Bild nicht mehr verfügbar.

Ich stelle mir vor, was mein Hausroboter alles tun könnte: Abwasch, Staubsaugen, Schuhe putzen, Rechnungsablage, Tee servieren.

Foto: AP/Joerg Sarbach

Bild nicht mehr verfügbar.

Daniel Wisser, geb. 1971 in Klagenfurt, lebt als Schriftsteller und Musiker in Wien. Seit 1990 verfasst er Prosa, Lyrik und radiofone Werke und ist als Herausgeber und Verleger zeitgenössischer Literatur tätig. Sein Debütroman "Dopplergasse acht" erscheint 2003 (Ritter Verlag). 2007 erhält er das Österreichische Staatsstipendium für Literatur. Wisser liest Anfang Juli beim Ingeborg-Bachmann-Preis in Klagenfurt.

Foto: AP/Joerg Sarbach

Der Roboter, sagt er, ist mein größtes Sorgenkind. Ich muss lachen. Doch diese Sorge, sagt er weiter, kann ich mit niemand teilen, schon gar nicht mit Gleichaltrigen. Zu tief sitzt ein Klischee aus der Jugend: dass Computer und Roboter böse sind und die Welt und den Menschen zerstören werden. Es ist eine absurde Technikfeindlichkeit, die demagogisch nach Zustimmung sucht und sich gleichzeitig weigert, gewichtigen Tatsachen ins Auge zu sehen. So wurde in den 80er-Jahren bei allen Unglücken, deren Auslöser menschliches Versagen war, verschwiegen, dass der Mensch versagt hatte: Die Challenger-Katastrophe und Tschernobyl sind nur zwei Beispiele dafür.

Der Technikfeind der 80er-Jahre, sagt er, war vielleicht noch halbwegs naiv. Doch der ohnehin völlig technologieabhängige Bourgeoise von heute ist einfach zynisch. Er sitzt da und geißelt Automatisierung und Computerisierung, während er gerade eine Chat-Nachricht auf seinem Smartphone liest, das in Menschenschinderfabriken hergestellt wird: Arbeitsbedingungen, die jeder Zivilisation spotten. Erschreckende Selbstmordraten.

Der Roboter, sagt er, ist mein größtes Sorgenkind. Diesmal lache ich nicht. Seit 60 Jahren wird dem Roboter eine große Zukunft vorausgesagt, aber außerhalb von hochspezialisierten Fabriken, Science-Fiction-Filmen und Spielzeugläden ist er praktisch inexistent. Wir haben keinen Plan, sagt er, menschenunwürdige Arbeit, Kinderarbeit und schwer belastende Arbeit, die aus den immer selben Vorgängen besteht und somit für die Automatisierung prädestiniert ist, an Maschinen abzugeben. Unmenschliche Arbeits- und Lebensbedingungen sind uns gleichgültig, sagt er; sie sollen nur ja nicht in unserer Nachbarschaft herrschen, damit wir nicht wegschauen müssen. Die sogenannten Umweltschützer, sagt er, verhindern die Bewahrung unserer Umwelt. Über eine Legislaturperiode hinaus, sagt er, kümmert sich niemand um Bildung und Forschung, um Kunst und Kultur und - nicht zuletzt - um die physische und psychische Gesundheit der Bevölkerung. Sehen Sie sich doch nur den Verkehr an: Warum im Zeitalter der Vernetzung mehr Mobilität nötig ist, habe ich bis heute nicht verstanden; aber dass sich unsere Fortbewegungsmittel in Jahrzehnten nicht verändert haben, ist offensichtlich. Patente von Motoren, die ein Fünftel des Treibstoffs eines handelsüblichen Autos benötigen, liegen seit Jahrzehnten in den Tresoren der Öl-Lobby. Die Bahnfahrt von Wien nach Innsbruck dauert fünf Stunden, sagt er - und das, seit ich denken kann. Und die sogenannte Luftschifffahrt? Passagierflüge mit Überschallgeschwindigkeit wurden 2003 eingestellt, das in den 80er-Jahren geplante HOTOL wurde nie gebaut, und Vulkane legen den Flugverkehr lahm.

Viel zu viel Arbeit!

Es ist Samstag, 13.00. Wir sitzen immer noch beim Frühstück. Ich stelle mir vor, was mein Hausroboter alles tun könnte: Abwasch, Staubsaugen, Schuhe putzen, Rechnungsablage, Tee servieren. Aber ihn quält eine andere Sorge: Ich habe keine Stachelbeermarmelade mehr, sagt er. Es gibt keine Stachelbeermarmelade, sagt er. Das Glas Stachelbeermarmelade, das mir eine Freundin im Februar geschenkt hatte, ist leer. Auf keinem Markt, auf keinem Bauernmarkt, auf keinem Biobauernmarkt, in keinem Geschäft und in keinem Internetshop kann ich Stachelbeermarmelade finden. Ein Händler auf dem Markt sagte mir zu diesem Thema nur: Stachelbeermarmelade! Viel zu viel Arbeit!

Er hätte gerne einen Roboter, der sowohl Stachelbeeren pflückt, als auch Marmelade daraus macht - vor Ort, aus soeben geernteten Beeren und nicht aus Glashausobst, das im Lkw schon dreimal Europa durchquert hat und erst vor der Verarbeitung mit Chemie zum Reifen gebracht werden musste. Er schmecke die Roboterstachelbeermarmelade beinahe schon, sagt er, als mich ein Anruf erreicht: In der Firma ist die automatisierte Abwicklung der Filetransfers ausgefallen. Ein sofortiges Eingreifen der Abteilung IT ist erforderlich. Jetzt muss ich meinen Gast nach Hause schicken und arbeiten.

Er geht nur widerwillig, auf dem Gang immer noch monologisierend. Ich setze mich hinter den Laptop, um mich einzuwählen, aber wegen einer Netzwerkstörung ist der Remote-Zugriff nicht möglich. Also nichts wie in die U-Bahn. Da ich keine Fahrkarte bei mir habe, will ich ein Ticket per SMS anfordern. Das hat bisher immer funktioniert; das SMS-Ticket ist nur etwas teurer. Die Antwort auf meine SMS kommt sofort: Leider sind Sie für dieses Service nicht freigeschalten. [Sic!] Das hatte bis dahin immer funktioniert. Statt eines Einzeltickets löse ich ein Tagesticket. Das klappt.

In der U-Bahn google ich den Begriff Roboter und lese, dass im Februar 2011 bei einem Roboter-Marathon in Osaka der Sieger nur knapp mehr als zwei Tage für die Distanz von 42 Kilometern benötigt hat. Das Browsen führt allerdings dazu, dass der Akku meines Mobiltelefons fast leer ist. Was mache ich, wenn sich das Telefon abschaltet und ein Fahrtkartenkontrolleur den SMS-Fahrschein sehen will?

Tatsächlich, hat er beim Frühstück ohne Stachelbeermarmelade gesagt, beherrschen die Maschinen uns schon - und zwar, indem sie nicht funktionieren. Und er hat gesagt, dass die Technik-Apokalyptiker eines übersehen: dass es Abstürze, Fehler, Bugs und Gebrechen gibt. Dass nicht nur die Entwicklung von Maschinen, sondern auch ihr Nicht-Funktionieren Arbeitsplätze für Menschen schafft.

Glücklicherweise taucht kein Kontrolleur auf. Dafür werden um mich herum andere Arbeiten erledigt: Abteile werden gereinigt, die Zeitungen, die die Müllbehälter verstopfen, müssen entfernt werden, der Bahnsteig muss aufgewischt werden, eine Rolltreppe funktioniert nicht. Kotze im Lift aufwischen. All diese Arbeiten müssen gemacht werden. An der Kreuzung wird der Zebrastreifen neu gemalt. Ohne Mundschutzmaske stehen die Arbeiter in den Dämpfen, die nach tausendfach verstärktem Bananengeschmack riechen. Ein Plakatierer müht sich ab. Da steht ein trauriges Mädchen, das Werbeprospekte verteilt.

Er hat gesagt, dass er ein hoffnungsloser Utopist wäre, faul, naiv, menschenfeindlich. Er wäre der erklärte Gegner roboterfeindlicher Parteien, die mithilfe populistischer Medien eine regelrechte Hetze gegen Maschinen starten würden. Dabei fände er eine Bundesregierung aus Robotern bestimmt genauso effizient wie die jetzige. Sie würde sogar weniger Strom und weniger Wein verbrauchen als die jetzige.

Ich betrete die IT-Abteilung mit meiner Zugangskarte. Das Problem ist umgehend analysiert: Ein Server ist nicht erreichbar. Der zuständige Kollege wird angerufen und ist nach 40 Minuten vor Ort.

Der betreffende Ausfallsserver wird eingesetzt, und schnell ist das System wieder verfügbar. Der Kollege will dennoch feststellen, ob die Hardware des ausgefallenen Servers beschädigt ist. Wir betreten den Serverraum. Der Kollege stellt schnell fest, dass der betreffende Server gar nicht läuft. Grund: kein Strom. Dann erst sehen wir in der Ecke einen Staubsauger stehen. Tatsächlich: Die Putzfrau hat in Ermangelung einer Steckdose die Bodenklappe geöffnet, unter der sich die Steckdosen für die Computer befinden. Sie hat einfach einen Stecker gezogen, um eine Steckdose für den Staubsauger freizumachen. Dann muss sie unterbrochen worden sein, oder sie hatte Dienstschluss, denn weder hat sie den Staubsauger abgesteckt noch den Server wieder angesteckt. Wir beschließen beide, dass wir der Putzfrau nicht schaden wollen, und schreiben in den Einsatzbericht unter Ursache: Systemabsturz.

Meine Faulheit steigert sich

Ich denke nicht daran, wie teuer dieser Arbeitseinsatz der Firma kommt. Im Gegenteil: Meine Faulheit steigert sich, und ich rufe ein Taxi. Unklugerweise äußere ich Freude darüber, dass der Fahrer die Gasse, in der ich wohne, kennt. Reflexartig beginnt er zu lamentieren, dass nur mehr Ausländer Taxi fahren würden, ohne sich in der Stadt auszukennen. Würde ein Roboter am Steuer sitzen, könnte ich ihm jetzt erzählen, dass eine menschliche Putzfrau mit einem Staubsauger gerade einen zweistündigen Serverausfall samt Arbeitseinsatz am Wochenende verursacht hätte. Stattdessen frage ich ihn: Sie wissen nicht zufällig, wo man Stachelbeermarmelade bekommt? Ich erwarte etwa folgende Antwort: Stachelbeermarmelade wird nur mehr von Robotern erzeugt, die keine Ahnung vom Einkochen haben.

Der Fahrer aber antwortet gar nicht. (Daniel Wisser  / DER STANDARD, Printausgabe, 25./26.6.2011)