Auf den ersten Blick möchte man den Europäern dazu gratulieren, wie rasch sie die Reihen in der IWF-Nachfolgefrage schlossen. Es ist leicht vorstellbar, wie sich die Kommentatoren die Mäuler zerreißen würden, wäre auf den tiefen Fall des Franzosen Dominique Strauss-Kahn ein Streit über den europäischen Kandidaten für das Spitzenamt ausgebrochen. Christine Lagarde soll es nun also richten. Eine erfahrene Juristin, charmant und durchsetzungsstark zugleich, die erste Frau obendrein und als langjährige französische Finanzministerin mit Krisenbewältigung bestens vertraut.

Damit sticht das Ass von Präsident Nicolas Sarkozy viele Rivalen. Das Problem: Europa ist nicht am Zug. Den Veränderungen im politischen und ökonomischen Machtgefüge, die sich in den nächsten Jahrzehnten noch beschleunigen werden, sollte endlich Rechnung getragen werden. Gerade die Bestellung des Chefs des Internationalen Währungsfonds wäre ein Signal, dass die aufstrebenden Schwellenländer nicht nur ernstgenommen werden, sondern auch entsprechenden Einfluss erhalten.

Zwar wurde ihr Gewicht im Fonds mit der jüngsten Reform der Stimmrechte erhöht, es entspricht aber bei weitem nicht den tatsächlichen Kräfteverhältnissen - und schon gar nicht den künftigen. Die Abhängigkeit von China, Indien, Russland oder Brasilien äußert sich ja nicht nur in stark wachsenden Exporten in diese Staaten, sondern zusehends in der Finanzierung der explodierenden Haushaltsdefizite im Westen. Man sollte die Kuh, die man melken will, nicht schlachten, lautet ein alter Spruch. Man sollte sie außerdem äußerst pfleglich behandeln.

Gegen diese Realitäten das Argument der Erbpacht in die Waagschale zu schmeißen erscheint geradezu lachhaft. Dass die Weltbank-Spitze den Amerikanern gehört, jene des IWF den Europäern, stellte schon bisher eine schwer verträgliche Konstellation dar und grenzt an Postenschacher. Künftig fehlt jegliche Rechtfertigung dafür. Dass Europa mittlerweile zum Haupteinsatzgebiet des Fonds mutiert ist, in das mehr als die Hälfte seiner Hilfskredite fließt, ändert daran gar nichts. Im Gegenteil, hat sich der Saldo aus Einzahlungen und Auszahlungen doch deutlich zulasten des Alten Kontinents verschoben. Oder heißt die neue Logik plötzlich:Wer erhält, schafft an?

Und da wäre noch das Thema Frankreich: Über Schuld oder Unschuld von Strauss-Kahn werden die Gerichte entscheiden, doch die Rezeption der Vorgänge in der Suite 2806 des New Yorker Luxushotels Sofitel (und die früherer Fehltritte von DSK) lassen die Alarmglocken schrillen. Verschwörungstheorien haben Hochkonjunktur, Mitgefühl für das Opfer des mutmaßlichen Vergewaltigungsversuchs ist kein Thema. Augen zu und durch, scheint die Devise zu lauten. Nichts könnte das vergebliche Festklammern am längst verblassten Glanz der ehemaligen Grande Nation besser illustrieren als die Nominierung Lagardes, die noch dazu in einem Amtsmissbrauchsverfahren belastet wird. Allein die Idee, dem IWF nach dem Fiasko um Strauss-Kahn neuerlich das Risiko einer Justizaffäre aufzuhalsen, erscheint mehr als daneben.

Stattdessen sollte Europa Allianzen für eine inhaltliche Neuausrichtung des IWF schmieden. Und sich bei der Nachbesetzung darauf konzentrieren, dass der beste Kandidat ungeachtet der Nationalität das Rennen macht. (Andreas Schnauder, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 24.5.2011)