Bild nicht mehr verfügbar.

Mauerer: "Es gibt zwar heute die technologische Unterstützung, ansonsten ist es aber immer noch weitgehend Sache jeder Einzelnen, wie sie Beruf und Kinder organisiert – strukturelle und politische Rahmenbedingungen sind hier wenig weit gediehen."

Foto: REUTERS/Kacper Pempel

Gerlinde Mauerer ist Soziologin, ihre Schwerpunkte sind Medizin- und Gesundheitssoziologie sowie Körpersoziologie mit Fokus auf Genderforschung und Effekte neuerer Biotechnologien.

Foto: privat

Nicht nur der transatlantische Raum transportiert Leihmutterschaft zunehmend als Selbstverständlichkeit. Auch die deutsche Soap schlechthin, die Lindenstraße – bekannt für ihr Gespür, gesellschaftspolitisch relevanten Stoff besonders früh und vor allen anderen aufzugreifen –, hat seit einigen Wochen einen Leihmutterschafts-Plot.

Obwohl in Deutschland wie auch in Österreich verboten, sind angesichts der regen kulturellen Repräsentation von Leihmutterschaft ein paar Überlegungen dazu angebracht. Was könnte Leihmutterschaft aus feministischer Perspektive bedeuten? Könnte sie zur Auflösung essentialistischer Vorstellungen von Mutterschaft beitragen oder wird so Mutterschaft für alle Frauen noch mehr zum absoluten Ideal  - um jeden Preis?

dieStandard.at sprach mit der Wissenschafterin Gerlinde Mauerer, spezialisiert auf Körper- und Medizinsoziologie, über diese Fragen.

                                                ********

dieStandard.at: Eine selbstbestimmte Mutterschaft war immer ein wichtiges Thema für den Feminismus. Feministinnen, wie z.B. Elisabeth Badinter weisen darauf hin, dass auch Frauen mit Kindern ohne gesellschaftliche Sanktionen möglichst frei über ihren Körper verfügen sollen. In diesem Sinne könnte doch Leihmutterschaft als eine weitere Befreiung von biologischen Beschränkungen bedeuten, oder?

Gerlinde Mauerer: Da antworte ich mit Michel Foucault: Er hat geschrieben, dass es heute den Herrschenden nicht mehr um die Macht geht, sterben zu lassen, sondern darum, Leben zu machen – Leihmutterschaft ist also Biopolitik in Reinkultur.

Es werden beide Frauen, die Leihmütter und auch die "Auftraggeberin", benutzt. Die eine wird körperlich ausgehöhlt und die andere muss das Mutterbild inklusive der immer höher werdenden Anforderungen an Mütter bedienen. Es ist kein Zufall, dass immer mehr Frauen um die 40 doch noch entscheiden, ein Kind haben zu wollen. Nach beruflichen Herausforderungen wird dann noch darauf bestanden, dass frau doch noch die Mutterrolle übernehmen muss.

dieStandard.at: Kann man eine Schwangerschaft mit Geld vergüten?

Mauerer: Soweit ich weiß, müssen Leihmütter schon im Vorfeld Hormone bekommen, um den Körper möglichst empfängnisbereit zu machen. Das heißt, die "Arbeit" beschränkt sich nicht nur auf die Schwangerschaft – also was könnte das für ein Preis sein?

Für mich ist Leihmutterschaft völlig jenseits. Es gibt so viele Frauen, die keine Kinder haben. Die werden in ihren Lebensentwürfen doppelt und dreifach beleidigt. Durch dieses hehre Ideal "Kinder haben" werden sämtliche Alternativen ausgeblendet. Alle Frauen werden über einen Kamm geschert und alle müssen Kinder kriegen. Es gibt zwar heute die technologische Unterstützung, ansonsten ist es aber immer noch weitgehend Sache jeder Einzelnen, wie sie Beruf und Kinder organisiert – strukturelle und politische Rahmenbedingungen sind hier wenig weit gediehen.

dieStandard.at: In Hinblick auf das Recht auf Abtreibung ist ein Argument, dass eine Frau selbst bestimmen können muss, ob und wann sie ein Kind bekommt. Warum sehen Sie die Bestimmung des Zeitpunktes bei reproduktionsmedizinischen Maßnahmen kritischer?

Mauerer: Weil sie unter dem Siegel des Paarideals genutzt und verherrlicht werden. In den Anfängen wurden die Reproduktionsmediziner ja wie Väter gefeiert. Das Kind hat dann sozusagen zwei Väter, einen Samenspender und einen, der die technologische Fertigung vorgenommen hat.

Außerdem wird immer verschwiegen, dass Fortpflanzungsmedizin ein Männerprojekt ist. Es geht zwar vordergründig um den Kinderwunsch der Frauen, de facto ist es aber ein zutiefst patriarchales Projekt. Es wird Frauen oktroyiert, dass sie das doch wollen müssen. Sie wollen es aber unter völlig anderen Bedingungen! Die Psychologin Ulrike Hauffe hat auf einer Tagung einmal gesagt, man sollte Frauen ermöglichen, Kinder zu kriegen, wo es einfacher ist und nicht dort, wo man einen riesen Aufwand betreiben muss (zur Dokumentation der Tagung 2001 in Berlin, www.reprokult.de). Viele Frauen wollen zwar Kinder, schrecken aber wegen fehlender finanzieller Unterstützung oder wegen der fehlenden Kinderbetreuungsplätze zurück.

Sie brauchen sich nur das IVF-Fonds-Gesetz in Österreich anschauen, das ist eine sehr großzügige Lösung. Es wird zwar alles immer unter diesem Hilfeleistungsaspekt diskutiert, aber es geht natürlich um Bevölkerungspolitik. Es wird so getan, als ob die Frauen mehr Kinder haben wollen. Aber es ist vor allem der Staat, der mehr Nachwuchs braucht. Und trotzdem wird bei der Bildungspolitik und Familienpolitik gespart, während bei Biotechnologien reingebuttert wird – über diese Verteilungen könnte man lange diskutierten. Wenn es darum geht, Menschen zu unterstützen, die gern Kinder hätten, aber ohne, dass es dann zu einer finanziellen Katastrophe kommt – da ist man weniger großzügig.  

dieStandard.at: Sie sagen, fortpflanzungsmedizinische Methoden werden entlang eines Selbstbestimmungsdiskurses verhandelt. Inwieweit haben sie tatsächlich etwas mit Autonomie zu tun?

Mauerer: Es ist eine Selbstbestimmung unter Ausnutzung anderer. Selbstbestimmung im Sinne einer neoliberalen Weltanschauung auszuweiten – das ist eine ganz perfide Logik. Da geht es aber nicht nur um das Selbst, es geht auch um andere, die durch ökonomische Bedingungen völlig ausgeliefert sind.

Meiner Ansicht nach können Fragen über Methoden wie Leihmutterschaft nicht verhandelt werden, ohne Regelungen, wie etwa das Adoptionsrecht, in den Blick zu nehmen. Dieses ist bei uns doch sehr streng. Da müsste sich einiges ändern.

dieStandard.at: Regelungen in der Adoptionspraxis betreffend das Alter des Paares, sexuelle Orientierung etc. machen Adoptionen in Österreich in der Umsetzung oft schwierig.

Mauerer: Ja, beim Alter wird vor allem durch die meist älteren Männer der Schnitt sehr erhöht. Männer beginnen oft sehr spät darüber nachzudenken, ob sie Kinder wollen. (Die Fragen stellte Beate Hausbichler, dieStandard.at, 2. Juni 2011)