Wer in Österreich etwas erreichen will, der sollte das Allgemeinwohl über alles stellen. Denn es gilt in Österreich als geradezu unanständig, die eigenen Interessen zu betonen. Die Gewerkschaften wollen höhere Löhne und Gehälter? Ja, sicher tun sie das für ihre Mitglieder, aber natürlich auch für alle anderen Arbeitnehmer und, nicht zu vergessen: im Interesse der Volkswirtschaft, die durch steigende Kaufkraft aufblüht! Die Koalitionsparteien wollen ihre getreuen Beamten in Bund und Ländern nicht verprellen? Na, da muss man doch das Loblied des Föderalismus singen - das klingt ja viel gemeinnütziger, als wenn man offen sagte, dass man aus Rücksicht auf die eigenen Leute keine Verwaltungsreform will.

Und natürlich versteckt man auch die Wirtschaftsinteressen hinter denen der allgemeinen Wohlfahrt. Da wird sozialer Ausgleich gepredigt, da wird parteiintern gepackelt - vor allem, aber nicht nur in der ÖVP. Erst wenn das Partikularinteresse einer Gruppe von Wirtschaftstreibenden schön unübersichtlich in andere Forderungen verpackt ist, kommt es an die Öffentlichkeit.

Es ist dieses Mauscheln und Abtauschen, diese Intransparenz und Verschleierung, die das Image der Politik schädigt. Wenn alle Parteien behaupten, für alle da zu sein, wäre eine Wirtschaftspartei, die im Zweifel die ehrlichen Interessen der Wirtschaft in die Waagschale wirft, allein aus demokratiehygienischen Gründen wünschenswert. (Conrad Seidl, STANDARD-Printausgabe, 24.5.2011)

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