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Literaturnobelpreisträger Ernest Hemingway wurde immer wieder von Angst- und Panikattacken heimgesucht.

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Ernest Hemingway, längst weltberühmt, konnte zum Ende seines Lebens nicht mehr schreiben, er litt unter Zucker und Depressionen. Am Morgen des 2.Juli 1961, es war ein Sonntag, stand Hemingway früh auf, ging, während seine Frau Mary noch schlief, in den Lagerraum, in dem die Gewehre verwahrt wurden, lud eine doppelläufige Schrotflinte, die er für die Taubenjagd angeschafft hatte und kehrte damit in die Diele seines Hauses zurück. Er setzte sich den Zwillingslauf an die Stirn und schoss sich die Schädeldecke weg.

Eine Legende, ein Mythos, an dem er heftig werkelte, war dieser Schriftsteller schon zu Lebzeiten, sein literarischer Ruf hat in den fünf Jahrzehnten nach seinem Tod kaum nachgelassen. Seine antiintellektuelle Prosa, das Harte, Stoische und Leidende seiner Helden, trug den Mut und die Würde ihres Autors, wobei Mensch und Buch immer wieder miteinander verschmolzen, beides unentwirrbar zum Produkt der Fantasie wurde.

Viele aus seiner Generation mochten da die Chiffren eines von ihnen erträumten Männerlebens erkennen: Abenteuer und Krieg, harte Arbeit, unbedingte Freundschaft, Treibjagd, Stierkampf, Rennplatz, Liebe und Rausch. Dass die Wirklichkeit im Leben Hemingways entschieden anders, oft todtraurig aussah, wollten viele nicht zur Kenntnis nehmen.

Schon bei der Verleihung des Nobelpreises 1954 wurde sein Lebensgefühl von Angst- und Panikattacken heimgesucht. In den letzten Jahren kam eine schwere Augenkrankheit hinzu. Die Leber war angegriffen, Folge des exzessiven Alkoholkonsums.

Symptome der Depression

Der Blutdruck war viel zu hoch, die Mittel, die er dagegen einnahm, waren möglicherweise mitverantwortlich für die Symptome der Depression. Deren eigentliche Gründe lagen aber tiefer. Gegen das Nachlassen der Physis, das Eingeständnis des körperlichen Abbaus, das langsame Verschwinden der von ihm so oft gepriesenen und zur Schau gestellten Virilität gab es kein Medikament. Er war ein gebrechlicher alter Mann, weißhaarig, blass, mager, dem zum Schreiben nichts mehr einfiel, der weinend vor dem leeren Blatt an der Schreibmaschine saß. Wiederholt versuchte er, sich umzubringen. Einmal, als man ihn nach Rochester in die Majo-Klinik bringen wollte, versuchte er sich in den rotierenden Propeller eines Flugzeugs zu stürzen.

Angst war das alles beherrschende Element seiner letzten Jahre. Hemingway fühlte sich verfolgt, vom Finanzamt, vom FBI, von der Zensurbehörde - er stellte sich vor, dass seine Verfolger ihn sogar noch in der Klinik überfallen könnten. Eine Paranoia wie aus dem Bilderbuch. Auch sein Vater, als Präsident der Chicagoer Ärztekammer scheinbar ein Denkmal des erfolgreichen Durchschnitts-Amerikaners, hatte sich erschossen - mit 57 Jahren.

Der Sohn wagte schon in frühen Jahren die kühne These: "Um wie viel besser ist es, man stirbt in der glücklichen Zeit noch nicht desillusionierter Jugend, man tritt ab im hellen Glanz des Lichts und nicht mit einem verbrauchten Körper und zerbrochenen Illusionen." Hemingways Bild von der Welt war das eines Erzählers, der einer der meist bevorzugten Zeitgenossen seiner Zunft im vorigen Jahrhundert wurde. "Die Welt ist so voll von so vielen Dingen, dass ich sicher bin, wir sollten alle glücklich wie die Könige sein. Wie glücklich sind Könige?"Als Krieger, Reisender, als Jäger wurde Hemingway, wie Rolf Hochhuth schrieb, "zu dem Dichter, der das Psychogramm seines Zeitalters so eindrucksvoll mitbestimmte".

Todestrieb und Müdigkeit

Dennoch war dies nur in der Nähe der Todesahnung möglich geworden. Hemingways Helden - etwa Thomas Hudson in dem posthum erschienenen Roman Inseln im Strom - denken unablässig ans Sterben. Todestrieb und Müdigkeit überlagern die psychische Qual, die aus der zunehmenden Schwermut wegen sexueller Unzulänglichkeit resultiert.

Tod am Nachmittag, Der Sieger geht leer aus, Die grünen Hügel Afrikas oder Haben und Nichthaben: Die Deutschen konnten diese Werke erst nach dem Krieg lesen. Sie begegneten einem Dichter, der eine persönliche Ausstrahlung auf sein Publikum übertrug, eine Ausnahme in der Literatur. Der Nachkriegszeit erschien er als genuiner Repräsentant Amerikas, ein Menschendarsteller, kein Denker, kein Intellektueller, dessen abenteuerliches Leben seine Bücher zu legitimieren schien.

Seine Kontakte zum FBI sind heute bekannt. Dass er für die USA auf Kuba spionierte, wurde nie bewiesen. Auf Kuba wollte er wegen der Spannungen mit den USA am Ende nicht bleiben. Er kaufte ein Haus in Ketchum. Hier gab er sich den Tod. Das Nichts. Der Jäger als sein eigenes Opfer. (Wolf Scheeller, DER STANDARD/Printausgabe 2./3. Juli 2011)