Foto: Festwochen / Brut / Lefebrve

Wien - Im Gefolge der japanischen Erdbebenkatastrophe wurden von allen Seiten Mutmaßungen angestellt: Die Bewohner der Inseln würden immer noch von hierarchischen Vorstellungen geleitet. Sie wären, lautete ein anderer, "beliebter" Vorwurf, nicht imstande, Eigeninitiative zu entwickeln.

Die Produktion "Castle of Dreams" des Radikaltheatermachers Daisuke Miura, im Rahmen des Japan-Schwerpunktes der Festwochen im Brut Künstlerhaus zu sehen, hält sich mit solchen Analysen nicht unnötig auf. In ihr werden acht junge Erwerbslose auf eine Menschendeponie gekippt. Durch eine Fensterfront blickt man in die dezent versiffte Überlebenszone einer Wohngemeinschaft, die die Härten verbaler Kommunikation hinter sich gelassen hat.

Die Herrschaften, im ersten Bild noch von ohrenbetäubendem Verkehrslärm niedergehalten, widmen sich - apropos Verkehr - trivial menschlichen Beschäftigungen: Sie schmeicheln, ob allein oder paarweise, ihren Intimzonen. Miura, Chef der Theatergruppe Potudo-ru, arrangiert Realien. Eine maßlose Trägheit obwaltet in der WG, deren Vertreter spontan den naheliegendsten Eingebungen folgen: die Kollegin oral befriedigen, das Wasser im Kommunenklo abschlagen, die Playstation bedienen, karottenblondes Haar föhnen. Zum Ausklang eines solchen nervenaufreibenden Tages werden Nudeln gereicht. Das Licht verlischt, aus dem Mattenlager dringt das durchdringende Schluchzen einer WG-Genossin: Bonjour Tristesse.

Und doch eignet Miuras szenischer Installation in ihrem Detailreichtum, in dem die weibliche Scham entblößt wird, Ejakulationen gelegentlich auch "real" passieren, ein Moment verquerer Wahrhaftigkeit: Man ertappt Menschen ohne Vergangenheit und Zukunft beim Überlebenstraining. Ihren Handreichungen eignet eine besinnungslose Würde, die gar nicht weit entfernt von jener Erhabenheit liegt, die im Flaggenbild der aufgehenden Sonne - zum Ende der Performance höhnisch zitiert - heraldisch zum Ausdruck kommt. Ein böser und zugleich zärtlicher, wiewohl pornografischer Theaterabend; nur nicht dazu geeignet, die Lieblingserbtante schick auszuführen. (Ronald Pohl / DER STANDARD, Printausgabe, 3.6.2011)