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"Die Amerikaner sollten vor ihrer eigenen Tür wischen, anstatt den Europäern vorzuwerfen, was sie alles falsch machen", sagt Walter Wittmann.

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Walter Wittmann:
Staatsbankrott.
Warum Länder pleite gehen, wie es dazu kommt, weshalb uns das was angeht.
192 Seiten, Verlag orell füssli, Zürich 2010
ISBN 978-3-280-05374-4
24,90 Euro

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derStandard.at: Herr Wittmann, Sie nennen in Ihrem 2010 erschienenen Buch "Staatsbankrott" fünf Faktoren, die für die Zukunft des Euro entscheidend seien. Unter anderem dürfe die No-Bailout-Klausel nicht aufgeweicht werden, und die Soforthilfen für quasi-bankrotte Mitglieder sollten nicht "zum Dauereinsatz ausarten". Bröckelt das nun, ein Jahr danach, nicht alles schon recht ordentlich?

Walter Wittmann: Die No-Bailout-Klausel aus dem Maastricht-Vertrag ist schwerst verletzt worden. Die EU hätte für Griechenland nicht einspringen dürfen. Man hat dabei ein Umgehungsgeschäft gemacht, das ich einen Etikettenschwindel nenne: Als Griechenland im April 2010 pleite war, hat man von der "Euro-Krise" gesprochen, weil von Amerika aus gegen den Euro spekuliert wurde. Faktisch hätte es "Schuldenkrise" heißen müssen. Man hat aber "Euro-Krise" und "Euro-Rettungsschirm" gewählt, und das Ganze läuft auch unter "Rettung des Euros" ab. Der Euro ist aber gar nicht so gefährdet. Deswegen ist das ein Etikettenschwindel, ein Umgehungsgeschäft.
Außerdem wurde auch die EZB politisch gezwungen, marode Staatsanleihen aufzukaufen - was sie aber, verglichen mit den USA, in einem bescheidenen Umfang macht. Und vielleicht setzt sie es auch nicht fort. Das wäre wichtig, denn ansonsten würde das den Euro auf Dauer schwächen.

derStandard.at: Glauben Sie, dass der Euro bleibt?

Wittmann: Eine Euro-Krise gibt es im Grunde gar nicht. Der Euro startete damals bei 85 US-Cent, war also schwächer als der Dollar, und hat sich dann fast verdoppelt auf 1,60. Jetzt ist er über 1,40 US-Dollar - er ist also eine Erfolgsgeschichte, trotz aller Mängel, die er hat. Die Amerikaner sagten in den 1990-er Jahren: "Der Euro kommt nicht." Als er da war, sagten sie: "Er hat keinen Bestand." Und 2010 haben die amerikanischen Agenturen dann Griechenland runtergestuft, und dann sind sie losgezogen auf den Euro in der klaren Absicht, ihn zu vernichten - zugunsten des US-Dollar, der sowieso eine Schrottwährung ist.

derStandard.at: Machen Sie sich also um die USA mehr Sorgen?

Wittmann: Ja, bestimmt. Die Amerikaner sollten vor ihrer eigenen Tür wischen, anstatt den Europäern vorzuwerfen, was sie alles falsch machen.

derStandard.at: Zu den aktuellen Entwicklungen in Griechenland: Ist ein "Haircut" sinnvoll?

Wittmann: Ja. Den Griechen ist am meisten geholfen, wenn man einen Schuldenerlass macht, die Fristen erstreckt und die Zinsen reduziert. Das nächste, was kommt - man redet die ganze Zeit davon, auch bei Portugal oder Irland - ist eine Fristverlängerung. Dass also Anleihen, die jetzt fällig sind, nicht gleich zurückgezahlt werden müssen, sondern erst in zehn, zwanzig oder dreißig Jahren, zu niedrigeren Zinsen.

derStandard.at: Es heißt ja, dass die europäischen Banken in die Bredouille kommen, wenn die griechischen Anleihen vielleicht nur zu 80 Prozent zurückgezahlt werden.

Wittmann: Ja, das ist exakt so. Diese ganzen Übungen hat man nur gemacht, damit die einzelnen Länder ihre Banken nicht stützen müssen, die sich in Griechenland engagiert haben. Dann hätte man eine europäische Bankenkrise und dann müssten die Regierungen einspringen. Übrigens ist am meisten Frankreich engagiert, dann Deutschland, an dritter Stelle die übrigen Länder der Eurozone, und an vierter Stelle Großbritannien. Großbritannien hat allein in Irland 200 Millionen ausstehend.

derStandard.at: Wäre nicht ein guter Kompromiss, nur die fälligen Zinsen - statt eines Schuldenschnitts - zu "cutten"?

Wittmann: Wenn das geschieht, gilt das nicht als "Default", also Ausfall. Und dann funktionieren die Credit Default Swaps (CDS), also die Ausfallversicherungen, nicht, dann müssen die Banken das voll übernehmen. Das ist nicht versichert. Und die Banken wollen natürlich auch nicht, dass irgendein Staat damit anfängt, denn dann kommen die anderen Länder auch.
Aber nur, damit wir das klar sehen: Der Euro-Rettungsfonds besteht auch wieder nur aus Anleihen. Man nimmt also Schulden auf, um Schulden zu retten. Es sollte "Schulden-Rettungsschirm" heißen, nicht "Euro-Rettungsschirm". Dann würde schnell klar sein, wie absurd das ist.

derStandard.at: Waren auch die milliardenschweren Konjunkturpakete vieler Regierungen aus Ihrer Sicht ein Fehler?

Wittmann: Ja, man hat einfach etwas gemacht, damit die Konjunktur nicht weiter absäuft. Das ist keynesianische Politik. Aber deshalb sind die Schulden so stark angestiegen. Und das "Quantitative Easing II" in den USA läuft im Juni aus. Wenn die damit jetzt aufhören, gibt das eine scharfe Rezession. Deshalb werden die Amerikaner weiter Geld drucken.

derStandard.at: Ist es aber nicht eher so, dass Griechenland regelrecht zu Tode gespart wird?

Wittmann: Ja, aber was sollen sie denn sonst machen? Wenn man das nicht will, muss man einen Schuldenerlass machen. Man erlässt die Schulden, sodass sie nur noch 60 Prozent des griechischen BIP ausmachen und damit die Eurozonen-Kriterien erfüllen. Und natürlich mit Auflagen, die auch durchgesetzt werden. Man hat ja anfangs überhaupt keine Auflagen durchgesetzt, Griechenland hat seine Zahlen total frisiert, bevor es den Euro einführte, damit sie die maximal erlaubten drei Prozent Defizit in einem Jahr erreichen. Goldman Sachs hat im Auftrag der griechischen Regierung sogar die Steuereinnahmen der nächsten Jahre im Voraus verkauft, damit sie Mehreinnahmen haben in dem Jahr.

derStandard.at:  In ihrer geschichtlichen Abhandlung über die Staatsbankrotte scheinen Sie den Wohlfahrtsstaat für den Grund allen Übels zu halten. Warum eigentlich?

Wittmann: Überspitzt gesagt ist das richtig. Man verteilt gerne einfach Geld an jedermann, entgegen allen Grundsätzen. Die Sozialversicherungen müssten nach dem Nutznießer-Prinzip gestaltet sein, sodass nur die Versicherten einzahlen. Verstehen Sie? Eine Versicherung. Nicht dass der Staat einzahlt und auch subventioniert. Dasselbe haben wir im Gesundheitswesen. Dort müssten wir kostendeckende Tarife nach individuellen Risiken haben, und die Spitäler dürfte man nicht subventionieren, die müssten kostendeckende Gebühren einheben. Helfen sollte der Staat nur denjenigen, die einkommensmäßig damit überfordert sind, also die Krankenkassenprämien nicht zahlen können. Und sonst niemandem.
Verglichen mit dem, was in punkto Pensionen auf uns zukommt, sind die Staatsschulden aber sogar - wenn ich hier etwas übertreiben darf - eine Kleinigkeit, nur die Spitze des Eisbergs. Aber sie wissen ja: Man macht nix, bevor das Haus nicht brennt.

derStandard.at: "Die Grenzen der Verschuldung sind erst sichtbar, wenn der Bankrott eingetreten ist", schreiben Sie in Ihrem Buch ...

Wittmann: Ja, das ist ernüchternd. Man tut erst etwas, wenn es zu spät ist. Die Leute wollen nicht einsehen, dass etwas geschehen müsste. Da kenne ich kaum graduelle Unterschiede zwischen einzelnen Ländern.

derStandard.at: In "Staatsbankrott" äußern Sie auch Sorgen über die Zahlungsfähigkeit des Internationalen Währungsfonds (IWF). Sind Ihre Sorgen seit dem Erscheinen des Buchs im Vorjahr eher kleiner oder eher größer geworden?

Wittmann: Die sind größer geworden. Denn der IWF hat sich ja noch mehr engagiert, übernimmt im Euro-Rettungsschirm ein Drittel, das sind 250 Milliarden. Auch die Weltbank finanziert sich ja fremd. Die vergeben alle fleißig Kredite und machen aber selber Schulden.

derStandard.at: Was sagen Sie zu den aktuellen Umwälzungen im IWF?

Wittmann: Dass Strauss-Kahn zurücktreten musste, das ist klar. Die Europäer haben traditionell Anspruch auf den Chef. Jetzt ist die Frage, ob die Schwellenländer - China, Indien, Brasilien - auch selbst einen Kandidaten bringen wollen, weil sie mehr Gewicht haben in der Welt. Die französische Finanzministerin Lagarde hat sich beworben, und ich denke, sie hat die besten Chancen, wenn sie die EU-Länder unterstützen. Ich wäre überrascht, wenn sie es nicht werden würde.

derStandard.at: Eine Frage zur Steuerpolitik: Sie sind ein großer Gegner der Steuerprogression. Warum eigentlich?

Wittmann:  Die Steuerprogression ist im 19. Jahrhundert entstanden - übrigens durch die "österreichische Schule der Nationalökonomie": Im Rahmen des Leistungsfähigkeitsprinzips wurde die Progression mit einem sinkenden Grenznutzen von Einkommen begründet. Wenn das zutrifft, dass man bei steigendem Einkommen immer weniger Nutzen hat, dann ist die Progression berechtigt. Aber man kann das empirisch nicht nachweisen.

derStandard.at: In Österreich wurde vor wenigen Jahren die Erbschaftssteuer abgeschafft, und es gibt schon länger eine Diskussion zur (Wieder-)Einführung von Vermögenssteuern. Da sind Sie wohl auch dagegen?

Wittmann: Ja, weil man nicht an die Substanz gehen sollte. Der Vermögensertrag sollte besteuert werden, im Rahmen der Einkommenssteuer.
Das Leistungsfähigkeitsprinzip ist mittlerweile zum Umverteilen von Einkommen pervertiert worden. Das hat mit der ursprünglichen Steuergerechtigkeit nichts zu tun. Das geht schon in Richtung des Wohlfahrtsstaats, bei dem das Schlimmste übrigens ist, dass es Anreize dazu gibt, nichts mehr zu arbeiten. (Martin Putschögl, derStandard.at, 27.5.2011)