Foto: Privat

STANDARD: Die Ratingagentur Fitch sieht eine 60-prozentige Chance auf eine Bankenkrise in China. Zu Recht?

Franklin Allen: Das größte Risiko sind die Zweckgesellschaften, über die sich lokale Regierungen Geld ausgeliehen haben. Der Markt dafür ist leider sehr intransparent. Die Zentralregierung wird aber jedenfalls einspringen, falls Banken Probleme bekommen. Chinas Regierung hat drei Billionen Dollar und damit genügend Geldmittel. Sie können das tun, und sie müssen sich zudem keiner Abstimmung im Parlament stellen.

STANDARD: Bedrohen die Bankenprobleme das Wachstum?

Allen: Banken sind in China sehr wichtig für die staatsnahen Betriebe. Sie sind nicht so wichtig für die kleinen Unternehmen, die das Wachstum in China in den vergangenen Jahren massiv getragen haben. Die Zinsen für diesen Sektor sind leider sehr viel höher, fünf Prozent für ein Monat statt etwa 6,5 Prozent für ein Jahr für einen staatsnahen Betrieb. Das ist die Eigenart des chinesischen Finanzsystems. Das ist ein großes Problem, das eine Gefahr für die Volkswirtschaft darstellt.

STANDARD: Aber der chinesische Staat hat rund 3000 Milliarden Dollar an Währungsreserven. Wie kann es da Kreditknappheit geben?

Allen: Während die Zentralregierung tausende Milliarden Dollar hat, die sie in US-Staatsanleihen anlegt, haben die Unternehmen oft einen schlechten Zugang zu Krediten. Staatsnahe Betriebe und börsengehandelte Unternehmen haben keine Probleme, an Geld zu kommen. Aber für die breite Schicht ist die aktuelle Kreditverknappung problematisch.

STANDARD: Wird es zu einem Anstieg fauler Kredite kommen?

Allen: Absolut. Und wir haben das ja schon zuvor gesehen, vor fünf bis sechs Jahren. Aber heute ist das Bankensystem sauberer als noch vor fünf Jahren. Bei privaten Krediten haben Banken deutlich besser geprüft.

STANDARD: Wird China den Aufschwung der Weltwirtschaft gefährden? Immerhin werden die faulen Schulden von Gemeinden auf 400 Mrd. Euro geschätzt, mehr als die Gesamtverschuldung des griechischen Staats.

Allen: Chinas Schuldenproblem ist deutlich anders als jenes von Griechenland oder die Subprimes. Dort hatten wir die Ansteckungsgefahr, dass Schuldenprobleme in einem Land oder Sektor sich auf andere Bereiche übertragen. Das haben wir in China nicht, weil die Pekinger Zentralregierung die Wirtschaft angemessen unter Kontrolle hat. Für die Eurozone mit ihren 12.500 Milliarden Dollar an Wirtschaftsaktivität sollte Griechenland kein Problem sein, doch wegen der Politik ist es das. China ist sehr viel zielstrebiger als die Eurozone, Probleme zu beseitigen.

STANDARD: Wird es der Notenbank aber gelingen, eine harte Landung der Volkswirtschaft zu vermeiden?

Allen: Die Möglichkeit des Scheiterns besteht, aber ich glaube nicht, dass sie allzu hoch ist. Die Regierung hat noch Manövrierspielraum, aber die Wahrscheinlichkeit ist auf 20 bis 30 Prozent gestiegen, dass die Wirtschaft außer Kontrolle gerät. Es wird definitiv eine Wachstumsschwäche geben. Im dynamischen China heißt das ein Wachstum unter acht Prozent, was den Arbeitsmarkt belasten wird.

STANDARD: Muss sich das chinesische Wachstumsmodell ändern? Weg von den Exporten, hin zu privatem Konsum?

Allen: Der wirkliche Wandel wird von der Investitionsseite kommen müssen, weil diese derzeit 40 Prozent ausmacht. Die Chinesen haben massiv in Straßen und Transportwege investiert. Wenn das einmal abgeschlossen ist, haben sie riesiges Potenzial zu wachsen, weil sie sich von einem Land ohne Infrastruktur zu einer voll ausgestatteten Volkswirtschaft bewegt haben. Doch der Wandel von den Investitionen zum privaten Konsum wird zweifelsohne sehr schwierig sein. (Lukas Sustala, DER STANDARD, Printausgabe, 15.6.2011)