Ai Weiwei in seinem Atelieranwesen am 13. Juli

Foto: Johnny Erling

Ai Weiwei steht im Hof seines Ateliers. Er zuckt bedauernd die Schulter, so als ob er sagen will: "Ich bin hier nicht mehr der Hausherr." Am Abend zuvor wurde ein Interview für den nächsten Morgen um neun Uhr vereinbart, um über Kunst zu sprechen. Über andere Themen darf er nicht sprechen. Über seine Arbeit zu sprechen, sagt Ai Weiwei, sollte jedoch kein Problem sein. Kurz vor neun Uhr in seinem Atelier stellt sich heraus, dass es doch ein Problem ist. Die Polizei habe ihn schon kontaktiert. Sie wollte auch um neun Uhr kommen. Kontakte mit Journalisten seien ihm untersagt, seit er auf Kaution aus seiner Haft entlassen wurde. Selbst wenn es nur um Kunst geht.

Am 30. März, vier Tage vor seiner Festnahme, hatte Ai Weiwei beim letztmaligen Treffen über seine Pläne berichtet. Er wolle sich ein Atelier in Berlin als zweites künstlerisches Standbein suchen. Er erzählte begeistert von seinen Vorbereitungen, im Herbst erstmals auch auf Taiwan auszustellen. Daraus wird nun nichts. Er darf Peking nicht verlassen. Man sieht Ai Weiwei an, dass er zwölf Kilo in den 80 Tagen seiner Beugehaft abgenommen hat. Er bringt mich bis zur Tür. "Ich bin dabei, mich zu erholen."

Der mutige Anwalt Liu Xiaoyuan informiert, wie es weitergeht. Er kündigt auf seinem Mikroblog an, dass am Donnerstag der erste Akt im Wirtschaftsverfahren beginnt. Die Pekinger Steuerbehörde hat unter Ausschluss der Öffentlichkeit eine Anhörung angesetzt, ob die von ihr beschuldigte Vermarktungsgesellschaft für Ai Weiweis Kunst, die Beijing FakeKulturentwicklung GmbH, massiv Steuern hinterzogen hat. Eingetragene Besitzerin der Designfirma ist Ais Frau Lu Qing, die auch bei der Anhörung dabei ist.

Die Anklage wirkt zurechtgeschustert. Anwalt Pu Zhijiang von der Pekinger Kanzlei Huayi, die Fake vertritt, zählt auf, was alles nicht stimmt. Die Steuerbehörde habe Quittungen und andere Belege, die aus den polizeilichen Bürodurchsuchungen bei Fake stammen, vor der Anhörung weder den Anwälten noch Frau Lu Qing verfügbar gemacht. Zudem kann sie all ihre Beweismittel nur in Form von Kopien vorlegen. "Aber ohne die Originale zu sehen, können wir nicht die Richtigkeit überprüfen." Die Anwälte können daher auch keine Summen nennen, um die es bei den Steuervorwürfen geht.

Befürchtungen, dass Peking am regimekritischen Künstler Ai Weiwei ein politisches Exempel zur Abschreckung anderer statuieren lässt, waren von Anfang an auch in China laut geworden. Bisher ist keine Anklage gegen ihn erhoben worden. In Mikroblogs kursieren angebliche Forderungen der Behörden an Fake. Das Unternehmen soll für die vergangenen zehn Jahre fünf Millionen Yuan (550.000 Euro) an Steuern nachzahlen und dazu noch eine Geldbuße von weiteren sieben Mio. Yuan berappen. Strafrechtlich gravierender wäre, wenn es stimmt, dass Steuerbeweismaterial vorsätzlich vernichtet wurde, wie die Staatsagentur Xinhua pauschal behauptete.

Unerschrockene Anwälte wie Liu Xiaoyuan, der die Öffentlichkeit über Ai Weiweis Lage informiert hat, wartet seit zwei Wochen auf seine neue Lizenz als Anwalt, die jährlich zwischen 25. Mai und 30. Juni verlängert werden muss. Der 81-jährige Experte für chinesisches Recht, Jerome A. Cohen, stellt jetzt in Foreign Policy einen Rückschlag für das Rechtswesen Chinas fest. In den vergangenen Monaten seien "mehrere hundert Anwälte" von der Polizei eingeschüchtert worden.

Pekings Behörden würden sich die kleine Gruppe von auf Sozial- und Menschenrechtsfälle spezialisierten Anwälte bewusst vorknöpfen. Neben Dissidenten oder Künstler-Aktivisten wie Ai Weiwei würden sie diese mit brutalen Mitteln disziplinieren. Sie setzten sich mit ihren Übergriffen über die eigenen chinesischen Gesetze hinweg.  (Johnny Erling aus Peking / DER STANDARD, Printausgabe, 15.7.2011)