Reinhold Mitterlehner, neuer ÖVP-Vizechef, will mehr Dynamik und "Abgrenzen gegen die Apokalypse-Darstellungen" Straches.

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STANDARD: Herr Minister Mitterlehner, Sie sind neu in der Viererrunde der Stellvertreter des neuen ÖVP-Obmanns Michael Spindelegger. Wie haben Sie den Parteitag in Innsbruck erlebt?

Mitterlehner: An sich sehr positiv. Es ist insgesamt sehr zielführend, wenn nicht die manchmal bei Parteitagen aufschäumende Euphorie ausbricht, sondern man sich den Realitäten, in denen sich die Partei befindet, sachlich stellt.

STANDARD: Auf welche "Realitäten" muss die ÖVP denn in Zukunft stärker oder besser eingehen?

Mitterlehner: Wir wollen und müssen ein klares Angebot für die leistungsorientierten Bürgerinnen und Bürger sein und darstellen, dass wir die Probleme auch lösen. Da fehlt der Regierung im Moment die Dynamik, und da müssen wir an Dynamik zulegen.

STANDARD: Wie wollen Sie das machen?

Mitterlehner: Indem wir uns ganz klar abgrenzen gegen die Apokalypse-Darstellungen von FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache. Er hat ja zum Beispiel behauptet, am 1. Mai würden mit der Ostöffnung des Arbeitsmarktes eine Million Arbeitnehmer über die Grenze nach Österreich einfallen. Nichts dergleichen ist passiert. Und wir müssen endlich strukturelle Reformen angehen - in der Bildung, der Verwaltung, bei Pensionen.

STANDARD: Rund um die Inthronisierung des neuen ÖVP-Chefs und die Rücksichtnahmen bei der Besetzung von wichtigen Posten in der Regierung und in ÖVP-Teilorganisationen sind die "Bünde" wieder diskutiert worden. Wie sehen Sie - als Wirtschaftsbundvertreter - das?

Mitterlehner: Die bündische Struktur der ÖVP kann und sollte eigentlich ein Vorteil sein. Die Gesellschaft ist ja auch eine pluralistische Gesellschaft. Das wird in den Bünden abgebildet. Natürlich muss in wichtigen Fragen ein interner Interessenausgleich stattfinden. Da liegen Konflikte in der Natur der Sache. Wir müssen die bündische Systematik und die Beziehung zu den Landesorganisationen bewusst leben und als Chance sehen. Diese Konstruktion muss kein Nachteil sein für uns.

STANDARD: Seit der Abschaffung des Familienstaatssekretariats durch den neuen Parteichef, der stattdessen ein Integrationsstaatssekretariat installierte, gehören die Familienagenden Ihnen allein - aber Michael Spindelegger erklärte Familie zur Chefsache. Stört Sie das?

Mitterlehner: Strategische Ausrichtungen sind immer mit dem Parteiobmann zu erörtern. Michael Spindelegger und ich haben bereits über das Thema Familie gesprochen und werden dazu auch gemeinsam mit programmatischen Vorstellungen an die Öffentlichkeit gehen.

STANDARD: Sie haben sich dazu bekannt, dass in der Familienpolitik Sachleistungen statt immer nur Geld sinnvoll wären. Kommt da ein Schwenk in der ÖVP-Politik?

Mitterlehner: Es geht nicht darum, Geldleistungen für Familien zu kürzen, sondern Sachleistungen zu erhöhen. Etwa über mehr Kinderbetreuungsangebote als Teil verschiedener Angebote zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Zum Beispiel was die Arbeitszeit anlangt. Wir müssen uns grundsätzlich mit der Frage beschäftigen: Was ist Familie? Und dann beantworten, welche Rahmenbedingungen sie brauchen.

STANDARD: Es geistert die mögliche Gründung einer Wirtschaftspartei durch genervte oder frustrierte Wirtschaftstreibende herum. Fürchten Sie diese Konkurrenz?

Mitterlehner: Das Thema neue Wirtschaftspartei muss man differenzieren. Diese Wirtschaftsvertreter wollen ja nicht eine Partei gründen, weil sie Änderungen in der Wirtschaftspolitik fordern. Unsere Wirtschaftsdaten sind auch im internationalen Vergleich höchst positiv. Unser Wachstum ist höher als der EU-Schnitt, die Exporte steigen. Was diese Wirtschaftsvertreter stört - und das nicht ohne Grund - ist, dass die Politik insgesamt die Strukturen in diesem Land verändern müsste. Sie meinen damit vor allem Verwaltung und Pensionen. Darum muss die Regierung dort zulegen und ihre Problemlösungsfähigkeit verbessern. Aber generell sage ich: Wenn jemand glaubt, er kann's besser, dann soll er es ruhig probieren. Nur darf man eines nicht vergessen: Wirtschaft ist eben nicht gleich Politik. Wirtschaft funktioniert anders als Politik. In der Wirtschaft habe ich einen Erfolgsparameter: Das ist der Gewinn. In der Politik aber habe ich ganz andere Erfolgsparameter. (Lisa Nimmervoll, STANDARD-Printausgabe, 23.5.2011)