Spaziergang durchs Licht: Der US-Amerikaner James Turrell liefert eine der überzeugendsten Arbeiten zum Venedig-Überthema "Illuminazioni".

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Luftig arrangierte Schauräume: Biennale-Kuratorin Bice Curiger.

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Vor dem Zeitalter der Industrialisierung war Venedigs Schiffswerft der größte Produktionsbetrieb Europas. Seit 1999 ist das Arsenal alle zwei Jahre, gemeinsam mit dem Zentralpavillon in den Giardini, eine der wichtigsten Ausstellungsorte für Avantgarde. Auf rund 10.000 Quadratmetern zeigt der jeweilige Biennale-Kurator der Welt, was er international gesehen von und für Kunst hält.

Der legendäre Schweizer Ausstellungsmacher Harald Szeemann etwa nannte seine Biennale-Schau im Jahr 2001 Plateau der Menschheit. Nun, zehn Jahre später, hat seine Schweizer Landsmännin Bice Curiger 82 Kunstschaffende, darunter 32 Frauen und 32, die jünger als 35 sind, um Illuminazioni - Erleuchtung, Erhellung - gebeten. Für das gleichermaßen anspruchsvolle wie aber auch bis zur Beliebigkeit dehn- und plättbare Thema standen ihr 13 Millionen Euro zur Verfügung, weit mehr als die Hälfte davon ist, etwa durch Eintrittsgelder, Merchandising und Sponsoring, selbstverdientes Geld.

Kunst ist ein offenbar krisensicheres Geschäft und die Biennale dessen Spiegel. Sammler- und Händleraugen leuchten hell auf, wenn sie Arbeiten ihrer Künstler in der Ausstellung entdecken, denn das bedeutet eine kräftige Wertsteigerung.

Die hat der Star der an prominenten Namen nicht armen internationalen Biennale-Ausstellung allerdings nicht mehr nötig: Weil sie ihn als einen der experimentierfreudigsten Künstler Italiens hält, konfrontiert Bice Curiger die Avantgarde und ihr Publikum mit drei Meisterwerken des venezianischen Renaissance-Malers Tintoretto (1518-1594):

Ein Versuch, einen "künstlerischen, emotionalen und historischen Lokalkontext zu Venedig" herzustellen, sagt Curiger und formuliert ihren kuratorischen Anspruch mit "Sichtbarmachen und Beleuchten der aktuellen Kunstproduktion".

Und die ist, jedenfalls nach Ansicht der Ausstellungen in Arsenal und Zentralpavillon, oft spektakulär wie der riesige Vampirvogel des Südafrikaners Nicholas Hlobo; mitunter auch nur spekulativ und banal. Jedenfalls vorwiegend installativ und materialintensiv. Raumgreifend und -reflektierend wie Monica Bonvicinis anspie(ge)lungsreiche Stiegen-Welt. Labyrinthisch. Das Abhängen von Kuben ist offenbar nicht nur im Österreich-Pavillon in.

Mitunter ermüdend die Biennale-Mode "Video" in allen Längen und Qualitäten. Hart und gut der Film des Israeli Omer Fast über einen Fliegerangriff auf eine amerikanische Mittelstandsfamilie. (Sozial)politisch auch die großartigen Fotoserien des Südafrikaners David Goldblatt, der - selbst Opfer eines Überfalls - die Geschichten der Täter beleuchtet. Seine Fotos hängen übrigens im präzis dimensionierten, sternförmigen Parapavillon der polnischen Künstlerin Monika Sosnowska.

Behausungen für Kunst

Curiger hatte außer Sosnowska noch Franz West, der morgen, Samstag, mit dem Goldenen Löwen für sein Lebenswerk ausgezeichnet wird, sowie den Chinesen Song Dong und den US-Amerikaner Oscar Tuazon um Behausungen für andere Künstler gebeten. Später kam die international aufgemischte österreichische Künstlergruppe Gelitin dazu, die im Garten über (in Venedig streng verbotenem) offenem Feuer Glas schmilzt. Musik macht. Und Party feiert.

Der beeindruckendste Parapavillon ist jener Song Dongs gleich beim Eingang des Arsenals, vielleicht die stärkste Arbeit überhaupt: poetisch und politisch und autobiografisch. Ein Labyrinth aus hundert Schranktüren erinnert an die Sitte in China, aus Platzmangel Kästen einfach auf die Straße zu stellen und so das Private öffentlich zu machen. Das macht Song Dong auch, indem er sein hundert Jahre altes Elternhaus aus Peking nach Venedig überstellt hat.

Um Überwindung von Raum und Zeit geht es auch in The Clock des US-Amerikaners Christian Marklay: Wenn in dieser 24-Stunden-Montage aus Filmclips eine Uhr im Bild ist, entspricht die darauf zu sehende der realen Zeit.

Stillere Arbeiten wie etwa die unsichtbare Malerei des Schweizers Bruno Jakob haben es in dieser Kunst- und Farb- und Materialüberflutung eher schwer. Das Weiße Lächeln hat er mit Wasserdampf gemalt. Und natürlich gibt es auch einige wenige Arbeiten, die das Ausstellungsthema tatsächlich reflektieren, manche allerdings eher banal. Gelungen hingegen die Installation aus Neonröhren und Schnüren des Iraners Navid Nuur. Immer wieder schön der Spazio Elastico des 1993 verstorbenen Italieners Gianni Colombo: ein Gummischnüre-Labyrinth im dunklen Raum. Immer ein Erlebnis auch James Turrells Lichträume.

Erhellung? Oder dann doch doch Erleuchtung? Die Arbeit Maurizio Cattelans ließe auf Letzteres schließen: In Form hunderter ausgestopfter Tauben wacht der heilige Geist der Kunst über den Ausstellungsstücken - und den Besuchern.

Bice Curiger ist eine luftig arrangierte Ausstellung gelungen. Treffender wäre nur, sie hieße schlicht: Her Master's Choice. (Andrea Schurian aus Venedig / DER STANDARD, Printausgabe, 3.6.2011)