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REUTERS/Vincent Kessler

Bild aus Wolfzeit

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Österreichisches Kino bei den 56. Filmfestspielen in Cannes: Michael Haneke drehte mit "Wolfzeit" einen Antikatastrophenfilm. Ruth Mader gewinnt der Kälte der Welt in "Struggle" einige Klischees ab.


"Ich stelle nur Fragen." Einmal mehr wollte sich Michael Haneke, mittlerweile Stammgast der Filmfestspiele in Cannes, bei einer Pressekonferenz nicht in die Karten schauen lassen. Vergleicht man diese Fragen mit suchenden Impulsen eines Echolots, so könnte man sagen: Selten wurden sie in eine hoffnungslosere Finsternis hineingesendet - und das will etwas heißen im mit lichten Momenten geizenden Werk des österreichischen Regisseurs.

Kaum sind die Nächte mit dem Auge zu durchdringen in Wolfzeit, dem jüngsten Film Hanekes, der gestern im Palais du Festival seine Weltpremiere feierte. Im Hauptprogramm, außer Konkurrenz. Auch bei Tag ist der Blick auf Wälder, Wiesen und Felder verdüstert, durch einen Umsturz, der so endgültig zu sein scheint, dass er gar nicht mehr genauer ausgeführt werden muss. Irgendetwas hat sich "in der Stadt" ereignet, eine ökologische Katastrophe vielleicht, das nun sämtliche Spielregeln und Gesellschaftsverträge über den Haufen wirft. Man könnte jetzt den sprichwörtlichen Menschen herbeizitieren, der dem Menschen zum Wolf wird. Haneke hingegen verbindet den Titel Wolfzeit mit dem Ende der Welt, "Ragnarök", wie es alte germanische Mythen imaginieren.

Wer nun eine Art Mad Max erwartet oder ein spektakuläres The Day After, wird mit einem einigermaßen grimmigen Bekenntnis zu einer möglichen Gegenwart enttäuscht. Jäh kippt am Anfang eine Alltagsszene - eine Familie fährt vor ihrem Wochenendhaus vor - in Bedrohung um: Eine andere Familie hat das Domizil bereits okkupiert, ein Familienvater erschießt den anderen; schließlich macht sich die Mutter (Isabelle Huppert) mit ihren beiden Kindern auf den Weg: Wohin? Auch diese Frage wird nicht beantwortet, vielleicht ist sie gar nicht mehr richtig beantwortbar. Auch dann nicht, als sich die Protagonisten einer kleinen Truppe von anderen Überlebenden anschließt, die in einer Lagerhaus-Bahnstation auf einen der wenigen noch durchfahrenden Züge warten.

Rigide verweigert Haneke jegliche Möglichkeit, die Katastrophe für Effekte zu nutzen. Selbst Stars wie Huppert, Béatrice Dalle oder Patrice Chéreau reduziert er auf Unscheinbarkeiten, die - das ist vielleicht eine Schwäche des Drehbuchs - so etwas wie eine Vorgeschichte der Figuren kaum jemals thematisieren (davon abgesehen, dass die Gruppenszenen mitunter einen eher bemühten Fernsehtheater-Charme entwickeln). Den meisten Erzählraum (und damit eine gewisse Hoffnung) lässt er den Kindern, aus deren Perspektive Konflikte und Ängste direkt spürbar werden.

Stillstand

Wenn etwa die Tochter auf ihrer Freundschaft zu einem einsamen Jungen beharrt oder Klaviermusik von Beethoven aus einem kleinen Kassettenrekorder wie einen Schatz genießt - in diesen Momenten bilden sich dann Inseln in einer mitunter etwas zähen Stillstandsbeschreibung: Ansonsten ist in der Wolfzeit die Ära der Höhepunkte vorbei, und Hanekes Film, der das durchaus konsequent bebildert - er lässt das Publikum nachvollziehen, was das heißen könnte: Entropie. Langeweile? Viele ließ der Film ratlos zurück. Weiter fragen!

Eher ärgerlich war hingegen Struggle, der erste Langfilm der jungen Wiener Filmemacherin Ruth Mader, der in der Reihe "Un Certain Regard" bestenfalls demonstrierte, was das heißt: Haneke und Ulrich Seidl (Hundstage) als streitbare und umstrittene Künstler nachzubeten, aber selbst noch nicht über die Erfahrung, den Blick und das handwerkliche Vermögen zu verfügen.

Denn die ausländischen Schwarzarbeiter, die da in Erdbeerplantagen, Geflügelfabriken und Swingerclubs ausgebeutet werden: Sie mögen ja tatsächlich ein Exempel für ein hoffnungsloses Ringen in einer kalten Welt sein. Und auch der Makler, der immer allein abendessen muss, aber von seinem Kollegen auf eine Session im S/M-Studio (heute: Hinrichtung light) eingeladen wird: Er hat es sicher auch nicht leicht. Das bedeutet aber nicht, dass man deswegen die Darsteller zu schlechten Dialogen verurteilen muss.

Insgesamt erweckt Struggle den Eindruck, als wäre hier eine 40-minütige Studentenarbeit auf 70 Minuten aufgeblasen worden, um festivaltauglich zu sein. Der Film hat keinen Rhythmus, er behauptet lediglich, was er zeigen müsste: Dreimal hintereinander Erdbeerfelder im Regen sind für das so genannte Elend dieser Welt als Bebilderung bestenfalls redundant.

Aber vielleicht wird das jetzt ein heimisches Markenzeichen, so wie man Dänemark mittlerweile zu sehr mit Dogma assoziiert: Filmen wie Haneke und Seidl, dabei die Verhältnisse auf Schocktemperatur abkühlen und das dann modisch wie einen coolen neuen Drink servieren!
(DER STANDARD; Printausgabe, 21.05.2003)