Ein Leser hat geschafft, was bisher keinem Journalisten gelungen ist: User „Deutschländer" hat Sebastian Kurz aufs Glatteis geführt. Er sei deutscher Staatsbürger und plane, im August von Berlin nach Wien zu ziehen, so „Deutschländer" im Presse-Chat. Ob er denn als Migrant gelte? Und der Integrations-Staatssekretär antwortete: „Am Papier: ja."
Kurz‘ erster Fehltritt, er ist da. „Wer ein Migrant ist, bestimme ich" - das scheint die Devise des Politikers zu sein. Was schwingt hier mit? „Wer schief angeschaut werden darf, weil er nicht zu uns gehört, das bestimme ich." Übertrieben? Gar nicht. Spielen wir es doch einmal durch.

Ein Deutscher, der nach Österreich zieht, ist laut Kurz nur „auf dem Papier" Migrant - de facto ist er also keiner. Eine Österreicherin hingegen, die Tochter bosnischer oder türkischer Eltern ist, gilt in der öffentlichen Debatte gemeinhin sehr wohl als Migrantin. Warum ist das so?

Aus der Randbemerkung des Staatssekretärs spricht die Annahme einer homogenen, österreichisch-deutschen Kultur. Vielleicht ist es in Kurz‘ Augen auch eine „westliche" Kultur. Jedenfalls ist es keine Kultur, die alle Deutschen und ÖsterreicherInnen umfasst. Denn was Kurz nicht sagte, aber wohl mitmeinte, war folgendes: EinE deutscheR StaatsbürgerIn namens Murat Özkan oder Ivana Markovic wäre in Österreich nicht nur „am Papier" Migrant, sondern auch de facto. Es geht nicht um Staatsbürgerschaft, sondern um „Kultur" - was immer das heißen mag.

Denen, die jetzt einwenden, Kurz habe dieses „am Papier" ja nur darauf bezogen, dass Deutsche ebenso wie ÖsterreicherInnen EU-BürgerInnen seien, und somit als BinnenmigrantInnen im großen, vereinten Europa zu gelten haben, sei gesagt: Nett gemeint. Aber hätte Kurz einem User namens „Pole" oder „Rumäne" dieselbe Antwort gegeben? Es ist zu bezweifeln.

Andere mögen dagegen halten, Kurz habe doch nur die gemeinsame Sprache gemeint: Ein Deutscher, der nach Österreich komme, werde sich mühelos verständigen können, habe also keine „Integrationsprobleme". Aber auch diese Annahme ist entlarvend: MigrantIn ist, wer (Kommunikations)Probleme hat oder macht?

Wer ist MigrantIn? Diese Frage impliziert eine zweite, schwierigere Frage: Wer ist Nicht-MigrantIn, wer ist dieses „Wir", das immer vorausgesetzt wird, wenn man über „die anderen" spricht? Wer hoffte, Kurz würde endlich Bewegung in diese Debatte bringen, sie loslösen vom verkrusteten, verkrampften Konzepts eines „Wir" und „Die da", mag nun enttäuscht sein.
Die anderen, die immer schon wenig mit der „Integrationsdebatte" anfangen konnten, weil sie in der Praxis, im Grätzel, in der eigenen, binationalen Familie oder im Freundeskreis, Tag für Tag erleben, dass sie mehr zerstört, als sie ermöglicht, diese Menschen machen ohnehin weiter wie bisher. Und sie warten weiterhin auf eine Wende, die sich nicht in neuen Politikergesichtern ausdrückt, sondern in neuen Gesetzen. In Fremdengesetzen, die nicht vom Generalverdacht des hinterlistigen, nur sich und den Seinen verpflichteten „Ausländers" getragen sind, sondern von einem Gesellschaftsbild, das es nichts anderes als einfach nur stinknormal findet, wenn eine Österreicherin Özkan heißt und ein Deutscher Pejić. (Maria Sterkl, derStandard.at, 25.5.2011)