zeitraum des Projekts, an dem 20 Personen aus dem Bundesland Salzburg teilnehmen, erstreckt sich vom 20. Mai bis 19. Juni. Die genau zur Verfügung stehenden Mittel wurden von der Schuldenberatung ausgerechnet. Berufstätige Personen müssen demzufolge mit rund 400 Euro auskommen, nicht berufstätige mit ca. 270 Euro. Mit diesen Beträgen seien vor allem Alleinstehende gemeint, ein Paar oder eine Familie könne diese Werte nicht einfach für jede Person so hoch ansetzen, so Jedlizka. (Genaue Erklärung zur Berechnung siehe hier)

"Wer hat mich mit so einer Mutter gestraft?"

Dass die Vorgaben mit 400 Euro nur sehr schwer zu erfüllen sind, ist für Christine Bliem aus Golling klar: "Als ich die Idee zu Hause präsentierte, war die Erstreaktion unseres Sohnes: 'Wer hat mich mit so einer Mutter gestraft?' Seine Vorstellung ist, dass er jetzt täglich mit einer Scheibe trockenen Brotes in die Schule gehen muss." Auch mit ihrem Mann hätte sich die eine oder andere Diskussion ergeben. "Er meint, dass wir im Monat sowieso nicht viel mehr zur Verfügung hätten, weil das ungefähr der Betrag sei, den er für die Familie aufwendet - und er ist unser Haupt-Einkäufer", erzählt die Weltladen-Inhaberin und fügt hinzu: "Hier - und da bin ich mir sicher - unterschätzt er gewaltig jenen Teil, den ich trotz meines unregelmäßigen und im bescheidenen Taschengeldbereich liegenden Einkommens zum Luxus der Familie beitrage."

Was bei den Bliems noch hinzukommt: Sie tätigen ihre Lebensmitteleinkäufe zum überwiegenden Teil aus dem Bio-Sortiment - und das möchte Christine Bliem auch beim Selbstversuch nur im äußersten Notfall ändern: "Ich glaube, dass wir mit unserer Bio-Verpflegung nicht wirklich teurer liegen als mit herkömmlichen Lebensmitteln."

Kino- und Beislbesuch zwei Mal überlegen

Auch Inge Honisch, Kollegin von Jedlizka bei der Schuldenberatung und ebenfalls Projektteilnehmerin, weiß, dass sie sich einen Monat lang ziemlich einschränken muss: "Essen allein ist mit dem Betrag wahrscheinlich möglich, aber man muss sich jeden Kino- oder Beislbesuch zwei Mal überlegen - und was ist, wenn was kaputt wird oder jemand Geburtstag hat? Ich werd‘s wohl nicht schaffen, aber ich werde mich bemühen."

Für Honisch, die seit 25 Jahren als Sozialarbeiterin und seit 15 Jahren als Schuldenberaterin tätig ist, spielt aber noch ein anderer Gedanke mit: "Viele meiner KlientInnen haben noch weniger oder müssen jahrelang damit auskommen. Es geht darum, es einmal zu spüren und es transparent zu machen. Meine Ehrfurcht vor diesen Menschen wird wieder wachsen."

Ins gleiche Horn stößt ihr Kollege Jedlizka, der sich ebenfalls den Selbstversucht gibt: "Sicherlich kann dies nur eine vage Annäherung an die reale Lebenswelt von betroffenen Menschen sein. Ich berate seit vielen Jahren von Armut betroffene Menschen und weiß abstrakt einiges darüber - doch am eigenen Leib habe ich Armut noch nie zu spüren bekommen."

"Kein Urlaub auf Kosten der Allgemeinheit"

Ebenso wichtig ist dem Schuldenberater aber, dass es eine öffentliche Auseinandersetzung mit dem Thema gibt. Denn ihn störe vor allem jenes Bild von der "sozialen Hängematte", das folgendes suggeriere: "Ein Ausspannen-Können, ein sorgenfreies Faulenzen, Urlaub auf Kosten der Allgemeinheit - alles Dinge, nach denen sich die meisten von uns in einem von Stress und Hektik dominierten Alltag selber sehnen und wofür wir hart arbeiten müssen."

derStandard.at wird das Projekt im folgenden Monat begleiten und wöchentlich ein Update von TeilnehmerInnen über ihre Erfahrungen liefern. Also bleiben Sie dran und vielleicht probieren Sie es  sogar selbst aus - entweder mithilfe eines Haushaltsbuchs oder indem Sie jetzt 400 Euro abheben und schauen, wie lange Sie damit auskommen. (Martin Obermayr, derStandard.at, 20.5.2011)