Wien/Paris - Rechtzeitig zu Beginn der großen Reisewelle in Kontinentaleuropa gibt es auf den Rohölmärkten Zeichen der Entspannung. Die Ankündigung der Internationalen Energieagentur (IEA), die strategischen Reserven anzuzapfen und im Juli insgesamt 60 Millionen Fass (159 Liter) Rohöl zusätzlich auf den Markt zu bringen, hat den Preis des Nordseeöls Brent am Freitag auf ein Siebenwochentief geschickt. Auch an den Zapfsäulen sollte der Effekt bald bemerkbar sein.

Ein Fass der in Europa preisbestimmenden Sorte Brent verbilligte sich um bis zu 1,5 Prozent auf 105,67 Dollar, nachdem es bereits am Vortag in der Spitze um mehr als sieben Prozent abgestürzt war. Die US-Sorte WTI erholte sich dagegen etwas von ihren jüngsten Verlusten und notierte mit 91,20 Dollar 0,2 Prozent höher.

Obamas Kopfzerbrechen

Die IEA mit Sitz in Paris, die die Industrieländer in Energiefragen berät (siehe Wissen), begründete ihre Entscheidung damit, dass "größere Engpässe im Ölmarkt (....) die ohnehin fragile weltweite Konjunkturerholung" bedrohten. Als treibende Kraft hinter der Entscheidung werden die USA gesehen, die knapp die Hälfte der freigegebenen 60 Millionen Fass beisteuern wollen. Präsident Barack Obama dürften die für US-Verhältnisse sehr hohen Spritpreise zunehmend Kopfzerbrechen bereiten. Er muss sich 2012 der Wiederwahl stellen.

Österreich wird sich, obwohl Mitglied der IEA, an der Aktion nicht beteiligen. "Wir halten unsere Notstandsreserven grundsätzlich für tatsächliche Versorgungsengpässe bereit. Die gibt es aber trotz Ausfalls libyscher Lieferungen derzeit nicht", hieß es im Büro des für die Reservehaltung zuständigen Wirtschaftsministers Reinhold Mitterlehner.

Österreich ist wie andere Länder angehalten, mindestens 90 Tage seiner vorjährigen Nettoimporte als Pflichtnotstandsreserve zu halten. Dies wird in Österreich und anderen IEA-Mitgliedsländern im Moment deutlich übererfüllt (siehe Grafik). Per Ende März waren in den diversen Tanklagern der in Österreich tätigen Mineralölfirmen rund 3,1 Mio. Tonnen oder 19,5 Mio. Fass Rohöl und -produkte als strategische Reserve gebunkert. Österreich hat seine Reserven bisher noch nie angezapft, auch nicht während des Golfkriegs 1991 und auch nicht 2005, als der Hurrikan Katrina die Ölförderung im Golf von Mexiko beeinträchtigte und die Preise nach oben trieb.

"Der Zeitpunkt der Entscheidung, zwei Millionen Fass pro Tag aus den strategischen Reserven zu nehmen, kommt doch etwas überraschend", sagte Carsten Fritsch, Analyst der Commerzbank in Frankfurt, dem Standard. "Wenn, dann hätte man das vor zwei, drei Monaten machen sollen, als der Krieg in Libyen losging."

Saudi-Arabien brüskiert

Die Entscheidung der IEA könnte sich als Bumerang herausstellen. Saudi-Arabien, größter Produzent der Opec, sei brüskiert und könnte von seiner Zusage abweichen, die Ölproduktion kurzfristig auf zehn Mio. Fass pro Tag anzuheben. "Mit den strategischen Reserven kann man das nicht unendlich oft machen, die gehen irgendwann zu Ende. Saudi-Arabien aber könnte über längere Zeit mehr Öl fördern", sagte Fritsch.

Bei der Opec-Konferenz vor zwei Wochen in Wien hat sich Saudi-Arabien vergeblich um eine Anhebung der Förderquoten bemüht. Insbesondere Iran und Venezuela stemmten sich dagegen. Nichtsdestotrotz wollten die Saudis den Förderhahn aufdrehen. (Günther Strobl, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 25./26.6.2011)