Trotz aller zur Schau gestellten Verwerflichkeit auch immer wieder ein Moralist: das Enfant terrible Thor Kunkel.

Foto: Heyne Verlag/Norbert Guthier

Am Anfang fühlt man sich bei der Lektüre des neuen Romans von Thor Kunkel ja ein wenig auf den Arm genommen. Schließlich erwirbt man ja nicht unbedingt ein Buch, um sich über hunderte Seiten durch eine Sprache und einen Habitus zu quälen, die man in ihrer flotten Unbeschwertheit auch in diversen Lifestyle-Magazinen knapper und bündiger haben könnte. Schöner leben bedeutet in dieser Welt immer auch: schneller umblättern.

Allerdings ist die anfangs trügerische Ausgangslage von Subs nicht die geringste. Wie auch in seinen notorisch unterschätzten und vom Feuilleton oft nicht einmal ignorierten Vorgängerarbeiten nähert sich der deutsche Autor seinem Thema erst einmal über das Mittel der vordergründigen Affirmation. Im Angesicht zusammenbrechender Wirtschaftssysteme und kollabierender Sozialgefüge geht es hier um den Niedergang der Lohnarbeit und die Aushebelung ökonomischer Selbstbestimmung. Kunkel verortet diese, das wird schnell einmal klar, im Bereich der Chimäre.

Als Protagonisten werden uns in Subs zu Beginn zwei Paare vorgestellt, die, im Bereich des gesellschaftlichen Klischees angesiedelt, alle Potenziale bezüglich satirischer Verfremdung auf jeden Fall schablonenhaft bereithalten. Zum einen wäre da das im gehobenen Berliner Villenmilieu lebende Paar Claus und Evelyn. Schönheitschirurg der eine, Rechtsanwältin die andere. Sie suchen zwecks Sicherung ihres gehobenen Lebensstandards aufgrund des plötzlichen Verschwindens ihrer polnischen Perle Haushaltskräfte beziehungsweise dezidiert lustig "Sklaven", die auch ohne lästige Anmeldung bei der Steuer bereit sind, bienenfleißig hinter den Türen ihrer Villa dafür zu sorgen, dass der Weinkeller voll, die Böden geputzt und das anständig zubereitete Bioessen rechtzeitig auf dem Tisch steht.

Launig gibt Hausherr Claus eine Anzeige in der Zeitung auf, die Hilfskräfte für den Luxushaushalt sucht. Und tatsächlich melden sich neben einer stetig wachsenden Zahl von Langzeitarbeitslosen, überqualifizierten und deshalb chancenlos auf dem Arbeitsmarkt dastehenden Akademikern, Asylanten und anderen in einer sich verengenden Gesellschaft Überflüssigen ein Mann und eine Frau, die bereit sind, diese Annonce ernst zu nehmen. Der eine, ein arbeitslos gewordener Ex-Uni-Dozent für Philosophie namens Bartos, ist jenseits der 50 auf dem herkömmlichen Arbeitsmarkt schwer vermittelbar. Die andere ist eine junge, wasserstoffblonde Schönheit aus der Ukraine namens Lana, die bereit ist, auf ihrem Weg von der unterdrückten Klasse in den Westen strebender Ostler hin zu persönlichem Wohlbefinden für einige Zeit auch mit dem Verlust jeglicher persönlichen Rechte entgegenzuwirken - und im Zweifel chirurgisch eventuelle äußerliche Defizite nachzubessern. Allerdings können solch neue Beschäftigungsverhältnisse trotz scheinbar freiwilliger Entrechtung Bediensteter mit freier Kost und Logis und keinem Geld, das auch nicht notwendig ist bei keiner Freizeit, gründlich schiefgehen.

Thor Kunkels schon über seine Vorgängerarbeiten Das Schwarzlicht-Terrarium, Endstufe, Schaumschwester oder Kuhls Kosmos bekannter Arbeitsansatz ist jener, aufzuzeigen, dass Dekadenz eben auch eine Niedergangserscheinung zu sein hat. Er ist trotz aller Pornografie und in seinen Büchern zur Schau gestellten Verwerflichkeit der westlichen Gesellschaft immer auch ein heimlicher Moralist.

Im konkreten Fall, dem Untergang Babylons am Beispiel einer Zweiklassendienstleistergesellschaft, werden aus faulen Arbeitgeber-Willis schließlich Opfer, die Diener werden sehr schnell zu jenen Geistern, die man rief und nun nicht mehr los wird.

Thor Kunkel bewegt sich gern auf heiklem Terrain. Er sorgte nach dem längst vergriffenen Debüt Das Schwarzlicht-Terrarium mit seinem zweiten Roman Endstufe im Jahr 2004 in Deutschland für einen Literaturskandal. Immerhin weigerte sich der Suhrkamp-Verlag damals, die ohne gröbere Schwierigkeiten als Satire zu lesende Großtat, lange vor Quentin Tarantinos Inglourious Basterds eine grindige Nazi-Trash- und Pulp-Fiction-Geschichte zu erzählen, kurz vor der geplanten Veröffentlichung, das Buch auch tatsächlich zu publizieren. Für die folgenden Romane Schaumschwester, ein ungleich spannenderer Klon-Trash-Roman, als es zeitgleich Michel Houellebecqs Die Möglichkeit einer Insel war, sowie den wie üblich bei Kunkel auf jeden Fall auch pornografisch im Sinne seines ungleich angeseheneren norwegischen Kollegen Mathias Faldbakken drastisch zur Sache kommenden Disco-Roman Kuhls Kosmos benötigte Kunkel nicht nur regelmäßig neue Verlage. Sie wurden auch kaum rezipiert. Wie sich angesichts der Veröffentlichung von Subs wieder zeigen wird, eine Schande.

Thor Kunkel ist und bleibt der deutsche Großmeister des Trash. Leider hat diese literarische Gattung in unseren Breiten keinen Stellenwert. Man könnte ja die Blumen am Wegesrand verletzen, wenn man breitbeinig mit höhnischem Grinsen auf seiner die Öko- und Korrektheitsbilanz vernichtenden Schreibmaschine durch die Gegend pflügt. Aber wie meinte schon der alte Halunke Juvenal vor ein paar tausend Jahren: Difficile est satiram non scribere. (Christian Schachinger, DER STANDARD/ALBUM - Printausgabe, 4./5. Juni 2011)