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Der "industrielle Metabolismus" bezieht seine Primärenergie vor allem aus fossilen Energie- trägern. Pro Kopf verbraucht die industrielle Gesellschaft das Drei- bis Fünffache der landwirtschaftlichen. Da sie mehr Menschen zu versorgen hat, ist ihr Gesamtverbrauch zehn- bis dreißigmal so hoch.

Foto: Nigel Treblin/dapd

Industriestaaten verbrauchen demnach pro Kopf am meisten Material und Energie - noch.

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Im Lauf der letzten 100 Jahre hat sich die Erdbevölkerung um das Vierfache vermehrt, sodass sie jetzt 6,4 Milliarden Menschen zählt. In demselben Zeitraum hat sich der Umfang der globalen Wirtschaft um mehr als das 20-Fache erhöht. Gleichzeitig werden Rohstoffvorräte ebenso wie Naturräume immer knapper. Wie sich der globale Ressourcenverbrauch seit Beginn der Industrialisierung entwickelt hat, von welchen Faktoren er abhängt und wie er in Zukunft verlaufen könnte, untersuchen Fridolin Krausmann vom Wiener Institut für Sozialökologie der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, Wien, Graz und seine Mitarbeiter mit finanzieller Unterstützung des FWF.

Von agrarischen zu ...

Krausmann und seine Gruppe gehen dabei von einem Konzept aus, das in der Nachhaltigkeitsforschung immer mehr an Bedeutung gewinnt, nämlich der globalen metabolischen Transition. Das klingt sperriger, als es ist: Das Metabolische daran ist, dass Ökonomien wie Organismen betrachtet werden. Als solche haben sie einen Stoffwechsel, der sich in Material- und Energiebedarf niederschlägt und sich im Zuge der Transition von einer landwirtschaftlich geprägten Wirtschaftsweise zu einer Industriegesellschaft ändert. "Über den Energieverbrauch weiß man relativ viel, aber man muss sich auch den Verbrauch von Rohstoffen anschauen. Das passiert erst seit den 1990er-Jahren", führt Krausmann aus.

Agrarische Gesellschaften beruhen auf der Energie, die die Sonne bereitstellt, und der Biomasse, in die diese durch die Fotosynthese der Pflanzen verwandelt wird. Die Verfügbarkeit von Boden entscheidet daher über die Bereitstellung von Energie - hauptsächlich in Form von Nahrung für Mensch und Tier. Der langfristige Erhalt dieses Bodens ist daher wichtiger als die Maximierung seines jährlichen Ertrags, weshalb dieser Metabolismus quasi "von Natur aus" auf Nachhaltigkeit zielt. Wirtschaftliches Wachstum wie auch Bevölkerungswachstum sind allerdings nur sehr beschränkt möglich.

... industriellen Strukturen

Anders der industrielle Metabolismus, der seine Primärenergie zum überwiegenden Teil aus fossilen Brennstoffen bezieht. Gemeinsam mit verbesserten Transportmöglichkeiten ermöglicht er im Vergleich zum agrarischen Stoffwechsel ein Bevölkerungswachstum um einen Faktor von bis zu 10. Damit einher geht jedoch auch ein enorm gesteigerter Bedarf an Energie und Rohstoffen: Pro Kopf verbraucht die industrielle Gesellschaft das Drei- bis Fünffache der landwirtschaftlichen, und da sie weit mehr Menschen zu versorgen hat, ist ihr Gesamtverbrauch zehn- bis dreißigmal so hoch. "Die Ressourcen-Produktivität wurde in den letzten 100 Jahren ständig verbessert, ohne dass der Gesamtverbrauch gesunken wäre", wie Krausmann betont. Gleichzeitig fallen massiv Emissionen an. Auf längere Sicht müssen diese Ansprüche das Natursystem überfordern - der industrielle Metabolismus ist daher von seiner Konzeption her nicht auf Nachhaltigkeit ausgelegt.

Krausmann und seine Mitarbeiter haben Material- und Energieflüsse für 175 Länder der Erde im Zeitraum 1900 bis 2005 erhoben. Dabei haben sie eine Typologie entwickelt, bei der die Staaten je nach ihrem Stoffwechselprofil in sechs Untergruppen eingeordnet wurden. Ausschlaggebend dabei war, ob es sich um Industrie- oder Entwicklungsländer handelt, wie lange sie schon bestehen (sprich: Alte oder Neue Welt), wie hoch ihre Bevölkerungsdichte und wie gut ihre Ressourcenausstattung ist.

Dabei stellten die Wissenschafter auch fest, dass der Pro-Kopf-Verbrauch an Material und Energie in den Industriestaaten generell fünf- bis zehnmal so hoch ist wie in den Entwicklungsländern, dass es aber auch unter den Industrienationen Unterschiede gibt. So schwankte 2004 der inländische Pro-Kopf-Materialverbrauch innerhalb der damals 15 EU-Staaten deutlich: Italien etwa kam dabei auf nur elf Tonnen, während es in Finnland 38 Tonnen waren. Die HDI-(High Density Industrialized)-Länder, zu denen ganz Europa, der ehemalige Ostblock und die industrialisierten Teile Asiens gehören, verbrauchen etwa ein Viertel der globalen Energie und ein Fünftel der Rohstoffe. Sie beherbergen auf nur vier Prozent der globalen Landfläche etwa zwölf Prozent der Weltbevölkerung und produzieren 46 Prozent des globalen BIPs.

Enormer Bedarf an Fläche

Dem gegenüber steht die größte der sechs Gruppen, die HDD-(High Density Developing)-Länder, die den Großteil von Süd- und Ostasien, Zentralamerika und einige afrikanische Staaten umfassen. Auf rund 20 Prozent der globalen Fläche leben dort fast zwei Drittel der Weltbevölkerung, die aber nur elf Prozent des globalen BIPs erzeugen. Und obwohl der Großteil dieser Länder nach wie vor agrarische Strukturen aufweist, verbrauchen sie 30 Prozent der globalen Energie und 42 Prozent der Rohmaterialien. Dabei ist ihr Pro-Kopf-Verbrauch noch gering - der enorme Bedarf entsteht durch die hohe Bevölkerung, für die bis zum Jahr 2050 mit einer Steigerung um 50 Prozent gerechnet wird.

Insgesamt verbraucht die Menschheit - Wasser nicht mitgerechnet - pro Jahr 49 bis 59 Millionen Tonnen Rohmaterialien, 25 bis 30 Prozent dessen, was Pflanzen erzeugen, und 514 Exajoule (das sind 514 Millionen Billiarden Joule) Primärenergie, rund 80 Prozent davon aus fossilen Energieträgern. Nichtsdestoweniger befindet sich der Großteil der Weltbevölkerung noch in einer frühen Phase des Übergangs vom agrarischen zum industriellen Stoffwechsel. Wenn diese Gesellschaften denselben Weg nehmen wie die Industriestaaten, dürfte sich der globale Bedarf an Material und Energie in den nächsten Jahrzehnten verdoppeln bis verdreifachen. Und wie lässt sich dieses Wissen anwenden? "Es geht darum, sinnvolle Indikatoren für die Messung des Ressourcenverbrauchs zu finden, auf deren Basis man politische Maßnahmen setzen kann", erklärt Krausmann. (Susanne Strnadl/DER STANDARD, Printausgabe, 29.06.2011)