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Substanzen einnehmen um die Konzentration zu verbessern - für viele Menschen kein Tabu mehr

Foto: APA/HELMUT FOHRINGER

Grado - Keine Sache von "Junkies", die sich gefährlicherweise Heroin injizieren, zusätzlich Tranquilizer in hohen Dosierungen schlucken und die Gefahr - oft sozial im Abseits - womöglich noch mit Alkohol potenzieren: Es geht um die Einnahme verschiedenster "legaler" Substanzen zum Genuss, zur angeblichen Förderung geistiger Eigenschaften, als Doping - aber auch hier oft mit Suchtgefährdung verbunden. Die Kategorisierung in "legal" und "illegal" ließe sich nicht mehr so ohne weiteres aufrechterhalten, sagte bei den Österreichischen Ärztetagen in Grado (bis 4. Juni) Hans Haltmayer, Ärztlicher Leiter des Ambulatoriums Ganslwirt in Wien.

Der Experte referiert bei der jährlichen prominent besetzten Fortbildungsveranstaltung der Österreichischen Ärztekammer beziehungsweise ihrer Akademie für ärztliche Fortbildung regelmäßig über aktuelle Entwicklungen auf dem Sektor von Drogenmarkt, Drogensucht und richtige Therapie. Und hier gibt es offenbar einen - schon vor Jahren in den USA registrierten - neuen Trend, wie der Titel des Vortrages von Haltmayer deutlich machen sollte: "Der gedopte Alltag - Genuss, Neuroenhancement, Doping, Sucht ..."

Leistungsfördernde Mittel

Abseits der ehemals typischen Abhängigen von illegalen Drogen scheint derzeit die Einnahme verschiedenster und teils skurriler Substanzen als verheißene Verstärker kognitiver oder emotionaler Fähigkeiten in der westlichen Welt immer mehr Verbreitung zu finden. "Pills to Make You Smart", lautete die Titelschlagzeile der US-Wissenschaftszeitschrift "Scientific American" vor einiger Zeit. Der Untertitel übersetzt: "Was Sie über Gehirnleistungs-fördernde Mittel wissen sollten."

Jahrtausende mit Drogen

An die Wirkung glaubt die Menschheit übrigens schon seit Jahrtausenden. Haltmayer: "Schon vor 5.000 Jahren wurde in China der Ma Huang-Tee mit Ephedrin als antriebssteigerndes Stimulans beschrieben. Heute gibt es das als 'Mormonen Tee'." Das Problem: Wer sich das im Internet bestellt, hat bei Lieferung von Plastiksäckchen mit pflanzlichem Inhalt überhaupt keine Kontrolle darüber, was und in welcher Konzentration irgendwelche Wirkstoffe (eventuell auch wirklich Ephedrin) enthalten sind. - Gesundheitsgefährlicher Drogenkonsum pur.

Auch Khat wurde schon im sechsten Jahrhundert nach Christus beschrieben. Die Blätter, die ehemals vor allem in Äthiopien und im Jemen als Stimulans gekaut wurden, sind mittlerweile nicht mehr "notwendig". Die illegalen Suchtgiftlabors der Welt stellen zuhauf verschiedenste synthetische "Cathinone" her. Eine jüngst vom österreichischen Gesundheitsministerium erlassene Verordnung soll vor allem den Handel mit solchen Substanzen, die oft als "Legal Highs" auftauchen, bremsen.

Keine klassischen Konsumenten

Doch ein offenbar durchaus etablierter Teil der westlichen Gesellschaft, denkt - bei allen Gefahren, die damit verbunden sind - offenbar längst anders. Der Drogenexperte: "Da ist nicht die klassische Klientel des Drogenmarktes betroffen. (...) Im Jahr 2008 hat eine anonyme Befragung von 1.400 Forschern, die die Fachzeitschrift 'Nature' lesen, ergeben, dass 20 Prozent schon einmal Substanzen benutzt hatten, um ihre Konzentrationsfähigkeit und ihr Gedächtnis zu verbessern."

Ein Klassiker: der Beta-Blocker Propranolol, um bei Prüfungen die körperlichen Zeichen von Nervosität zu dämpfen (15 Prozent der "Nature"-Leser mit solcher "Drogenerfahrung"). 62 Prozent der Substanzkonsumenten in der Umfrage hatten aber gar auf das Aufputschmittel Methylphenidat ("Ritalin") zurückgegriffen, 42 Prozent zu Modafinil, eine ähnlich wirkende Substanz. Dabei gibt es kaum valide wissenschaftliche Daten, welche für einen echten Effekt der Stimulanzien auf die kognitiven Fähigkeiten sprechen.

Eine kleine, aber sinnlose Ausnahme, so Haltmayer: "Bei mehrmaliger Einnahme von Modafinil nach Schlafentzug von 64 Stunden blieb die Wachheit erhalten, die Probanden haben aber nichts Gescheites mehr zustande gebracht."

Ethische Fragen

Viele aufputschende Substanzen fallen mittlerweile unter die Suchtmittelgesetze beziehungsweise Verordnungen, gleichwohl werden Amphetamine offenbar noch immer - zum Beispiel in den USA - bei Soldaten und Piloten eingesetzt, um sie auch bei extremer Belastung wach zu halten. In der Zivilgesellschaft der westlichen Welt breiten sich hingegen via Internet immer mehr fragwürdige Substanzen mit ihren Charakter verschleiernden Namen und Anpreisungen aus.

"Dieses Neuro-Enhancement wirft ethische und soziale Fragen auf. Ist es legitim, Personen solche Substanzen zu verschreiben? Gibt es einen sozialen Benefit", so Haltmayer. Sicherheit versus Toxizität, Selbstbestimmung im Vergleich zu Prohibition, Fairness und Wettbewerb beim Doping - das wären einige dieser Diskussionspunkte. Ist es auf der anderen Seite ethisch vertretbar, potenziell kognitiv fördernde Substanzen an Gesunden wissenschaftlich zu untersuchen?

Lösungsmittel und "Felgenreiniger"

Am "wildesten" sind aber wohl skurril anmutende Mittel, die via Internet angeboten werden und über Gesetze und Verordnungen überhaupt nicht in den Griff zu bekommen sind. Das Lösungsmittel und "Felgenreiniger" GBL wird in Deutschland pro Jahr für den technischen Einsatz in einer Menge von 1.000 Tonnen verwendet. Als psychotrope Substanz in den Körper eingenommen, wird sie zur Gamma-Hydroxy-Buttersäure (GHB) umgewandelt (Liquid Ecstasy), wirkt in niedrigen Dosierungen wie Alkohol, kann aber sehr schnell zur Bewusstlosigkeit bis hin zur Atemdepression führen. Haltmayer: "Bei höheren Dosen kommt es zum Verlust der Bewegungskontrolle und nicht einschätzbarer Wirkungsstärke." Dazu potenziert Alkohol noch den gefährlichen Effekt.

Die oftmalige Unauffälligkeit der Konsumenten solcher Substanzen und die große Bandbreite des Substanzkonsums in der Gesellschaft - von Heroin bis zu Alkohol, schnellstens süchtig machendem Nikotin und den 'Legal Highs' - könnte jedenfalls die alten Unterscheidungen unter den Drogen zunehmend obsolet machen. Haltmayer sprach hier von einem Kontinuum zwischen dem hedonistischen, kompensierten (noch kontrollierten, Anm.) Gebrauch, von Abstinenz, problematischem Konsum und schließlich der Abhängigkeit. Hier gelte es vor allem, Schaden und Risikoverhalten zu verhindern. Der Mensch sei fast nie "von allem abstinent", was an Substanzen schädigen oder gar süchtig machen könne. (APA)