Bild nicht mehr verfügbar.

Die "Generation doof" bei der Arbeit: Stan Laurel und Oliver Hardy.

Foto: APA

Die Dummheit ist ein ewig faszinierendes Thema. Ewig faszinierend, weil Dummheit, erstens, unendlich ist (danke, Albert Einstein!). Das bedeutet logischerweise, dass auch die Beschäftigung mit ihr nie zu einem Ende kommen kann. Zweitens sträubt sich die Dummheit erfolgreich gegen jeden abschließenden Definitionsversuch. Manches schaut dumm aus, ist aber ein Akt großer Raffinesse, anderes wirkt nach außen hin raffiniert, ist aber unsagbar dumm.

Drittens schließlich ist die Dummheit unbesiegbar, und unbesiegbare Gegner sind die interessantesten. So viele große Geister (Voltaire, Flaubert, Karl Kraus ...) haben sich endlos an ihr aufgerieben, oft genug verzweifelt, oft genug auch lustvoll. Besiegt hat die Dummheit keiner. Voltaires resignierendes Resümee nach einem jahrzehntelangen Grabenkampf an der Antiblödheitsfront: "Wir werden diese Welt ebenso dumm und schlecht zurücklassen, wie wir sie bei unserer Ankunft angetroffen haben". Traurig, aber wahr: Mit der Dummheit ist man niemals durch.

Wenn der Schein nicht trügt, scheint derzeit eine Beschäfti-gung mit der Dummheit im Gange zu sein, die weit über das kri-tische Enthüllungs-Business-as-usual hinausreicht. Wir erleben gleichsam eine Hausse der Dummheitsfaszination, ja, die Dummheit ist zu einem Schreckgespenst von ähnlicher Attraktion geworden wie der Terrorismus, das Ehec-Bakterium oder von Megakatastrophen wie Fukushima inspirierte ökologische Untergangsvisionen.

Bezeichnend ist etwa die Hysterie, mit der die Öffentlichkeit, vor allem die amerikanische, auf das manichäische Weltbild von Tigermutter Amy Chua reagiert hat: Auf der einen Seite beflissene und bienenfleißige Jungchinesen, die nichts anderes im Kopf haben, als sich in die ökonomische Oberliga zu strebern, während sich auf der anderen mental versulzte und vergnügungssüchtige Jungamerikaner unproduktiv zu Tode amüsieren. In Deutschland malt der übellaunige SPD-Dissident Thilo Sarrazin mit ebenso eminentem Erfolg den Torheitsteufel mit muslimischem Migrationshintergrund an die Wand.

Dummheitsalarm allerorten

Die Dummheitsentlarvung ist zu einer regelrechten publizistischen Industrie geworden: Einmal wird die "Generation doof" entdeckt, dann die "verblödete Republik", überall dräuen intellektuelle "Seichtgebiete". Verdummung droht von den Jungen, Verblödung kommt aus dem Internet, und auch das Fernsehen hat trotz der Konkurrenz der neuen Medien sein traditionelles Renommee als Oberstumpfmacher keineswegs eingebüßt. Dummheitsalarm da, Dummheitsalarm dort, Dummheitsalarm allerorten.

Im Suhrkamp-Verlag ist soeben ein Buch erschienen, das sich dem Thema mit großem Ehrgeiz nähert und die Verblödung schlankweg zu einem konstituierenden Gesellschaftsbaustein erklärt: Stattliche 800 Seiten dick, in einen Umschlag von edlem, gedeckten Grün gebunden, ist Blödmaschinen ein Buchziegel, der sich als gewichtiger Meilenstein auf dem langen Marsch zur definitiven publizistischen Dummheitsdurchdringung gebärdet - vielleicht nicht zu Unrecht. Mit diesem Opus versprechen die beiden deutschen Publizisten Markus Metz und Georg Seeßlen nicht mehr und nicht weniger als eine umfassende Gesamtanalyse dessen, was sie "Fabrikation der Stupidität" nennen.

Seeßlen und Metz gehen davon aus, dass es im Wesentlichen drei neue "Blödmaschinen" gibt - Medien, Mode und Waren, mit denen der Rohstoff der Naturdummheit in gesellschaftliche Blödheit transformiert wird. "Blödheit ist Dummheit plus Benommenheit". Wie "wirkliche" Maschinen unterliegen auch die Blödmaschinen Abnutzungs- und Erneuerungszyklen, nur produzieren sie keine trivialen Güter wie Schraubverschlüsse oder Türbeschläge. Die Blödmaschine geht aufs Ganze.

Sie produziert Wahrnehmung und Wegsehen, Dazugehören und Ausgeschlossensein. Sarkastische Kernsätze der beiden Blödheitsforscher: "Nimm den Menschen die Blödheit, und du kannst die Gesellschaft vergessen. Unterhaltung ist eine Droge, und wie alle Drogen ist sie höchst ambivalent. Und ein blöder Konsens ist schließlich besser als eine Straßenschlacht." Die Geschichte des Kapitalismus laut Seeßlen und Metz: a blede G'schicht.

Aber eben auch wieder nicht. Als zwei in der Wolle gefärbte Dialektiker haben Metz und Seeßlen keinerlei Probleme, anzuerkennen, dass der Kapitalismus nicht nur wiederkehrende Finanzkrisen entfacht oder ökologische Ressourcen zerstört, sondern auch die Produktivkräfte der Intelligenz in einem Maß entfesselt hat, wie dies in vormodernen Gesellschaften undenkbar war. Kapitalismus, das ist ein unablässiges Zusammenspiel von Gescheitem und Blödem, in denen die Blödmaschinen drei unentbehrliche Funktionen ausüben: Als "Maschine der Wahrnehmung, als Maschine der Schlussfolgerung (zur Produktion von Meinungen, Überzeugungen, Geschmack und Urteil) und schließlich als Maschine zur Kommunikation", mit der ständig neu ausverhandelt wird, welche Art und welches Ausmaß an Blödheit gesellschaftlich zuträglich ist.

Das kritische Modell von Seeßlen und Metz ist dabei um einiges raffinierter als die einfach gewirkte "Ideologiekritik" aus den 60er- und frühen 70er-Jahren, welche sich mit einem oft ans Paranoide grenzenden Eifer dem Ziel widmete, alles und jedes als kapitalistischen Herrschaftstrick zu entlarven. In diesem Denkmodell wäre die Analyse dahin gegangen, dass es eine schlichte Dichotomie von Verblödenden und Verblödeten gibt und die einen die anderen absichtsvoll mit Verdummungsstrategien ins Joch knechten.

Eigene Logik

Seeßlen und Metz hingegen haben in ihre Analyse auch reichlich Erkenntnisse der Systemtheorie eingearbeitet. Ihre Blödmaschinen funktionieren nicht so, dass sie von einem böswilligen Maschinisten zu Unterdrückungzwecken in Gang gesetzt werden, sondern sie führen auch ein Eigenleben und gehorchen einer eigenen Logik. Das ist eine Sichtweise, mit der auch der Philosoph Konrad Paul Liessmann durchaus etwas anfangen kann. Und Liessmann nennt auch gleich ein aktuelles Beispiel für eine systemische Unsinnsproduktion, nämlich die Berichterstattung über das Ehec-Bakterium, die aus Gründen der Medienlogik einfach stattfinden muss, obwohl es keine gesicherten Erkenntnisse, sondern lediglich mehr oder minder begründete Spekulationen über das Wesen des bösen Keims gab: "Da werden dann im Zusammenwirken hochqualifizierter intelligenter Mediziner und hochqualifizierter intelligenter Journalisten ständig Nachrichten produziert, die sich wenig später als Dummheiten herausstellen."

Die Vorstellung der Welt als Blödheitshort und Vertrottelungsstätte scheint einen Nerv zu treffen: In der Buchhandlung Kuppitsch am Wiener Schottentor freute man sich zu Wochenbeginn darüber, dass am ersten Wochenende nach Erscheinen der Blödmaschinen schon zehn Stück verkauft wurden, "hauptsächlich an Universitätsprofessoren", wie eine freundliche Verkäuferin verriet: Für ein sperriges Opus wie dieses keine schlechte Ausbeute.

Es gilt offenkundig nicht nur das alte Werbermotto "Sex sells", sondern auch "Stupidity sells". Damit ist nicht gemeint, dass sich das Törichte und Dumme besonders gut verkaufe (was natürlich auch etwas für sich hat), sondern "Stupidity sells" gilt hier für jenes publizistische Subgenre, das sich hingebungsvoll dem Aufstöbern des tatsächlich oder vermeintlich Törichten und Dummen widmet.

Anders als ausgefuchste Dialektiker wie Metz und Seeßlen sind die durchschnittlichen Dummheitsdetektive eher einfach gestrickt. Im Zentrum ihres Denkens steht der kulturpessimistische Allgemeinplatz, dass alles immer blöder, dröger, dumpfer und törichter werde, eine Aussage, die sich mangels empirischer Evidenz nicht falsifizieren, aber auch nicht beweisen lässt: Solange das "Volk" nicht, analog einer Volkszählung, in Zehnjahresabständen flächendeckend von psychologisch geschulten Fachleuten auf seine Intelligenz hin überprüft wird, ist die Behauptung der unaufhaltsamen Volksverblödung nicht mehr als ebendas: nämlich eine Behauptung. Eine Untersuchung aus der Psychologie oder Sozialforschung, die einen kollektiven Intelligenzschwund (oder auch einen kollektiven Intelligenzzuwachs) belegen würde, ist nicht bekannt.

Dennoch wird die Rede von der Volksverblödung immer wieder gern gehört. Wenden wir uns ein paar charakteristischen Repräsentanten dieses dystopischen Denkens zu. Da gibt es etwa den deutschen Autor Michael Jürgs, der in seinem journalistischen Vorleben volksbildnerisch wertvollen publizistischen Produkten wie Stern und Tempo als Chefredakteur vorstand. 2009 koppelte sich Jürgs titelmäßig an Charlotte Roches Schamrasurepos Feuchtgebiete an und schilderte in seinem auf Buchlänge gestreckten Seller Seichtgebiete. Warum wir hemmungslos verblöden. Dass wir hemmungslos verblöden, daran kann für Jürgs kein Zweifel bestehen, und apodiktische Behauptungen vom Typus "Es gibt heute mehr Verblödete denn je" findet man in seinem Opus zuhauf.

Reglos auf dem Sofa

Als Hauptverblödungsagenten im gesamthaften Vertrottelungsgeschehen ortet Jürgs natürlich, wenig originell, das Fernsehen. Über weite Strecken bestehen die Seichtgebiete aus einem Bashing der üblichen Verdächtigen an den Schalthebeln der Verblödungsmaschinerie, des unterirdischen "Comedians" Mario Barth, des Brachial-Prolos Dieter Bohlen oder der Casting-Zicke Heidi Klum. Diesem Personal brät Jürgs eins nach dem anderen über und ortet im Übrigen Stuss und Stiefel, so weit sein Auge reicht: Ganze Heerscharen von Couchkartoffeln fläzen reglos auf dem Sofa und ziehen sich eine grindige Casting-Shows nach der anderen in die arbeitslose Birne, während Shakespeare und Goethe - ja, meine Lieben, das war halt noch Kultur! - ungelesen im Bücherschrank verstauben. Eines ist sicher: Deutschlands nächster Superstar heißt nicht Torquato Tasso.

Ein nicht minder engagierter Geißler dessen, was er für trottelhaft hält, ist der 57-jährige deutsche Wutpublizist Thomas Wieczorek. Wieczorek ist zugleich auch ein Musterbeispiel dafür, wie lukrativ es sein kann, einen publizistischen Suderantenstadel zu errichten. Von seinen Scheltpublikationen, allen voran das Bestseller-Pamphlet Die verblödete Republik, hat Wieczorek laut Süddeutscher Zeitung weit mehr als eine Million Stück an Frau und Mann gebracht. Auch Wieczoreks Modus Operandi ist einfach: Er klaubt Fundstücke aus Internet, Zeitungen und Fernsehen aus ihrem Kontext und setzt sie im Sinn seiner Vorannahme zu einem 360-Grad-rundum-Blödheitspanorama zusammen. Dabei unterscheidet er sich in Nuancen durchaus von Jürgs, wenn er etwa Mario Barth gegen seine Kritiker in Schutz nimmt, diese litten nämlich an "Prolophobie" und an einer allgemeinen Verachtung der Unterschichten.

Leider kommt auch von der Jugend nichts Gescheites her, denn dort ist die "Generation doof" zugange. Stefan Bonner und Anne Weiss basteln in ihrem gleichnamigen Megaseller (ich besitze ein Exemplar der 23. Auflage von 2010) aus einer Fülle von Detailbeobachtungen ein törichtes Jugendgesamtbild: Patty findet es echt "affengeil, wie in Tanz der Teufel den Typen die Köpfe abeschlagen werden". Latoya kennt "drei skandinavische Länder: Schweden, Holland und Nordpol". Und "vor kurzem hat sich auf der Hamburger Reeperbahn ein sechzehnjähriger Berliner mit 53 Gläsern Tequila ins Koma gesüffelt". Einzelfälle? "Mitnichten. Eine ganze Generation droht zu verblöden". Es ist keine geringe Ironie der Geschichte, dass es in den Schulen heute als pädagogisch hochgradig inkorrekt gälte, einen Schüler als "dumm" zu bezeichnen, während andererseits einer ganzen Generation pauschal ein Blödheitsattest ausgestellt wird.

Mit der zuvor genannten "Einzelfälle? Mitnichten"-Argumentation stoßen wir zum Kern der ganzen publizistischen Verblödungstheorie vor. Der Kern ist eine Glaubensfrage: ob man nämlich gewillt ist, aus der Wahrnehmung etlicher Einzeltrotteleien den Schluss auf eine gesellschaftliche Gesamttrottelei zu ziehen oder ob man das lieber nicht tut.

Als optimistischer Mensch könnte man ja auch umgekehrt aus der Wahrnehmung einiger Intelligenzakte den Schluss ziehen, dass die Gesellschaft im Lauf der Geschichte immer gescheiter wird. Das hat doch auch etwas für sich: Smartphones hatten die Troglodyten im Gegensatz zu uns jedenfalls noch nicht!

Es bliebe letztlich die Frage zu klären, was der Faszination für Visionen vom Weltuntergang durch kollektive Verblödung eigentlich zugrunde liegt. Eine küchenpsychologische Erklärung ist schnell bei der Hand: Wer selbst großzügig Vertrottelungsbefunde ausstellt oder andächtig jemandem zuhört, der dies seinerseits tut, darf sich automatisch in der Gewissheit wähnen, selbst zum klügeren Segment der Gesellschaft zu gehören - ob zu Recht oder zu Unrecht bleibe dahingestellt.

Einwortsätze

Das ist freilich keine erschöpfende Erklärung. Hinweise auf ein großflächiges reales Verblödungsgeschehen gibt es durchaus. Das von Herrn Berlusconi auf ein kollektives Bunga-Bunga eingestimmte Nachbarland Italien gilt nicht nur Seeßlen und Metz als eine Warnung vor "things to come". In der Tat zeigt Berlusconi-Italien unverkennbare Parallelen zu jenem Vollkofferstaat, den Regisseur Mike Judge in seiner wunderbaren Science-Fiction-Satire Idiocracy aus dem Jahr 2006 auf die Leinwand gebracht hat: Ein Wrestler spielt den US-Präsidenten, die verbale Artikulationsfähigkeit der Bevölkerung ist auf Einwortsätze geschrumpft, und bei der beliebtesten Show im Fernsehen ("Oww, my balls! ") geht es darum, einander möglichst kräftig in die Hoden zu treten.

Wächst, wo so viel Gefahr ist, das Rettende auch? Was ist zum Beispiel aus dem guten alten Projekt der Aufklärung geworden, den Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit herauszuführen? Konrad Paul Liessmann, Verfasser einer vielgelesenen Theorie der Unbildung, gibt sich skeptisch. Kants Aufklärungsmodell impliziere die Position eines Wissenden, der gleichsam von außen her die Dummheit benennt, um die Unwissenden auf ihre Faulheit und Feigheit aufmerksam zu machen.

Wollte jemand in unserer Gesellschaft eine solche exklusive Position einnehmen, so müsste er sich, was nur schwer denkbar ist, aus allen sozialen und medialen Zusammenhängen verabschieden. In unserer total vernetzten Gesellschaft bleibt das Fass des Diogenes leer. Und die Möglichkeit, dass wir uns in näherer Zukunft alle blöd anschauen werden, ist nicht von der Hand zu weisen. (Christoph Winder, DER STANDARD/ALBUM 11./12./13. Mai 2011)