Dieter Schrage im Jahr 2009.

Foto: Standard/Matthias Cremer

Wien - Noch vor wenigen Tagen brachte er sich engagiert in eine Sitzung der Wiener Grünen ein und hielt vergangene Woche die Laudatio auf Conny Hannes Meyer anlässlich dessen Auszeichnung mit dem "Goldenen Verdienstzeichen", nun ist der Museumskurator, Grünen-Politiker und Kulturwissenschafter Dieter Schrage gestorben. Wie die Wiener Grünen am Donnerstag auf ihrer Homepage mitteilten, erlitt der gebürtige Deutsche am Mittwoch einen Herzstillstand. Betroffen reagierte Grünen-Bundesprecherin Eva Glawischnig und zollte Schrage in einer Aussendung Respekt: "Dieter war jung im Alter, ein lebendiger und kritischer Geist, der stets alles hinterfragt hat, aber immer in tiefer Solidarität zum Grünen Projekt." Schrage feierte erst am vergangenen Dienstag seinen 76. Geburtstag.

Schrage, der auch als politischer Publizist und bekennender "Anarchist" von sich reden machte, konnte eine vielfältige Karriere vorweisen. Neben seinem Engagement für umstrittene Kunst und Kuratorentätigkeiten, etwa am Museum Moderner Kunst Wien, war er gesellschaftspolitisch sehr aktiv, gründete 1997 die "Initiative Grüne SeniorInnen" und war auch grüner Bezirksrat in Wien-Neubau und Wien-Penzing. "Er war ein Unbequemer im besten Sinne. Er war aber auch immer ein Brückenbauer in alle Milieus und politischen Lager. Er wird uns sehr fehlen", äußerte sich Klaus Werner-Lobo, Kultursprecher der Grünen, zum Ableben des promovierten Philosophen und Kulturwissenschafters.

Geboren wurde Schrage am 28. Juni 1935 im westfälischen Hagen und wuchs in Singen und Bochum auf. Nach dem Besuch einer Journalistenschule in Aachen studierte er in Köln Theaterwissenschaft und Politologie. 1960 übersiedelte er nach Wien, inskribierte dort weiter Theaterwissenschaft sowie Kunstgeschichte und Literaturwissenschaft und gründete gemeinsam mit seiner ersten Frau eine Töpferwerkstatt. Sechs Jahre darauf erhielt er die österreichische Staatsbürgerschaft. Nachdem er 1967 promovierte, war er von 1968 bis 1979 Kulturreferent des Wiener Kunstfonds der Zentralsparkasse, von 1971 bis 1974 Mitbegründer und zeitweiliger Leiter des "Freien Kinos", das als Programmkino für Wien wegweisend war. Von 1979 bis 2001 fungierte er als Kustos am Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien.

Protestbewegung

In politischer Hinsicht war Schrage unter anderem als Mitinitiator der Protestbewegung um das 1976 besetzte "Arena"-Gelände auf dem Wiener Schlachthof aktiv und organisierte zahlreiche Solidaritätsaktionen, etwa für Nicaragua, die Chile-Front und die Bewährungshilfe. Bis zu seinem Austritt aus der SPÖ 1986 hielt er Seminare am Karl-Renner-Institut.

Von 1976 bis 1990 unterrichtete Schrage am Institut für Publizistik der Universität Salzburg und am Institut für Volkskunde der Universität Wien, später lehrte er an der Wiener Universität für Musik und darstellende Kunst Ästhetische Theorie. Zu seinen Spezialgebieten zählten Kulturpolitik, Kunsttheorie, Popularästhetik und Subkultur/Gegenkultur. In den vergangenen Jahren kuratierte er zahlreiche Ausstellungen, unter anderem die Retrospektive "Erwin Puls. Die Phantome des Begehrens" im project space der Kunsthalle Wien im März 2009.

1999 nahm Schrage am ersten Symposium über "Graffiti Writing" teil. Ein Thema, das ihn scheinbar faszinierte. Gemeinsam mit dem Institut für Graffiti-Forschung befasste er sich intensiv mit der Frage, ob es politisch korrekt ist, rassistische Graffiti zu fotografieren und ästhetisch zu präsentieren. Im September 2007 hatte er dazu in der Wienbibliothek die Ausstellung "graffiti.rechts.extrem" kuratiert. "Die Botschaften der Sprayer auf Bahnhöfen, Fassaden, an Öffi-Stationen oder wichtigen Sehenswürdigkeiten sind Ausdruck von aktuellen Konfliktfeldern in der öffentlichen Diskussion", schilderte er damals im APA-Gespräch.

Seit einer Unterschenkel-Amputation 1992 in Folge einer Diabeteserkrankung musste Schrage an zwei Stöcken gehen. Dieses Schicksal verarbeitete er u.a. in dem Lyrik- und Prosa-Band "Wie ich noch einmal über die Stränge schlagen wollte und dabei vom Regen in die Traufe kam" (1998, Eichbauer Verlag). Philipp Maurer, Herausgeber der Zeitschrift für Druckgraphik und visuelle Kultur "Um:Druck", der gemeinsam mit Schrage Ausstellungen realisierte, beschreibt ihn im Gespräch mit der APA "als sehr versierten und engagierten Befürworter kritischer Kunst", der sich stets für die "Qualität in der Kunst und für Außenseiter" eingesetzt habe. Schrage lebte mit seiner zweiten Frau Margit in der Wiener "Sargfabrik". Er war zweifacher Vater und Großvater. (APA)