Edith Maul-Röders Architekturfotografie macht auf die Verkümmerung der Nahversorgung in kleinen Gemeinden und Städten aufmerksam und will die Straße als Kommunikationsort zurückholen

Spaziert man in diesem Sommer durch den kleinen Ort Attersee am gleichnamigen See in Oberösterreich, begegnet einem eine spannende Fotoausstellung im öffentlichen Raum, die auf die vielerorts gegenwärtige Verödung der Ortszentren aufmerksam macht. Der aus Attersee stammenden Fotografin Edith Maul-Röder liegt es schon lange am Herzen, dass ihr Heimatort "wieder ein lebhafter Ort mit einem interessanten Angebot für Kultur und Freizeit wird".

Foto: Jasmin Al-Kattib

In den 1950er- bis 1980er-Jahren war die kleine Gemeinde Attersee ein Magnet des Massentourismus, ein pulsierender Ort mit vielen Geschäften und Handwerksbetrieben. Obwohl die Badetouristen aufgrund der guten Wasserqualität des Attersees und der vielen Ausflugsmöglichkeiten in der Gegend nach wie vor nicht ausbleiben, kann die Gemeinde gegenwärtig nur mehr bedingt mit einem attraktiven Ortskern aufwarten. Viele Geschäftslokale entlang der Hauptstraße stehen leer, die Nahversorgung verkümmert - wie in anderen Orten und Kleinstädten auch entstehen immer mehr Einkaufszentren in der Peripherie und lassen das Treiben in der Ortsmitte nach und nach aussterben.

Foto: Jasmin Al-Kattib

Das Kunstprojekt "Perspektiven Attersee" hat sich der trostlosen Geschäftsfassaden angenommen. Projektleiter Franz Maul, Architekt und Ehemann der Fotografin Edith Maul-Röder, möchte die Straße, die in den letzten Jahrzehnten zum reinen Verkehrsweg degradiert wurde, wieder als Kommunikationsort für die Bewohner und Besucher etablieren: "Das Projekt ist neben dem Verändern der zur Zeit funktionslosen erdgeschoßigen Schaufensterfassaden auch ein Versuch, diesen Raum wieder für die Menschen zurückzuholen, ihn erlebbar, gestaltbar und veränderbar zu zeigen und die Bürgerinnen und Bürger zu ermutigen, dass dieser Raum uns allen gehört und wir auch dafür zuständig und verantwortlich sind."

Foto: Jasmin Al-Kattib

Das Feedback auf die künstlerisch veränderten Geschäftsfassaden ist durchwegs positiv. "Eine rege Diskussion über das wirtschaftliche Sterben und Veröden unserer Zentren ist entfacht", zeigt sich Edith Maul-Röder erfreut. "Aufgrund dieses Interesses wird am 6. August ein erstes Straßenfest mit einer Lesung durch örtliche Wirtschaftstreibende veranstaltet."

Das Interesse, die direkt durch den Ortskern führende stark befahrene Straße zu entschleunigen und für die Fußgänger wieder attraktiver zu machen, ist nicht neu. Seit Jahrzehnten wurde über eine Umfahrungsstraße diskutiert, doch die Pläne dafür wurden schließlich fallen gelassen.

Foto: Jasmin Al-Kattib

Edith Maul-Röders Ausstellung "Die Architektur des Weges als Verfremdung und Metapher für Vergangenheit und Zukunft" zeigt Fotografien, die auch Bezug zur Geschichte der jeweiligen Häuser nehmen. An dieser Stelle befand sich früher ein Gemischtwarenhandel, im Jahr 1975 wurde ein Neubau des Kaufhauses mit einer zweigeschossigen Verkaufsfläche errichtet. Seit 2004 ist das Geschäft im Haus Baresch geschlossen.

Foto: Edith Maul-Röder

Jetzt ziert Maul-Röders Fotografie einer großstädtischen Treppenanlage die Auslagenfläche des in den 1970er-Jahren ebenso auf großstädtische Weise gebauten zweistöckigen Geschäftslokals. Sie kann auch als symbolische Verbindung zwischen der See-Ebene und dem Kirchberg dahinter gedeutet werden.

Foto: Edith Maul-Röder

Folgt man der Attersee Straße ein paar Meter weiter Richtung Norden, tauchen die restlichen zur Galerie umfunktionierten Häuser auf, wie zum Beispiel das Kaufhaus Miglbauer im engsten Teilabschnitt der Straße, das von 1910 bis 1993 als Gemischtwarenhandel geführt wurde.

Foto: Edith Maul-Röder

Seit Mai bricht die großformatige Fotografie eines hell erleuchteten Foyers mit einem gläsernen Lift die Straßenenge auf und verleiht dem Ort neben dieser "optischen Öffnung" einen weiteren Hauch von Großstadtflair. Einzig die Tatsache, dass Maul-Röders Fotografien in Schwarz-Weiß gehalten sind, lassen einen nicht im ersten Moment meinen, man hätte es mit einer wirklichen Geschäftsfassade zu tun.

Foto: Edith Maul-Röder

Im Haus Plank-Ramsl war bereits im 18. Jahrhundert eine Fleischhackerei untergebracht, später auch ein Wirtshaus und eine Greißlerei. Seit 1875 gab es hier eine Bäckerei, zwischenzeitlich auch einen kleinen Friseursalon. Seit die Bäckerei im Jahr 1978 schloss, wurde das Erdgeschoss des Hauses nicht mehr wirtschaftlich genutzt.

Foto: Edith Maul-Röder

Maul-Röders Fotografie eines modernen, gewendelten Treppenhauses eines Hotels in Bilbao, die auf den ersten Blick fast wie eine Malerei aussieht, nimmt Bezug auf die frühere Bäckerei und den Friseursalon. Die Spirale soll die Haarlocke und das Spiralgebäck symbolisieren.

Foto: Jasmin Al-Kattib

In diesem Gebäude befanden sich seit 1802 diverse Gewerbebetriebe. Zuerst war es ein Steinmetzhaus, danach eine Autowerkstätte, später ein Betrieb zur Achsenerzeugung, danach ein Gemüse- und Blumengeschäft, ein Souvenirladen, ein Zinn- und Kupferwaren-Geschäft und schließlich waren hier eine Bar sowie andere Gastronomiebetriebe ansässig.

Foto: Edith Maul-Röder

In Anlehnung an den Steinmetzbetrieb, der im Haus Huber-Punzet bis 1884 beheimatet war, präsentiert die Fotografin an dieser Stelle das Motiv von Steinböden und Mauern, das Maul-Röder in einem Museum in der Schweiz aufgenommen hat.

Foto: Jasmin Al-Kattib

Im Haus Bauer befand sich einst der Bierkeller der Brauerei Hager, der sich mit seinem etwa 50 Meter langen Stollen weit in den Hügel bohrt. Später - und zwar bis zum Jahr 1986 - waren hier Fleischhauereibetriebe angesiedelt.

Foto: Edith Maul-Röder

Derzeit zeigt das Motiv eines Tunnels die Vision der Verbindung des Ortskerns mit dem Kirchenplatz. Dies wäre durch eine vertikale Verbindung aus dem bestehenden Stollen möglich.

Foto: Edith Maul-Röder

Bis 26. Oktober 2011 dauert Edith Maul-Röders Ausstellung noch, in weiteren zwei Folgejahren des Projekts werden andere nationale und internationale FotokünstlerInnen den kurzen, engen Abschnitt der Attersee Straße mit ihren Kunstwerken beleben. "Das Zentrum Attersees wird Ausstellungsort bleiben", so Edith Maul-Röder - hier im Bild mit ihrem Team: Kulturreferent Horst Anleitner (li.) und Architekt Franz Maul. "Die Flächen bleiben gleich, damit man die Rahmenkonstruktion in den Folgejahren wieder nutzen kann. Sollte jedoch ein Haus in der Zwischenzeit wieder anderwärtig wirtschaftlich genutzt werden, fällt dieses weg und wir weiten die Ausstellung auf noch andere leerstehende Geschäfte im Ort aus." (Jasmin Al-Kattib, derStandard.at, 19. Juli 2011)

Foto: Edith Maul-Röder

Perspektiven // Attersee 2011: Der öffentliche Raum als Fotogalerie
Fotografien von Edith Maul-Röder
29. Mai bis 26. Oktober 2011
4864 Attersee am Attersee

Foto: Jasmin Al-Kattib